Foto © David Jerusalem: Andreas Schager
SOLISTENKONZERT ANDREAS SCHAGER
Andreas Schager, Tenor
Helge Dorsch, Klavier
F. Schubert: Die schöne Müllerin, op. 25, D 795
Nach Gedichten von Wilhelm Müller
R. Schumann, Dichterliebe, op. 48
Nach Gedichten von Heinrich Heine
R. Strauss, Zueignung, op. 10, No. 1
Nach dem Gedicht von Hermann von Gilm
R. Wagner, „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, aus: Die Walküre, 1.Akt, WWV 86B
Libretto von R. Wagner
F. Lehár, „Dein ist mein ganzes Herz“, aus: Das Land des Lächelns
Libretto von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda
F. Lehár, „Freunde, das Leben ist lebenswert“, aus: Giuditta
Libretto von Paul Knepler und Fritz Löhner-Beda
Wiener Staatsoper, 28. Februar 2023
von Dr. Rudi Frühwirth
Wie singt ein Tristan-erprobter Heldentenor Lieder von Franz Schubert und Robert Schumann? Ich nehme an, dass viele Klassikbegeisterte so wie ich begierig waren, die Antwort auf diese Frage zu erfahren, denn die Staatsoper war so gut wie ausverkauft.
Beginnen wir mit dem 1823 komponierten Liedzyklus „Die schöne Müllerin“! Von den 25 Gedichten Wilhelm Müllers hat Schubert nur zwanzig vertont, und das aus gutem Grund. Vor allem der Prolog, in dem der Dichter selbst spricht, relativiert die tragisch endende Geschichte des Müllerburschen zu einem Amüsement, „Zu einem funkelnagelneuen Spiel im allerfunkelnagelneusten Styl“. Der Epilog schlägt einen versöhnlichen Ton an, fast eine Abbitte für das erzählte Unheil, und spricht die Hoffnung aus, dass das kurze Leid des Müllers den Lesern und Leserinnen umso längeres Glück bescheren möchte. Eine Vertonung dieser beiden im subjektiven Ton geschriebenen Gedichte hätte die von Schubert intendierte objektive Wirkung völlig zerstört. Die drei restlichen unvertonten Gedichte hat Schubert wohl wegen ihrer Länge zur Seite gelegt. Eine merkbare Lücke im dramatischen Fortgang ist dadurch nicht entstanden.
Aus den Gedichten und ihrer Vertonung ist in den 200 Jahren seit ihrer Entstehung eine unauflösliche Einheit entstanden. Ein Versuch der Interpretation kann daher nur das Gesamtkunstwerk betrachten. Ich erkenne hier drei mögliche Ansätze. Der eine ist die tragische Geschichte einer unerfüllten Liebe, die möglicherweise biographische Bezüge zu Schuberts Leben hat. Ein anderer ist die allgemeine Resignation unter dem repressiven Regime der Biedermeierzeit, die in vielen der Gedichte als auch in der Vertonung zu spüren ist. Der dritte und für mich überzeugendste Ansatz ist die existenzielle Interpretation: das Leben als eine Wanderung, die zwangsläufig nach Liebe und Leid mit dem Tod endet, im letzten Lied unausweichlich und doch sehr tröstlich komponiert. Die letzte Strophe beginn mit den Worten „Gute Nacht“, und das ist auch der Titel des ersten Liedes der „Winterreise“. Ist das bloßer Zufall?
Der Sänger hat also keine leichte Aufgabe, wenn er die vielfältigen Aspekte des Zyklus verdeutlichen will. In meiner Empfindung hat Andreas Schager vor allem versucht, die Geschichte des Müllerburschen überzeugend zu erzählen. Leider hatte er zu Beginn des Konzerts einige Intonationsschwierigkeiten, die gottlob im Lauf des Abends völlig verschwanden. Im höheren Register konnte man Probleme im Ansatz hören, vor allem bei größeren Intervallsprüngen nach oben – solche sind ja in der „Schönen Müllerin“ nicht selten. Generell gelangen dem Sänger die dramatisch bewegten Lieder besser als die sanft ruhenden, was bei einem Opernsänger, der im lyrischen Fach nicht zu Hause ist, nicht weiter verwunderlich ist. Das Zwiegespräch des Müllers mit dem Bach hat er klugerweise ganz weggelassen. „Ungeduld“ (Dein ist mein Herz), „Tränenregen“, „Der Jäger“ und „Trockne Blumen“ gefielen mir ganz besonders; das plötzliche Erblühen der Blumen auf des Müllers Grab war stimmlich grandios geschildert. „Des Baches Wiegenlied“ fiel zum Schluss leider etwas ab, da fehlte mir die ergreifende emotionale Grundierung. Die Klavierbegleitung gab dem Sänger eine verlässliche Stütze, war aber etwas zurückhaltend. Viele Details, besonders der fließende Bach, der ja in vielen Liedern auftaucht, hätten durchaus dynamischer ausfallen können.
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Der knapp zwanzig Jahre später komponierte Zyklus „Dichterliebe“ basiert auf Gedichten von Heinrich Heine, die nur wenige Jahre nach den Gedichten von Wilhelm Müller im Druck erschienen.
Robert Schumann hat zwanzig Gedichte komponiert, aber dann nur sechzehn veröffentlicht . Wie schon der Name des Zyklus besagt, gibt sich der Dichter – im Unterschied zur „Schönen Müllerin“ – als identisch mit dem lyrischen Ich der Gedichte zu erkennen, allerdings wieder teilweise aufgehoben durch die für Heine charakteristische romantische Ironie. Diese ist am klarsten im Gedicht „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ zu erkennen, blitzt aber auch in anderen immer wieder hervor. Ein durchgehender dramatischer Bogen ist – wieder im Unterschied zur „Schönen Müllerin“ – nicht zu erkennen, vielmehr wechseln ernste, sentimentale und träumerische Gedichte einander in bunter Reihenfolge ab. Eine dichterische Einheit, die eine umfassende Interpretation erlauben würde, ist also nicht gegeben. Die reiche Vielfalt der Inhalte hat aber unleugbar ihren eigenen Reiz.
Die Führung der Gesangsstimme in Schumanns kongenialer Vertonung passt zu Andreas Schagers Tenor ganz offensichtlich besser als die „Schöne Müllerin“. Man vergleiche einmal die beiden Eingangslieder, und es wird klar, dass in der „Dichterliebe“ dem Sänger in Bezug auf Leichtigkeit und Gelenkigkeit der Stimme weniger abverlangt wird. Andererseits ist das emotionale Spektrum der Gedichte und damit der Lieder bedeutend größer, sodass der Sänger sich stetig neu orientieren muss. Einige Lieder verlangen ein großes Stimmvolumen, das Schager natürlich problemlos lieferte. In einigen anderen konnte er sein beträchtliches schauspielerisches Talent zur Geltung bringen, was die Wirkung noch weiter steigerte. In der Gesamtschau hat er damit eine mich sehr überzeugende Darbietung gegeben. Die Klavierbegleitung war zwar sicher, aber wieder etwas zu vorsichtig. Besonders im langen Nachspiel zum Abschluss – „Die alten, bösen Lieder“ – wäre der Pianist gefordert, die Liebe und den Schmerz des Dichters noch einmal zu höchstem Ausdruck zu bringen. Da fand ich Helge Dorsch eindeutig zu verhalten.
Die von Andreas Schager gewählten Zugaben waren natürlich „maßgeschneidert“. Zuerst die „Zueignung“ von Richard Strauss, ein Volltreffer, das, was man in Wien einen „aufgelegten Elfer“ nennt. Dann die „Winterstürme“ aus der Walküre, da war Schager einfach perfekt, auch wenn Helge Dorsch gegen Ende beim Umblättern die Noten etwas verrutschten. Großer Lacherfolg, als Schager in seiner unwiderstehlich sympathischen Art das als Effekt der Winterstürme erklärte.
Als Abschluss dann noch zwei Arien von Lehár, in den Worten Andreas Schagers eine Hymne an die Liebe (Dein ist mein ganzes Herz) und eine Hymne an das Leben (Freunde, das Leben ist lebenswert). Hier konnte er seine Stärken noch einmal voll ausspielen, allen voran die sichere strahlende Höhe, ohne irgendwelche Anzeichen von Ermüdung. Eigentlich erstaunlich nach fast zwei Stunden mit nur einer Pause. Das Publikum dankte es ihm und Helge Dorsch begeistert und ausdauernd.
Dr. Rudi Frühwirth, 3. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Franz Schubert, Die Winterreise, Florian Boesch, Bariton, Theater an der Wien, 29. Januar 2022
CD-Rezension: Franz Schubert, WINTERREISE, Benjamin Hewat-Craw, Yuhao Guo
Der gute Ordnung halber und zur Leserinformation: die Staatsoper war nicht ausverkauft, die Galerie sogar gesperrt und die wenigen Kunden dort oben verteilt. Der Optik wegen. Ich fand drei leere Sitze am Balkon und fand den Abend mühsam, künstlerisch wertlos.
Zum Finale hin = Zugaben nett.
Fred Keller