Foto: ©Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Solistenkonzert András Schiff – Johann Sebastian Bach
Das Wohltemperierte Klavier (Teil II), BWV 870–893
Salzburger Festspiele, Stiftung Mozarteum, 16. August 2018
von Raphael Eckardt
Kaum ein Pianist erfreut sich auf den verschiedensten Bühnen dieser Welt einer solchen Beliebtheit wie András Schiff. Da verwundert es dann freilich wenig, dass der österreichisch-britische Ausnahmekünstler auch diesmal wieder im Rahmen der Salzburger Sommerfestspiele zu hören und bestaunen war – mit einem Programm, das eigentlich so gar nicht „Schifftypisch“ daherkommt. Wer sich je mit der Person András Schiff beschäftigt hat, der weiß, wie viel Wert dieser Pianist auf äußerte Präzision, dynamische Differenzierung und jede Figur in hochkomplexen Klaviersätzen legt: Schiff gilt unter den Klaviergrößen unserer Zeit oft als der Meister der Kontraste, als akribischer Präzisionsarbeiter oder als König der pianistischen Sorgfalt. Oftmals sind bei Schiffkonzerten Programme zu bestaunen, die zwar von einem roten (und wohl durchdachten) Faden durchzogen werden, aber vor allem von Kontrasten und Überraschungen leben. Dass am vergangenen Donnerstag in Salzburg ausgerechnet (und ausschließlich) der zweite Teil des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach auf dem Programmzettel stand, mochte da zunächst den ein oder anderen Konzertbesucher verwundern.
Wer aber genauer hinsah, der fand eine Programmkonstellation wieder, die vielleicht nicht den allergrößten kompositorischen Kontrast bot, dafür aber keine Fehler verzeihen sollte und vor allem eine Sache ins Licht rückte, die seit Jahren unbestreitbar ist: Das begnadete Talent für musikalisches Feingespür dieses Ausnahmepianisten.
Schiffs Bachinterpretationen bestachen an diesem Abend vor allem durch unwahrscheinliche Klarheit und wohlüberlegte Momente. Bereits zu Beginn (Präludium und Fuge, C-Dur, BWV 870) verschmelzen da musikalische Gegensätze zu herrlich homogenen Gebilden. Sanfte Piani münden in reißend akzentuierte Fortepassagen; noch recht konventionell vorgetragene Soggetti verwandeln sich zunehmend in experimentelle Formen, die Bachs oftmals viel zu statisch vorgetragene Musik in hinreißend fließende Klangströme verwandelt. Alles scheint beweglich, alles scheint wandelbar, aus Bachs hochkomplexen Kompositionen werden da dynamische Prozesse geformt, die sich unaufhaltsam ihren Weg in die Herzen ihrer Zuhörer bahnen.
András Schiff entlockt seinem Flügel auch an diesem Abend wieder die schönsten Töne: Durchzogen von leichter Lieblichkeit dürfte er vor allem mit der Fuge in cis-Moll (BWV 873) auch seine letzten Zweifler überzeugt haben. Schritt für Schritt entwickeln sich da aus einzelnen Themapassagen hochvirtuose Figuralvariationen, die ihren Mehrwert vor allem Schiffs sehr reflektierten agogischen Prozessen zu verdanken haben. Dosiert akzentuierte Staccati münden in elegant vorgetragene Laufpassagen aus feinen Legatobögen, keineswegs überzogen wirkende Akzentuierungen geben Anstöße zu neuen musikalischen Strudeln: Kurzum: Weil Schiff auch bei Bach nichts dem Zufall überlässt, klingt die Klaviermusik des zweifelsfrei genialsten Barockkomponisten dieser Welt so virtuos wie selten. Fabelhaft!
Mit dem Präludium und der Fuge in h-Moll (BWV 893) gelingt Schiff dann ein furioser Finalhöhepunkt, der auch unter den besten Bachinterpreten unserer Zeit seinesgleichen sucht. Die Augen leicht verschlossen vor sich hinträumend glückt Schiff an diesem Abend die „romantische Emotionalisierung“ der Bach’schen Musikmathematik ohne dabei auch nur einen Augenblick kitschig zu wirken. Mystisch vorgetragene Mollmotive, die man isoliert betrachtet, wohl eher bei Mozarts oder Haydns Musik vermuten würde, fügen sich wie rotbraune Blätter harmonisch in eine idyllische Herbstlandschaft. Immer wieder blitzen einzelne Töne wie Sonnenstrahlen auf, die funkelnd für klare Linien und Ordnung sorgen.
In einem Interview erklärte Schiff einmal, sein künstlerischer Werdegang bestünde unter anderem aus einem Prozess des Suchens nach der „Bachschen Ur-Linie“. Es wäre vermessen zu behaupten, diese habe er nun vollends gefunden und offengelegt. Erkennbar ist aber, dass Schiff Bachs Musik an diesem Abend nah am rein Natürlichen interpretiert und damit auf musikalische Experimente á la Glenn Gould verzichtet und stattdessen sehr bewusst, reflektiert und rational agiert. Bei impulsiver, launisch-manisch angehauchter romantischer Klaviermusik mag dieses Konzept so manchem Klassikfreund Kopfschmerzen bereiten, bei barocken Kompositionen wie beispielsweise denen von Johann Sebastian Bach ist es an diesem Abend aber zweifelsohne ein vergoldeter Reingewinn. Chapeau, Herr Schiff, das mache Ihnen erst mal einer nach!
von Raphael Eckardt, 17. August 2018
für klassik-begeistert.de
Lieber Herr Eckardt!
Gab es eine Pause oder spielte András Schiff in einem durch? Falls letzteres der Fall war, wie diszipliniert war das Publikum?
Jürgen Pathy