von Peter Sommeregger
Zu Beginn der 1960er Jahre manifestierte sich meine Opernbegeisterung immer stärker, und so wurde ich Stammgast auf den Stehplätzen der Wiener Staatsoper. Für gerade einmal fünf Schillinge konnte man dort Aufführungen auf höchstem Niveau hören, das Sängerensemble bewegte sich auf schwindelnder Höhe. Damals hatte man manchmal das Luxusproblem, dass wieder einmal „nur“ die Jurinac, Güden, oder Seefried sangen. Uns wenig über Wien hinaus Informierten entging, dass z.B. Hilde Güden neben der Wiener Staatsoper die Met in New York als zweites Standbein hatte.
Meine Qualitätsstandards haben diese Jahre aber nachhaltig geprägt, über manche der heute hochgejubelten Stars kann ich nur mitleidig lächeln. Das Bessere war eben schon immer der Feind des Guten.
Manche der herbeigewünschten gastierenden aktuellen Stars enttäuschten bei ihren Wiener Auftritten, und auf einmal wusste man wieder, was man an den vertrauten Stammsängern hatte.
Der Tenor Waldemar Kmennt, ein Ur-Wiener, war in dieser Zeit so etwas wie die Allzweck-Waffe des Hauses. Der 1929 Geborene wollte ursprünglich Pianist werden, schlug dann aber doch die Sängerlaufbahn ein.
Direkt vom Studium weg wurde er 1951 als lyrischer Tenor an die Staatsoper verpflichtet, sang anfangs noch in den Ausweichquartieren Theater an der Wien und Volksoper. Bei der Wiedereröffnung des Hauses am Ring sang er den Jaquino im „Fidelio“. Anfangs nur im lyrischen Fach unterwegs, entwickelte sich seine Stimme in Richtung Spinto-Tenor, wobei er mit großer Sorgfalt und Skrupeln Partien dieses schwereren Faches sang, und das zumeist nicht in Wien.
Einen späten Triumph erlebte er z.B. 1968-70 in Bayreuth als Walter von Stolzing, oder am Teatro Colón in Buenos Aires als Kaiser in der „Frau ohne Schatten“. Seine Stärke bestand in seiner Vielseitigkeit, Mozart-Partien zählten ebenso wie solche in Richard-Strauss-Opern zu seinem Kernrepertoire, man konnte ihn aber auch in „La Bohème“, „Tosca“ und anderen Partien erleben.
Sein kerniges, leicht baritonal gefärbtes, vor allem aber unverwechselbares Timbre gefiel mir sehr gut. Als ich später in München lebte, war ich hoch erfreut, ihn dort immer wieder als Gast zu erleben, z.B. als Bacchus in „Ariadne auf Naxos“ oder Menelas in der „Liebe der Danae“.
Gut 35 Jahre blieb Waldemar Kmennt Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, in dieser Zeit brachte er es auf annähernd 1500 Auftritte. Seinen letzten auf dieser Bühne hatte er in der Sprechrolle des Haushofmeisters in „Ariadne auf Naxos“. Nicht vergessen darf man seine ausgedehnte Konzertkarriere, das Tenorsolo in der IX. Symphonie von Beethoven und jenes in der Missa Solemnis waren seine Paradestücke, die auch auf zahlreichen Schallplatten festgehalten sind.
Nach dem Ende seiner Karriere widmete er sich viele Jahre der Ausbildung des Sängernachwuchses.
Im Alter von 85 Jahren starb Kennt am 21. Januar 2015 und wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet.
Bei meinen Friedhofsbesuchen vergesse ich nie, dem Idol meiner Stehplatzjahre einen Besuch abzustatten.
Peter Sommeregger, 17. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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