Sommereggers Klassikwelt 96: Carl Czerny – mehr als nur Etüden

Sommereggers Klassikwelt 96: Carl Czerny – mehr als nur Etüden

„Klavierschüler, die an seinen Etüden verzweifeln, sollten vielleicht einmal seine großartigen Klavierkonzerte hören, die würden sie mit Sicherheit mit dem Pädagogen Czerny versöhnen!“

 von Peter Sommeregger

Der Nachruhm des in Mozarts Sterbejahr 1791 geborenen und am 15. Juli 1857 in seiner Geburtsstadt Wien verstorbenen Komponisten ist durchaus zwiespältig. Ganze Generationen von Klavierschülern haben schlechte Erinnerungen an das Üben mit Czernys Etüden, die generell als langweilig empfunden wurden. Darüber ist die Person Czerny und sein weit über Klavier-Etüden hinausgehendes Werk weitgehend in Vergessenheit geraten.

Carl wurde 1791 in eine musikalische Familie hineingeboren, sein Vater Wenzel verdiente sein Brot als Klavierlehrer, so wurde dem Kind der spätere Beruf praktisch schon in die Wiege gelegt. Der Name deutet auf eine Abstammung aus dem böhmischen Teil der Donaumonarchie hin. Ersten Unterricht bis zur Konzertreife erhielt Czerny vom Vater. Mit neun Jahren spielte er Ludwig van Beethoven vor, der das Talent des Kindes erkannte und ihn ohne Bezahlung drei Jahre lang unterrichtete. Die Verbindung zu Beethoven blieb bestehen, im Jahr 1812 spielte Czerny den Solopart in der ersten öffentlichen Aufführung von dessen 5. Klavierkonzert in Wien.

Czerny setzte seine Studien bei Muzio Clementi und Johann Nepomuk Hummel sowie Antonio Salieri fort, trat aber relativ selten als Konzertpianist in Erscheinung, da er unter starkem Lampenfieber litt. Er erwarb sich frühzeitig einen guten Ruf als Pädagoge, so finden sich unter seinen Schülern große Namen wie Franz Liszt, Anna Caroline de Belleville, Theodor Leschetitzky, aber auch Beethovens Neffe Karl.

Durch die schier überwältigende Zahl seiner Lehrwerke und Etüden hat Czerny sich schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt. Wegen dieser Lehrwerke, die bis heute eine weltweite Verbreitung fanden, geriet Czernys eindrucksvolles kompositorisches Werk völlig in Vergessenheit. Der Komponist schuf die unerhörte Zahl von etwa 1000 Kompositionen verschiedenster Art, darunter Sinfonien, Klavierkonzerte, Kirchen- und Kammermusik. In den letzten Jahren gelangten einige seiner Werke auf Tonträger. Hört man seine Klavierkonzerte, die neben technischen Finessen durchaus auch künstlerische Substanz haben, bedauert man Czernys mangelnde Präsenz in den Konzertsälen. Er hat Werke geschaffen, die eine Wiederaufführung wünschenswert machen.

In seinen letzten Lebensjahren hatte Czerny verstärkt mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, musste seine Lehrtätigkeit aufgeben. Als er 1857 starb, hinterließ er ein stattliches Vermögen, das er testamentarisch verschiedenen wohltätigen Zwecken zuführte.

Sein Ehrengrab  befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof, im 20. Wiener Gemeindebezirk wurde bereits 1907 die Carl-Czerny-Gasse nach ihm benannt. Klavierschüler, die an seinen Etüden verzweifeln, sollten vielleicht einmal seine großartigen Klavierkonzerte hören, die würden sie mit Sicherheit mit dem Pädagogen Czerny versöhnen!

Peter Sommeregger, 14. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Peter Sommeregger

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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