Angela Hewitt, Piano, Copyright: Keith Saunders
Mozart und Mahler – die zwei großen „M“ der Klassischen Musik. Titanen ihrer Zeit und bis heute zwei der beliebtesten Komponisten im Orchesterwesen. Bereits einer der beiden Namen reicht aus, um einen Konzertsaal zu füllen. Beide in Kombination lassen eine volle Halle erwarten – fast schon wie in einem Stadion, wenn sich zwei Mannschaften treffen, um in einem fairen Wettstreit am Ende einen Sieger zu ermitteln. Ein Wettstreit sollte es im Konzertsaal eigentlich nicht sein – selbst wenn ein herausragendes Orchester wie das Sinfonieorchester Wuppertal die Konzertarena betritt. Viel eher freut man sich als Konzertgänger dann auf einen gelungenen Abend. Und auf die Auseinandersetzung mit den gespielten Komponisten.
Sinfonieorchester Wuppertal
Patrick Hahn, Dirigent
Angela Hewitt, Piano
Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 17 in G-Dur KV 453
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 1 D-Dur “Titan”
Kölner Philharmonie, 18. Januar 2023
von Daniel Janz
Der erste lässt sich wohl als der Klassiker schlechthin bezeichnen. Wolfgang Amadeus Mozart ist auch heute noch präsent wie kein anderer. Selbst popkulturell ist der Salzburger Komponist bekannt und wirksam. Ob Operndrama, ob Lied, ob Kammermusik oder Sinfonik, Solo-Konzerte oder kirchliche Musik – von ihm ist alles überliefert. Und das in einer überwältigenden Vielzahl. So komponierte er (mindestens) 27 Klavierkonzerte, von denen heute sein siebzehntes erklingen soll.
Die Wuppertaler Gäste in Köln bringen dafür auch gute Voraussetzungen mit. Einerseits den österreichischen Dirigenten Patrick Hahn (27), der sich sowohl als jüngster Generalmusikdirektor im deutschsprachigen Raum, als auch am Klavier einen guten Ruf erarbeitet hat und dementsprechend die Feinheiten Mozarts kennen dürfte. Andererseits die bezaubernde Angela Hewitt (64), deren Leichtigkeit und Frische am Klavier ganz verzaubern kann. Ein gelungener Mix also, um in dieser Arena der Musik zur Höhe der Gefühle zu erheben.
Und wie alle Beteiligten den Salzburger Klassiker zur Aufführung bringen, ist schon beeindruckend. Obwohl dieses Werk eher einem gemächlichen Fluss gleicht, dem aufwühlende Elemente fehlen, sorgen die pikant herausgearbeiteten Wechsel zwischen lauten und leisen Motiven für Spannung. Das kombiniert mit Hewitts Leichtgängigkeit am Instrument sorgt für angenehme Kurzweiligkeit. Faszinierend, wie sie dabei die schnellsten Läufe leicht aussehen läst und gleichzeitig ganz und gar charmant wirkt – als würde sie beim Vortrag ihres Mozart ins Publikum zwinkern.
So entsteht eine Aufführung auf hohem Niveau. Natürlich soll auch das Orchester nicht vergessen werden, dass von den Streichern übers Holz bis zu den Hörnern angenehm klar und akzentuiert spielt. Das Besondere dieser Aufführung steht und fällt aber mit der 1958 in Kanada geborenen Solistin. Mal lässt sie die Musik leichtgängig aus ihrem Instrument perlen, im zweiten Satz kann sie den bedrückten Unterton durch echte Empfindsamkeit anreichern und im dritten Satz tanzen ihre Finger geradezu über die Tasten. Richtig spritzig ist auch ihre Zugabe, in der sie das alles noch einmal steigert und geradezu filigran übers Instrument saust. Besonders für Klavierenthusiasten ein Genuss – den musikalischen Wettstreit mit Mozart hat sie jedenfalls gewonnen. Das war heute weniger Arenakampf, sondern vor allem künstlerischer Triumph.
Triumphal wird es auch im zweiten Werk des Abends: Mahlers erste Sinfonie mit dem (später zurückgezogenen) Beinamen „Titan“ erregte zur Uraufführung 1889 besonders durch das programmatische Finale Aufsehen. In diesem lässt Mahler einen Helden der Orpheus-Sage gleich in die Unterwelt hinabsteigen, um dann sieghaft wieder emporzukommen. Damals heiß umstritten, gehört sie heute zu den am häufigsten gespielten Mahler-Sinfonien und wird – mitunter mehrfach – auch an ein- und demselben Standort innerhalb weniger Monate aufgeführt. So auch in Köln.
Dadurch stellt sich bei dieser Sinfonie ein faszinierender Umstand ein. Denn während die Aufführung das Publikum heute begeistern kann und sich am Ende viele sogar zu Stehenden Ovationen aufrichten, lässt sie den Rezensenten mit einem Gefühl der Ernüchterung zurück. Ein Umstand, der sich nur dadurch erklären lässt, dass der Rezensent dieses Werk in letzter Zeit gleich mehrfach in diesem Saal gehört hat – zuletzt vor genau drei Monaten. Damals in einer furiosen, ebenfalls umjubelten Aufführung vom Gürzenich-Orchester Köln unter Eliahu Inbal. Unvergessen auch die Aufführung des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin letzten Februar. Und interessanterweise jedes Mal in Kombination mit einem Klavierkonzert von Mozart – eine Einfallslosigkeit, die an dieser Stelle dann wohl langsam den Stellenwert eines Klischees erreicht.
Der Vergleich dieser Orchester ist dadurch jedenfalls nicht nur frisch, sondern auch noch komponistengleich. Und genau dieser Vergleich ist es dann auch, der das alles eben doch zum Wettstreit werden lässt.
Dabei war es an diesem Abend keine schlechte Aufführung. Im Gegenteil, wirkliche Vorwürfe kann man keinem der Beteiligten machen; vieles konnte bewegen. Der erste Satz mit seinem eröffnend breiten Klang, die vielen plastisch herausgearbeiteten Lied- und Eigenzitate Mahlers, der mit seiner Mischung aus Düsterheit und ironisch klagender Feierlaune ans Groteske grenzende dritte Satz oder das Finale, in dem das Orchester aus tiefster Katastrophe hin zum triumphalen Abschluss führt – es war über weite Strecken überzeugend. Und der frenetische Abschlussjubel aus dem Publikum am Ende beweist auch, dass diese Aufführung die Zuhörer verzückt hat.
Es sind die Feinheiten, die den Unterschied ausmachen. Winzige, fast schon unmerkliche Details wie Einsätze (besonders im ersten Satz), die nicht immer ganz synchron, sondern um Sekundenbruchteile verschoben sind. Kleine Ungenauigkeiten in der Präzision, ein ab und an zu übereifriges Schlagwerk, immer einmal wieder ein oder zwei Takte, die Patrick Hahn etwas schnell herunterdirigiert oder der Umstand, dass die Hörner nach ihrem triumphalen Hymnus gegen Ende der Sinfonie sich für die Schlusstakte wieder hinsetzen (warum?!). Das sind Dinge, die sich oft auf der Ebene interpretatorischer Freiheit bewegen und für sich genommen kein Drama darstellen. Aber eben auch Dinge, die im Vergleich auffallen.
Und dieser Vergleich ist in letzter Konsequenz zum Nachteil der Wuppertaler. Denn auch, wenn bei den Berlinern letzten Februar etwas mehr Schwächen auffielen, als heute, saß im Oktober bei den – ohnehin aktuell auf Formhoch spielenden – Gürzenichern alles perfekt. Damit stellt es sich heute genau so dar, wie der Rezensent bereits in seiner Anti-Klassiker-Kolumne postulierte – wenn sich das Konzertwesen auf ein- und dasselbe Werk in zu kurzem Abstand versteift, wird das zum Nachteil für alle. Dann ist es plötzlich eben nicht mehr nur die Auseinandersetzung zwischen Orchester und Komponist. Sondern ein Wettkampf zwischen unterschiedlichen Orchestern. Dann wird der Konzertsaal eben doch zur Arena, in der der Rezensent sich in der undankbaren Rolle eines Schiedsrichters wiederfindet.
Und da ist es dann wie bei einer Weltmeisterschaft: Am Ende kann es nur einen Gewinner geben – alle anderen müssen automatisch verlieren. Selbst wenn es nur nach Punkten ist. Selbst wenn der Stand am Ende nur 100 zu 99 ist. Ist das undankbar? Vielleicht sogar ungerecht? Absolut, denn die Leistung der Wuppertaler war für sich genommen gut und ist auch eine klare Empfehlung für dieses Orchester. Zweiter Platz bleibt aber zweiter Platz. Dementsprechend muss man schon fragen, ob es nicht in ihrem Interesse gewesen wäre, durch eine veränderte Werkauswahl den direkten Vergleich zu zwei anderen, ebenfalls herausragenden Orchestern zu vermeiden.
Daniel Janz, 20. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S.: Das Wuppertaler Sinfonieorchester ist nicht das einzige in Köln spielende Orchester, das sich auf einen direkten Vergleich einlässt. Im Juni wird auch das WDR Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Cristian Măcelaru dieselbe Mahler-Sinfonie zur Aufführung bringen – dann zum ersten Mal ohne Mozart im Programm. Wir dürfen gespannt sein, wie es dort dann ausgehen wird…
London Symphony Orchestra, Sir Simon Rattle, Dirigent Kölner Philharmonie, 7. Dezember 2022
Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki Dirigent, Bach-Kantaten Kölner Philharmonie, 1. November 2022