Eine große Stimme füllt das Haus am Ring

Solistenkonzert, Lise Davidsen, Sopran, James Baillieu, Klavier  Wiener Staatsoper, 28. September 2023

Lise Davidsen © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Alles in allem: ein großer Abend mit einer großartigen Sängerin und einem hervorragenden Begleiter am Klavier. Nur ein Wunsch blieb offen: Lise Davidsen einmal als Elisabeth, als Desdemona, als Marschallin, als Leonora oder als Leonore auf der Bühne unserer Staatsoper zu hören und zu sehen!

Solistenkonzert

Lise Davidsen, Sopran

James Baillieu, Klavier


Wiener Staatsoper, 28. September 2023

von Dr. Rudi Frühwirth

Das Programm des Lieder- und Arienabends von Lise Davidsen, begleitet von James Baillieu am Klavier, war so interessant wie vielfältig. Die Sängerin begann mit Werken aus ihrer norwegischen Heimat, drei Liedern aus dem Opus 69 von Edvard Grieg. Komponiert im Jahr 1900, sprechen die Lieder eine spätromantische Tonsprache mit ungewöhnlichen Modulationen und Tonartrückungen. Die Nummer 1 handelt von einem schönen Mädchen in einem Boot auf dem See. Von diesem Lied gibt es eine Aufzeichnung mit Kirsten Flagstad, die einen Vergleich der beiden Stimmen erlaubt. Davidsens Timbre ist deutlich heller, mit etwas stärker ausgeprägtem Vibrato. Die Nummer 2 beschreibt die mütterlichen Gefühle einer Frau für ihren kleinen Sohn, die Nummer 6 eine Traumvision. Die Interpretation war den Texten feinsinnig angepasst; im letzten der drei Lieder beeindruckte mich das makellose Piano der Sängerin.

Die folgende Arie der Manon Lescaut verlangt in meiner Sicht eine weniger dramatische Stimme als die von Lise Davidsen; das hohe B gegen Schluss ließ doch etwas an Wohlklang vermissen. Die beiden folgenden Stücke aus Opern von Verdi waren hingegen wunderbar gesungen. In der Arie der Amelia aus dem „Maskenball“ bewunderte ich den klaren und sicheren Ansatz der hohen Töne; die Verzweiflung der Amelia war überzeugend zum Ausdruck gebracht. Beim „Ave Maria“ aus „Otello“ konnte ich die Tränen kaum zurückhalten, so rührend war die Unschuld der Desdemona hörbar. Das hohe As am Ende des letzten Ave war perfekt im Piano angesetzt. Sehr beeindruckend!

Die vier Lieder von Sibelius, die Lise Davidsen für diesen Abend ausgewählt hatte, sind recht opernhaft und dadurch ihrer Stimme und ihrem dramatischen Talent absolut angemessen. Wie schon in den vorhergehenden Stücken waren Sängerin und Pianist glänzend aufeinander eingestimmt. Ich nehme an, dass die Lieder in Wien nicht allzu oft aufgeführt werden. Mir waren sie leider unbekannt,  hinterließen jedoch musikalisch wie textlich einen schönen Eindruck.

Der erste Teil schloss mit einem Auszug aus dem „Tannhäuser“: Dich, teure Halle, grüß ich wieder! Die Arie, wenn ich sie denn so bezeichnen darf, der Elisabeth ist natürlich im Kernrepertoire der Sängerin; entsprechend brillant war die Ausführung. James Baillieu ist ein exzellenter Begleiter, aber in diesem Stück war das Fehlen des Orchesters schmerzlich fühlbar, sosehr der Pianist sich auch bemühte.

Das erste Werk nach der Pause war die bekannte Arie „Pace, pace, mio Dio“ der Leonora aus der „Macht des Schicksals“, die wir vor vielen Jahren in meiner Stehplatzzeit höchst respektlos die „Patschenarie“ nannten. In diesem Stück konnte Davidsen alle Stärken ihrer Stimme ausspielen, vom kontrollierten Piano bis zum dramatischen Höhepunkt am Ende. Hier kam das hohe B strahlend zur Geltung.

Ein großer Sprung zurück in der Zeit führte uns zu Franz Schubert, aus dessen Werk Lise Davidsen vier Lieder ausgewählt hatte, von denen drei zu seinen bekanntesten gehören: „An die Musik“, „Gretchen am Spinnrade“ und der „Erlkönig“. Die ersten beiden waren wunderbar interpretiert, sowohl gesanglich als auch in der Klavierbegleitung, die mir hier besonders gut gefiel. Der „Erlkönig“ war ziemlich rasch angesetzt, wodurch die erschreckende Drohung „… so brauch ich Gewalt“ nicht genügend zur Geltung kam. Auch denke ich, dass es für eine Sopranistin im Vergleich zu einer Männerstimme deutlich schwieriger ist, die vier Akteure (Erzähler, Vater, Sohn, Erlkönig) zu differenzieren. Das vierte Lied, die „Litanei auf das Fest Allerseelen“, bildete einen tröstlichen Konstrast zum tragischen Ende des vorangegangenen. Die Sängerin verstand es, hier eine geradezu himmlisch Ruhe auszudrücken.

Auch in der Arie der Leonore aus „Fidelio“, die mit dem Rezitativ „Abscheulicher, wo eilst du hin“ eingeleitet wird, vermisste ich den Orchesterklang. Die Rolle der Leonore ist Davidsen sozusagen auf den Leib geschrieben; entsprechend begeisternd war die Ausführung.

Den Abschluss des Programms bildeten zwei Werke der leichten Muse. Für das Lied „Heia, heia! In den Bergen“ aus der „Csárdásfürstin“ ist Lise Davidsen eine ideale Interpretin; von der Nummer „I could have danced all night“ aus „My Fair Lady“ möchte ich das nicht unbedingt behaupten – die Kunstform Musical halte ich nicht für die Domäne der großen Opern- und Liedsängerin.

© Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Die erste Zugabe, das Gebet der Tosca „Vissi d’arte“ war nochmals ein großer Auftritt, der das Publikum zu stehenden Ovationen anfeuerte. Die zweite und letzte Zugabe war ein mir unbekanntes Lied – ich vermute wieder von Grieg – das einen besinnlichen Abschluss bot.

Alles in allem: ein großer Abend mit einer großartigen Sängerin und einem hervorragenden Begleiter am Klavier. Nur ein Wunsch blieb offen: Lise Davidsen einmal als Elisabeth, als Desdemona, als Marschallin, als Leonora oder als Leonore auf der Bühne unserer Staatsoper zu hören und zu sehen!

Dr. Rudi Frühwirth, 30. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm:

Edvard Grieg: 3 Lieder aus op. 69

Giacomo Puccini: Sola, perduta, abbandonata
Arie der Manon aus „Manon Lescaut“

Giuseppe Verdi: Morrò, ma prima in grazia
Arie der Amelie aus „Un ballo in maschera“

Giuseppe Verdi: Ave Maria
Arie der Desdemona aus „Otello“

Jean Sibelius: 4 Lieder aus op. 37 und op. 36

Richard Wagner: Dich, teure Halle
Arie der Elisabeth aus „Tannhäuser“

Giuseppe Verdi: Pace, pace, mio Dio
Arie der Leonora aus „La Forza del Destino“

Franz Schubert: 4 Lieder, D 547, D 118, D 328, D 343

Ludwig van Beethoven: Abscheulicher, wo eilst Du hin
Rezitativ und Arie der Leonore aus „Fidelio“

Emmerich Kálmán: Heia, heia! In den Bergen                                                                      Lied der Sylva aus „Die Csárdásfürstin“

Frederick Loewe: I could have danced all night
Lied der Eliza aus „My Fair Lady“

Interview mit Lise Davidsen von Kirsten Liese klassik-begeistert.de, 17. Juli 2023

Kirill Petrenko, Berliner Philharmoniker, Lise Davidsen, Christian Gerhaher Philharmonie Berlin, 9. Juni 2022

CD Rezension: Lise Davidsen, Leif Ove Andsnes, Edvard Grieg, klassik-begeistert.de

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