Kommentar zur neuen Opernspielzeit: Hamburg möchte sich zurück an der Spitze melden... und macht immer wieder die gleichen Fehler!

Staatsoper Hamburg Spielzeitpräsentation 2024/25  Staatsoper Hamburg, 11. März 2024

Staatsoper Hamburg © Westermann

Pünktlich zum Auftakt der Italienischen Opernwochen hat die Hamburgische Staatsoper nun den letzten Spielplan unter dem viel kritisierten Team um Intendant Georges Delnon und Generalmusikdirektor Kent Nagano veröffentlicht. Während die Gesangs- und Regiebesetzungen dieses einst weltberühmten Opernhauses wieder stark in Richtung Spitzenliga bringen könnten, bremsen die Verantwortlichen dieses Potential vor allem im Graben aus. Dreimal Wagner, dreimal Strauss, davon fünfmal mit Nagano am Pult, wie bitte? Was läuft denn da schief?


von Johannes Karl Fischer

Immerhin: Dreimal Richard Strauss, dreimal Richard Wagner, einige interessante Raritäten. Auf den Besetzungslisten stehen unter anderem Tomasz Konieczny, Ambrogio Maestri und Vida Miknevičiūtė. Alles Größen, die man in den letzten Jahren an der Dammtorstraße schmerzlichst vermisst hat. Und nicht zuletzt macht Calixto Bieito die Regie bei der Saisoneröffnungspremiere. Lautstarke Buhrufe sind wohl gleich am ersten Abend vorprogrammiert! Soweit die guten Nachrichten. Hamburg marschiert in einer Einbahnstraße zurück an die Opernspitze…

Oder? Schaut man etwas genauer auf den Spielplan, so wiederholen die Verantwortlichen offensichtlich die gleichen Fehler wie in den letzten Jahren immer wieder. Natürlich ist das Staatsorchester seit langem – wahrscheinlich seit Jahrzehnten – die Großbaustelle schlechthin der Hamburgischen Staatsoper. Und ja, in letzter Zeit hatte ich kaum Negatives über die Musik aus dem Graben am Gänsemarkt zu berichten. Das liegt vor allem an der zurzeit auffällig niedrigen Fehlerquote. Es geht also auch mit diesem Orchester. Der jüngste Tannhäuser hat es bewiesen.

Aber… Generalmusikdirektor Kent Nagano scheint seit Jahren vor allem mit den Werken von Richard Strauss und Richard Wagner stets überfordert. Exemplarisch zur Elektra-Premiere (November 2021) lautete meine Einschätzung: „Er [Nagano] hatte offensichtlich kein Bedürfnis, den Richard Strauss-Klang aus diesem Orchester zu holen“.

Die Holländer-Premiere fast ein Jahr später war auch nicht besser. Das meinte neben mir unterem anderem auch Joachim Mischke (Hamburger Abendblatt): „Kent Nagano lässt den fliegenden Holländer verplätschern.“ Wieder ein Jahr später, Salome-Premiere, gleiches Thema. Darüber schrieb Jürgen Kesting (FAZ): „Der Aufführung fehlte es an Spannung, Atmosphäre, sensualistischem Zauber… In den Beifall für das Ensemble mischten sich denn auch deutliche Buhrufe, als Kent Nagano von Asmik Grigorian auf die Bühne geholt wurde.“

Das Urteil ist recht eindeutig: Nagano fährt Strauss und Wagner durchgehend im Leerlauf.

Sechsmal stehen die beiden Richards in der kommenden Spielzeit auf dem Spielplan und fünfmal (!!) dirigiert Nagano. Elektra, Salome und Holländer compris. Wie bitte? Was läuft da denn schief?

Eine Kommentatorin bei klassik-begeistert fasst es zusammen: „Ich sehe bei KN [Kent Nagano] auch Schwächen bei deutscher Spätromantik aber Stärken im französischem und außerdem zeitgenössischem Repertoire.“ Richtig. Und was dirigiert Herr Nagano, nein, was lassen die Verantwortlichen ihn dirigieren? Deutsche Spätromantik. Quasi ein Komplett-Paket aller Werke, für die sich der Noch-Chefdirigent an der Dammtorstraße wiederholt als Fehlbesetzung bewiesen hat.

Es wird noch besser: Parsifal, bislang quasi das einzige Wagner-Werk, welches Nagano mindestens ordentlich, wenn nicht sogar sehr überzeugend dirigieren konnte, wird – Achtung, jetzt kommt’s – NICHT vom Herrn Generalmusikdirektor dirigiert. Vielleicht wird ja Usain Bolt demnächst Kugelstoßen und Mo Farah Fußballspielen…

Herr Nagano ist bisweilen ein fantastischer Dirigent, sein etwas ruhigerer Ansatz liefert bei Poulencs Dialogues des Carmélites grandiose Resultate und selbst für Tannhäuser funktioniert das. Es ist mir trotzdem schleierhaft, wie ein Haus mit halbwegs hohen Ansprüchen einen Dirigenten, der schon bei Elektra offenbar fehl am Platz war, Holländer oder Salome dirigieren lassen kann. Geschweige denn alle drei in einer Spielzeit.

Und es geht auch anders. Zum Beispiel mit Ádám Fischer. Bei zwei Premieren in letzter Zeit – Don Giovanni und die Entführung aus dem Serail – sowie jüngst beim Fliegenden Holländer stand er am Pult. Fazit: Wenn er aufs Podium steigt, macht die Musik plötzlich wieder Spaß, da geht man nicht trotz, sondern schon wegen des Orchesters in die Oper am Gänsemarkt. Das sind dieselben Musiker und MusikerInnen, die bei fast jeder Strauss- und Wagner-Premiere regelrecht ausgebuht werden.

Übrigens sehen viele im Graben die Dirigatssituation ähnlich differenziert wie im Publikum.

Lieber Herr Delnon: Haben Sie schonmal eine einzige Richard Strauss- oder Wagner-Oper mit einem Dirigat der Liga Thomas Guggeis, Franz Welser-Möst oder Joana Mallwitz gehört? Von Christian Thielemann mal ganz zu schweigen…

Auffällig: Erstmals seit vielen Jahren singt der Dithmarscher Althornist turned Bayreuth-Stolzing nicht an seinem (ehemaligen) musikalischen Heimathafen. Ja, Klaus Florian Vogt hat mal als Hornist in Hamburger Staatsorchester angefangen und gehört mittlerweile zu den wichtigsten Wagner-Tenören der Opernwelt. Er ist sozusagen das Urgestein-Stolz dieses Hauses. Zurecht. Und in den letzten Jahren hat er die Opernfahne der Dammtorstraße mächtig hochgehalten.

So ein Tenor kann sich aussuchen, unter welchem Dirigat er Parsifal, Tristan oder Tamino singen will. Nagano konnte dieses Rennen anscheinend nicht für sich entscheiden. Für Parsifal muss man sich jetzt mit Benjamin Bruns, für Tristan mit Simon O’Neill zufriedengeben. Während Bruns in seiner noch jungen Karriere rapide Richtung Klaus-Florian-Vogt-Klasse rast, wird sich Simon O’Neill deutlich steigern müssen, um aus der zweiten bis dritten Tenor-Liga aufzusteigen.

Fazit: Die Staatsoper Hamburg hat ein dringend zu behebendes Dirigatsproblem. Das Problem heißt viel weniger Kent Nagano als die Verantwortlichen, die es einfach nicht schaffen, für die richtigen Vorstellungen die richtigen Künstler aufs Pult zu stellen. Das Problem ist seit Jahren bekannt. Und man scheint einfach nicht aus den eigenen Fehlern zu lernen.

Liebe Staatsoper Hamburg: Bitte tun Sie Ihrem Publikum das nicht an und besetzen sie mindestens  bei Elektra, Salome und beim Holländer die Orchesterleitung um. Ein Weltklasse-Sänger wie Tomasz Konieczny hat mindestens ein ordentliches Dirigat verdient. Und es gibt auch jenseits von Christian Thielemann Leute, die anständig Wagner leiten können.

Johannes Karl Fischer, 17. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Kent Nagano, Anton Bruckner, Sinfonie Nr. 5 B-Dur Elbphilharmonie, Großer Saal, 4. März 2024

Der Dirigent Kent Nagano im Super-Stress 18./19. Februar 2024, Elbphilharmonie, Staatsoper Hamburg

Richard Strauss, Salome, Asmik Grigorian, Kent Nagano Staatsoper Hamburg, 29. Oktober 2023

 

7 Gedanken zu „Staatsoper Hamburg Spielzeitpräsentation 2024/25
Staatsoper Hamburg, 11. März 2024“

  1. „Lieber Herr Delnon: Haben Sie schonmal eine einzige Richard Strauss- oder Wagner-Oper mit einem Dirigat der Liga Thomas Guggeis, Franz Welser-Möst oder Joana Mallwitz gehört? Von Christian Thielemann mal ganz zu schweigen…“

    Lieber Johannes Fischer, als seeeehr eifriger Operngänger habe ich Herrn Delnon, der nur 850 Meter von „seiner“ Staatsoper Hamburg entfernt wohnt, binnen knapp 10 Jahren nicht in einer einzigen Repertoire-Vorstellung gesehen.

    Dafür begegnete ich ihm regelmäßig in durchlöcherten T-Shirts auf der Straße.

    Andreas Schmidt, Herausgeber

    1. Bitte nix gegen durchlöcherte Jeans „Ironie off“. Adjustierung ist generell Geschmackssache, aber von einem Direktor eines renommierten Opernhauses darf man schon anderes erwarten. In beiden Punkten hat der Direktor der Wiener Staatsoper Herrn Delnon dann ja was voraus: Bogdan Roščić hab ich schon ab und zu als Besucher einer Vorstellung im Haus gesehen. Gekleidet ist er sowieso immer seiner Position entsprechend im Anzug samt Hemd.

      Jürgen Pathy

      1. Lieber Herr Pathy, wie wollen Sie Direktor Bogdan Roščić von Galerie Stehplatz aus in der Direktionsloge (1. Rang 13 rechts) sehen? Ich habe ihn bisher noch in jeder Vorstellung, die ich besucht habe, gesehen (und ich gehe üblicherweise nicht in Premieren). Er sitzt allerdings meist in der zweiten Reihe, so dass man schon genau schauen muss. Aber er pflegt offensichtlich die gute Tradition eines Direktors, der in der Vorstellung sitzt. Unterstellungen von „ab und zu“ sind schlicht falsch.
        Mit freundlichen Grüßen,
        Dr. Eva Arts

        1. Liebe Frau Dr. Arts,

          von der Galerie links ist das bestens zu erkennen. Dass Roščić in Reihe 2 sitzt, ist mir nicht fremd. Ebenso in welcher Loge.

          Jürgen Pathy

  2. Sehr geehrter Herr Fischer,

    Erlauben Sie mir einen Kommentar zu wiederholen, der an andere Stelle steht aber unmittelbaren Bezug auf Ihren Bericht hat:

    Wie, wenn überhaupt, reagieren Peter Tschentscher, Bürgermeister von Hamburg, und Dr. Carsten Brosda, Redakteur, seit Februar 2017 Senator der Hamburger Behörde für Kultur und Medien, zunächst im Senat Scholz II und seit März 2018 in den Senaten Tschentscher I und Tschentscher II, auf den Abschiedsspielplan der Herren Delnon und Nagano?

    Die Kommentare auf Klassik-begeistert tendieren alle in dieselbe Richtung, es wird nämlich die Saison 2024/2025 fachkundig kritisiert und im Großen und Ganzen als das anerkannt, was sie ist: Eine Katastrophe!

    Hat diese Meinung auch die Politiker erreicht, d.h. die Herren Tschentscher und Dr. Brosda, oder sind beide auf Tauchstation – nichts Hören, nichts Sehen, nichts Sagen und schon gar nichts Wissen?

    In den Zeitungen habe ich nur ein Interview vom 11. März mit Nagano entdeckt, dessen Überschrift alles sagt: Neue Oper sollte „eher früher als später“ kommen. Nicht genug, dass Kent Nagano für die miserable Saison 2024/25 mitverantwortlich ist, da versetzt „seinem“ Opernhaus den Todesstoß, während er immer noch sein Gehalt von „seinem“ Opernhaus erhält! Geht’s noch?!?

    Hamburg braucht kein neues Opernhaus! Hamburg HAT ein Opernhaus, das von den jetzigen Verantwortlichen, befinden sie sich in dessen Direktion oder in der Politik, im Stich gelassen wird! Nochmals: Geht’s noch?!?

    Sheryl Cupps

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert