Sommereggers Klassikwelt 292: Rettet die Oper!

Sommereggers Klassikwelt 292: Rettet die Oper  klassik-begeistert.de, 27. August 2025

Piotr Beczała und Sonya Yoncheva © Wiener Staatsoper

von Peter Sommeregger

Dieser Appell klingt vielleicht verwunderlich, ist die Oper doch scheinbar höchst lebendig, kann volle Häuser mit hohen Auslastungszahlen vorweisen und wird nach wie vor von vielen Menschen geliebt. Das alles bedeutet aber nicht, dass der Patient wirklich gesund ist. Wenn man mit einem über 70-jährigen Erinnerungszeitraum auf eigene Opernerlebnisse, aber auch auf Veränderungen, verschiedene Tendenzen und Entwicklungen zurückblickt, muss man besorgt sein.

Kein Mensch kann erwarten oder wünschen, dass sich in den letzten Jahrzehnten nichts geändert hätte. Das wäre lebensfremd und auch gar nicht wünschenswert. Bedenklich ist aber die Verlagerung der Schwerpunkte, diese heißgeliebte Kunstform betreffend. Waren die Ausstattungen der meisten Inszenierungen in meiner Jugend noch sehr konventionell, bei den vielen historischen Stoffen waren Plüschsofas, gepuderte Perücken und Krinolinen, ähnlich bis zur Austauschbarkeit, obligatorisch. Häufig gespielte Repertoirestücke wurden in Inszenierungen gezeigt, die man irgendwann auswendig kannte, aber auch als vertraute alte Bekannte betrachtete. Man ging ja schließlich wegen der wechselnden Sängerbesetzungen in die gleichen Stücke.

Über die Jahre wurden die Inszenierungen immer anspruchsvoller, was nicht gleichbedeutend mit verbesserter Qualität war. Unmerklich, über einen längeren Zeitraum, erstritt sich die Regie das Primat über die Oper, das allmählich schrumpfende Feuilleton bereitete dieser Entwicklung einen fruchtbaren Boden, konnte man doch spaltenlang über die Inszenierungen schreiben.

Das schwindende Wissen über Gesang ließ sich damit bestens kaschieren, für detaillierte Würdigung der Gesangsleistungen war kein Platz mehr. Das hatte fatale Folgen, weil das Publikum selbst beginnen musste, diese einzuordnen. Mangels Fachwissen und Vergleichsmöglichkeiten verhalf dies Sängern der bestenfalls zweiten Garnitur zu unverdienten Höhenflügen. Wenn jemand erst einmal dafür berühmt ist, berühmt zu sein, werden Auftritte und Folgeengagements zu Selbstläufern.

Mindestens eine komplette Generation von Opernbesuchern kennt die Säulen des Repertoires, Mozart, Verdi, Wagner nur noch in werkentstellenden Inszenierungen und mediokren Sängerbesetzungen.

Ich kann mich glücklich schätzen, meine Maßstäbe noch von dem legendären Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung erhalten zu haben. Ein großartiges Beispiel für umfassendes Wissen um den Gesang in der Oper ist auch das Standardwerk des amerikanischen Musikjournalisten Irving Kolodin, „The Metropolitan Opera 1833 to 1966“, der akribisch die Leistungen der Sänger an dem Opernhaus beschreibt. Sein Urteil, wenn es auch historische Künstler betrifft, kann man immer noch als beispielhaft für die Einschätzung von Gesangsleistungen mit viel Gewinn lesen.

Die Kunstform Oper sollte sich davor hüten, zum Event zu verkommen.

Tendenzen dazu sind da, man denke nur an die Auswüchse beim Applaus, der häufig in Fußballplatz-Manier erfolgt. Hat dann noch ein „angesagter“ Regisseur gewütet und sind berühmte, weil berühmte Sänger aufgetreten, bewegt sich die Oper jauchzend ein Stück weiter ihrer Banalisierung entgegen.

Noch wehren sich Dirigenten gegen Eingriffe auch in die Partituren, aber deren Kaperung steht längst auf der Prioritätenliste bestimmter Regisseure. Die Libretti werden ohnehin bereits vom Bühnengeschehen abgekoppelt, Text und gezeigte Handlung driften immer stärker auseinander.

Die Intendanten werden die Oper nicht retten, sie buhlen ja förmlich um die angesagten Regisseure, demnächst wird ein solcher sogar Intendant in einer deutschen Großstadt. In Berlin hat er sich gerade mit der Inszenierung, bzw. Vernichtung von drei Richard-Strauss-Opern ins Gespräch gebracht.

Wie singt Wagners Fliegender Holländer? „Fahr hin mein Heil, in Ewigkeit!“

Peter Sommeregger, 26. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint 14-tägig jeweils am Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

Sommereggers Klassikwelt 291: Das Opernpublikum klassik-begeistert.de, 13. August 2025

Sommereggers Klassikwelt 290: Wie sehr sich Regie in der Oper verändert hat <br< klassik-begeistert.de, 30. Juli 2025

Sommereggers Klassikwelt 289: Stuart Burrows klassik-begeistert.de, 16. Juli 2025

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert