Sommereggers Klassikwelt 25: Die Oper und der (reale) Tod

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Der berühmte Wagner-Dirigent Felix Mottl erlitt am Münchner Hof-und Nationaltheater während einer Tristan-Aufführung am 21. Juni 1911 einen Schlaganfall, dessen Folgen er am 2. Juli erlag. Foto: wikipedia.de (c)

von Peter Sommeregger

Oper ist zumeist mit großen Emotionen verbunden. Wem greift es nicht ans Herz, wenn sich Mimi in La Bohème an der Schwindsucht verröchelt, Gilda in Rigolettos Armen verblutet oder Senta zur Erlösung des fliegenden Holländers in den Tod springt? Die Variationen über das Thema Tod und Sterben reichen vom Meuchelmord an Siegfried bis zur spirituellen Transformation von Isolde.

Gestorben wird in der Oper beinahe jeden Abend,  Werke, die von allen Protagonisten auf der Bühne überlebt werden, sind eher die Ausnahme.

Es  konnte nicht ausbleiben, dass aus dem Spiel bisweilen auch Ernst wurde. Sowohl Singen, als auch Dirigieren sind anstrengende Tätigkeiten, bei deren Ausübung das Herz plötzlich stehen bleiben kann.

Hier ein paar Beispiele von spektakulären Sterbefällen, die im Libretto so nicht vorgesehen waren:

Der höchst erfolgreiche polnische Tenor Joseph Mann brach am 5. September 1921 während einer Aida-Aufführung auf der Bühne der Berliner Staatsoper plötzlich tot zusammen, gerade einmal 38 Jahre alt. Er stand kurz vor der Abreise nach New York, wo er an die Metropolitan Opera engagiert worden war.

Der Bariton Leopold Demuth, eine der berühmtesten Bariton-Stimmen seiner Zeit,starb am 15. März 1910 während eines Liederabends in Czernowitz, nachdem er erst am Abend zuvor noch an der Wiener Hofoper den Wotan im Rheingold gesungen hatte. Er wurde nur 48 Jahre alt.

Nur ein Jahr älter war der Star-Bariton der New Yorker Met, Leonard Warren, der während einer Aufführung von Verdis „Forza del Destino“ plötzlich einem Herzinfarkt erlag. Für Liebhaber von Zahlenspielen: der Tod ereilte ihn einen Tag vor Demuths 50. Todestag, nämlich am 4. März 1960

Einen besonders spektakulären Abgang verschaffte sich unfreiwillig der amerikanische Tenor Richard Versalle auf der Bühne der Metropolitan Opera in New York. Im ersten Akt von Janaceks „Die Sache Makropulos“ stürzte er tot von einer Bibliotheksleiter. Da dieses Werk den meisten Zuschauern unbekannt war, realisierten sie erst nach einer Weile, dass das Stück auf einmal zu einer echten Tragödie geworden war. Versalle war 63 Jahre alt und hatte seine größten Erfolge zuvor an Deutschen Opernhäusern und in Bayreuth gefeiert.

Auch Bühnenunfälle können durchaus tödlich enden: Der zu seiner Zeit berühmteste Heldentenor Max Alvary, der von Bayreuth bis New York nicht zuletzt wegen seines blendenden Aussehens gefeiert wurde, stürzte im Jahr 1893 während einer Probe zu „Siegfried“ am Mannheimer Hoftheater in einen nicht abgedeckten Schacht auf der Bühne. Zunächst überlebte er diesen Unfall, litt aber schwer an dessen Spätfolgen, denen er schließlich 1898, gerade einmal  42-jährig ,erlag.

Unvergessen ist auch der tragische Tod des aufstrebenden Baritons Wolfgang Anheisser: Der 44-jährige stürzte während der Neujahrsvorstellung von Millöckers „Der Bettelstudent“ auf der Bühne des Kölner Opernhauses so unglücklich, dass er seinen Verletzungen wenige Tage später erlag. Eine verheißungsvolle Karriere fand so ein tragisches vorzeitiges Ende.

Aber auch Dirigenten sind nicht vor solchen Schicksalen gefeit: Der berühmte Wagner-Dirigent Felix Mottl erlitt am Münchner Hof-und Nationaltheater während einer Tristan-Aufführung am 21. Juni 1911 einen Schlaganfall, dessen Folgen er am 2. Juli erlag. Zuvor hatte er noch auf dem Totenbett die Sängerin Zdenka Faßbender geheiratet. Eine makabre Duplizität der Fälle war der Tod Joseph Keilberths am gleichen Ort und ebenfalls während einer Aufführung von „Tristan und Isolde“ am 21. Juli 1968. Aller schlechten Dinge sind offenbar auch drei: am 30. Mai 1989 stirbt ebenfalls am Pult des Nationaltheaters München der italienische Dirigent Giuseppe Patane während einer Aufführung des „Barbier von Sevilla“.

Ein ähnliches Schicksal war seinem Namensvetter Giuseppe Sinopoli bestimmt, der in der Deutschen Oper Berlin am 20. April 2001 während jener Aida-Aufführung starb, die eigentlich der Auftakt für seine Rückkehr an das Haus bilden sollte.

Das reale Leben und Sterben folgt eben doch seiner eigenen Dramaturgie.

Peter Sommeregger, 4. März 2020 für
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Peter Sommeregger

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Ricardo Muti und Anna Netrebko. Seit 25 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de .

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