Eigentlich müsste man als Opern- und Klassikfreund Ihr Konzert am Montagabend in der Elphi boykottieren. Aus einer Fürsorgepflicht heraus. Ich werde wohl trotzdem hingehen… ich hoffe Sie fühlen sich an dem Abend wohl, lieber Herr Nagano.
Kent Nagano © Antoine Saito
So, 18.2.2024 – 11 Uhr & Mo, 19.2.2024 – 20 Uhr
ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL
PHILHARMONISCHES STAATSORCHESTER HAMBURG / KENT NAGANO
Beethoven: Fantasie op. 80 / Aleksiychuk: Trisagion / Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 13
So, 18.2.2024 – 19 Uhr
Staatsoper Hamburg
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano
Benjamin Britten, Peter Grimes
von Andreas Schmidt
Was sich an diesem Wochenende in der selbst ernannten „Musikstadt Hamburg“ im so genannten Profi-Bereich ereignete, kann nur mit dem Wort „Wahnsinn“ beschrieben werden.
Negativer „Wahnsinn“. Oder auch „Unsinn“, oder „Schwachsinn“.
Die Verantwortlichen – hier: der bald scheidende Opernintendant Georges Delnon und der bald scheidende Generaldirektor Kent Nagano himself – muteten es jenem vor nicht allzu langer Zeit noch schwerst erkrankten Kent Nagano zu, binnen 33 Stunden DREI Schwerstwerke der Opern- und Konzertliteratur aufzuführen.
Zwei Mal in der Elphi – Sonntag um 11 Uhr und Montag um 20 Uhr – und einmal in der Oper – vor nur 730 Zuschauern (fast 1700 passen hinein) – am Sonntag um 20 Uhr.
Noch einmal zum Genießen das Programm:
2 MAL ELPHI: Beethoven: Fantasie op. 80 / Aleksiychuk: Trisagion / Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 13
1 MAL STAATSOPER HAMBURG: Benjamin Britten, Peter Grimes.
(Am Mittwoch, 21. Februar 2024, dirigiert Nagano erneut Brittens Oper ab 19 Uhr.)
Die Elphi-Konzerte dauern inkl. Pause je gut zwei Stunden.
Die Britten-Oper dauert inkl. Pause gut drei Stunden.
Babi Jar von Schostakowitsch ist ein höchst anspruchsvolles Werk mit Chor und Solo-Gesang. So sehen es die Elphi-Schreiber:
Dmitri Schostakowitschs 13. Sinfonie von Anfang der 1960er Jahre deutet mit dem Beinamen »Babi Jar« bereits den historischen Zusammenhang an: das von deutschen Einsatzkräften verübte Massaker an zehntausenden Juden im Jahre 1941 in der gleichnamigen Schlucht bei Kiew. Schostakowitsch wirft mit dieser Sinfonie endgültig politische Fesseln ab und zeigt sich als unbeirrbarer Künstler, der sich mit einem ungemein aufrüttelnden Werk bedingungslos für Humanismus und Freiheit einsetzt. Dass er erstmals seit seiner Dritten wieder Instrumentalmusik und Gesang verbindet – zumindest diese Parallele zu Beethoven liegt dann doch auf der Hand – mag vor diesem Hintergrund kein Zufall sein…
Peter Grimes (1945) ist auch Schwerstkost für alle Beteiligten: Dirigent, Sänger, Chor, Orchester. Besonders hervorzuheben sind die Orchesterzwischenspiele zwischen den einzelnen Bildern. Sehr expressiv und ausdrucksstark, zeichnen sie das Bild des englischen Meeres an der Ostküste – bedrohlich, gewaltig, düster und unberechenbar gefährlich. Vier davon veröffentlichte Britten später unter dem Titel Four Sea Interludes.
Ich war Zeuge der Opernaufführung am Sonntagabend – im 4. Rang, Balkon, frontaler Blick auf die Bühne, den Dirigenten und das Orchester. Kent Nagano, US-Amerikaner mit japanischen Wurzeln, dirigierte (wie so oft) meist lasch und kraftlos. Er dirigierte das Nötigste und meist immer brav „auf die 1“, den ersten Schlag eines Taktes. Selbst in fortissimo-Stellen blieb er meist blass – das Orchester hätte es wohl auch ohne ihn geschafft.
Zur Farce wurde sein Dirigat (nur knappe 6!!!!! Stunden nach Ende des sehr anstrengenden Vormittagsprogrammes ) im Hinblick auf die Einsätze, die er den Solisten und dem Chor gab. Bei 20 zu frühen – also falschen – Einsätzen hörte ich auf zu zählen. Vor allem als Chorsänger hätte ich mich veräppelt gefühlt.
Oh my God, Mr. Nagano, warum muten Sie sich nach so schwerer Krankheit in Ihrem Alter von 72 Jahren so einen absurden STRESS zu? Warum haben Sie den Sonntagabend nicht delegiert an einen Ihrer Schüler? Hatte die Oper und somit der Hamburger Steuerzahler nicht genug Kohle, um Sie – altersgerecht – zu entlasten? Konnte der Multi-Milliardär (33 SIC Milliarden Euro Vermögen), Opernförderer und Opernfantast/-fantasierer Michael Kühne nicht für 8.000 Euro einen guten Ersatz beordern? Ist Georges Delnon als Hausherr seiner Fürsorgepflicht nachgekommen? Warum haben Sie, Herr Nagano, ihm nicht die rote Karte gezeigt? Hat das Publikum der zweitgrößten deutschen Stadt nicht Anrecht auf einen AUSGERUHTEN Dirigenten?
Mr. Nagano dürfte NETTO zwischen den beiden Aufführungen zu Hause in Hamburg nur 3 Stunden netto Ausruh- und Vorbereitungszeit zwischen den beiden Mega-Werken gehabt haben….
Ich denke, man darf einen vor nicht allzu langer Zeit schwersterkrankten 72-Jährigen – ganz gleich in welchem Beruf – nicht mit DREI Hammerwerken binnen 33 Stunden überfordern. Dass Herr Nagano in der Tat überfordert war, zeigte sein schlechtes Dirigat in der Staatsoper am Sonntagabend.
Eigentlich müsste man als Opern- und Klassikfreund Ihr Konzert am Montagabend in der Elphi boykottieren. Aus einer Fürsorgepflicht heraus. Ich werde wohl trotzdem hingehen… ich hoffe Sie fühlen sich an dem Abend wohl, lieber Herr Nagano.
Herzlich grüßt Sie,
Andreas Schmidt, 19. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ihre zuweilen markigen Kommentare, insbesondere zum Thema Elbphilharmonie-Besucher, lese ich stets mit allergrößtem Vergnügen. Aber die vermutete „Überforderung“ eines jüngst „schwersterkrankten 72-Jährigen“ – hätte man das nicht eleganter formulieren können? Kent Nagano, George Delnon und Michael Kühne geben auf ihre Art immer alles für die Oper, möchte ich meinen. Der Peter Grimes am 14. Februar 2024 war jedenfalls für mich „mega“.
Regina
Liebe Regina,
herzlichen Dank für Ihre Mail. Für mich war „Peter Grimes“ nicht „mega“. Wenn ich mit freiem Blick sehe, wie ein mittelmäßiger Dirigent mindestens 20 Mal zu frühe Einsätze für den Chor gibt, ist das für mich nicht „mega“. Ich habe Naganos Erkrankung nicht benannt, obgleich sie mir bekannt ist. Ist das „nicht elegant“? Ich freue mich sehr, dass wir in Hamburg jetzt endlich einen neuen Intendanten und einen neuen Generalmusikdirektor bekommen. Naganos Nachfolger habe ich am 1. Januar mit der Neunten von Beethoven im Wiener Konzerthaus gesehen – kein Vergleich zum meist defensiv-biederen Dirigat Naganos. Dass letzterer binnen 33 Stunden 3 Schwerstwerke in Elphi und Staatsoper dirigieren musste, nenne ich Missmanagement zu Lasten der Zuschauer.
Und die Staatsoper Hamburg braucht DRINGEND mehr Zuschauer: 730 zahlende Zuschauer am Sonntagabend von knapp 1700 sind ein Armutszeugnis für das Opernhaus der zweitgrößten deutschen Stadt. Die Führungs-Crew der Staatsoper Hamburg hat es nicht geschafft, das Haus an der Dammtorstraße nach Corona wieder auf die Beine zu stellen.
Herzlich aus HH,
Andreas Schmidt, Herausgeber
Lieber Andreas,
Ihre Ratio teile ich, ich denke nur mein „mega“ bezog sich auf die Vorstellung v. 14. Februar, während Sie den 18. Februar beschreiben. „mega“ fand ich übrigens, dass Nagano am 14. Februar endlich mal zupackend dirigierte und eine Art Hochdruck erzeugte. Heute sehen wir PG das 2. Mal, auch durch die Brille Ihrer Gedanken.
OMW habe ich mehrmals im Konzerthaus Berlin erlebt, tatsächlich ein anderer Schnack…
Herzlichst, Regina
Lieber Andreas,
schade, dass Du am 18.02. offenbar eine nicht so gute Aufführung erlebt hast. Als ich am 14.2. dort war, spielte das Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano so gut wie selten. Auch die beiden Autorenkollegen, die am 11.2. Peter Grimes gesehen hatten, lobten gerade das Orchester unter Nagano mit den Worten „souverän“ und „zauberhaft“ (Dr. Ströbl) sowie „wundervoll“ (Stazol). Man müsste mal wissen, ob die Orchestermitglieder an allen drei Tage dieselben waren. Ich weiß aus einer arbeitsmedizinischen Studie, die wir vor gut 20 Jahren bei Mitgliedern des Philharmonischen Staatsorchesters durchgeführt hatten, dass sich die Zusammensetzung des Orchesters durchaus unterschied, zum Leidwesen mancher Dirigenten. Bei den Untersuchungen handelte es sich damals um die Messung des zeitweiligen Hörverlustes vor und nach der Aufführung jeweils mit und ohne Gehörschutz. Besonders betroffen waren damals die Streicher, die von den hinter ihnen sitzenden Bläsern bei manchen Opern fast „weggeblasen“ wurden.
Ralf Wegner
Lieber Ralf,
am 18.2. dirigierte Mr. Nagano wie gesagt ab 19 Uhr den urschweren Peter Grimes in der Staatsoper Hamburg, nachdem er ab 11 Uhr in der Elphi wie gesagt unter anderem den urschweren Schostakowitsch Nr. 13 dirigiert hatte. Abzüglich der Warte- und Fahrzeiten hatte er zu Hause max. 3 Stunden Zeit für Essen, Vorbereitung und laisser faire, laisser aller. Noch nie habe ich einen Dirigenten erlebt, der einem Chor mehr als 20 Mal ZU FRÜH Einsätze gab. Mr. Nagano schaffte es. OMG… Ich halte ihn mittlerweile für den meistüberschätzten Dirigenten der Welt. Zu Recht wurden sein Vertrag und der von Herrn Delnon nicht verlängert. Zurecht wollte man ihn in München nicht mehr haben. Die Staatsoper Hamburg braucht DRINGEND frischen Wind. Das beweist auch einmal wieder und wieder die SEHR schwache Auslastungsquote vergangenen Sonntag. Nur 730 von knapp 1700 Tickets wurden verkauft. Ein Armutszeugnis für das einzige Opernhaus in der 2-Millionen-Einwohner-Stadt Hamburg mit einer Metropolregion von 5,3 Millionen Einwohnern, 7,5 Millionen Touristen im Jahr 2023 und 16 Millionen Übernachtungen im Jahr 2023.
Den Verantwortlichen an der Dammtorstraße fehlen Visionen, wie sie diese VIELEN Menschen für die Oper begeistern können. 730 Zuschauer bei einer Veranstaltung am Sonntagabend…
Es gibt Mitarbeiter in der Staatsoper Hamburg, die sagen, Mr. Nagano, 72, habe sich zwischen seinen drei Wohnorten Paris, San Francisco und Hamburg „einfach übernommen in seinem Alter“. Sein Lebensmittelpunkt ist Paris. Hamburg hat er nie als solchen erkoren.
Andreas Schmidt
Heute 21. Februar war’s wieder „mega“…ob die Visionen von Tobias Kratzer und OMW reichen, den Saal zu füllen, müssen wir abwarten. Ich möchte meinen, das „Elend“ beginnt in der Schule…
Cheers, Regina