„Alles Schöne muss sterben“ – zum Glück stirbt heut’ in der März-Morgensonne niemand, dennoch diese Musik ist zum Sterben schön

Symphoniker Hamburg, Monteverdi-Chor Hamburg, Sylvain Cambreling  Laeiszhalle, 10. März 2024

Jane Archibald © Cove Nouveau

Sylvain Cambreling   Dirigent
Jane Archibald   Sopran
Monteverdi-Chor Hamburg

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Exsultate, jubilate
KV 165 (158a)

Johann Strauß (1825–1899)  Geschichten aus dem Wienerwald op. 325

Alban Berg (1885–1935)  Sieben frühe Lieder

 Johannes Brahms (1833–1897)  Schicksalslied op. 54

Laeiszhalle, 10. März 2024


von Harald Nicolas Stazol

Es ist schon cool, wenn man sich an einen Namen ganz leicht erinnern kann, den man sich einfach merken MUSS: Jane Archibald. Die elegante Sopranistin mit dem zarten Schmelz beherrscht gerade die Laeiszhalle, an einem Sonntagmorgen bei Kaiserwetter, kein Wölkchen am Himmel, und so scheint die Sonne durch die gläserne Decke der Laeiszhalle über das Bühnenprogramm hin.
„Traumgekrönte Tänze“ finden gerade statt, unter dem Stab des Sylvain Cambreling, den ich nun zum dritten Male hören kann, und nein – enttäuscht hat der Herr mit dem grauen Künstlerzopf, ganz in ziemlich lässigem schwarzen Hemd, mit seiner auch körperlichen Dynamik noch nie!

Denn er lässt allen und allem Raum, ganz zu Anfang eben dieser wirklich überhohen, tollen Stimme, wie eine Lerche steigt Mrs. Archibald empor, angefangen bei Mozart, dessen „Exsultate, jubilate“ nun wirklich jubeln lässt, was füglichst auch geschieht im gold-weißen Stuck des frühlingshaft leuchtenden Hamburger Konzerthauses, und es wird in dieser Matinee nicht das letzte Mal sein:

Folgen doch die „Sieben frühe Lieder“ des Alban Berg, und wer nun Dissonanzen erwartet, wird enttäuscht werden, nein, ganz im Gegenteil, nun eben auf das Höchste überrascht sein, denn da glänzt sie wieder ohne Unterlass, die Blondine im weißen Ballkleid, dessen Pailletten in der Sonntagsonne funkeln, genau wie die Höhen der Archibald. Es ist, als sänge die Kanadierin vom Mt. Kinley herab, der höchsten Erhebung Kanadas bislang – für mich allerdings ist sie gerade die höchste Erhebung des „Maple Leaf“ Staates, und ihre klar-klarste Stimme kann man, so denke ich es mir, gerade jetzt bis nach Vancouver hören, ja, sie besingt gerade zumindest den Bundesstaat Regina, und man dankt dafür, dass sie den großen Teich überquert hat, die Grande Dame.

 „Das ist ja wirklich ein Erlebnis!“ sagt meine Begleitung Christopher gerade, und ich füge an, „Sowas hätte ich nun wirklich nicht erwartet heute morgen!“

Jane Archibald © Cove Nouveau

„Die kanadische Sopranistin Jane Archibald hat sich einen internationalen Ruf für Bühnenauftritte von außerordentlicher künstlerischer Intensität und Schwung, unabhängig von der Tessitura, in einem Repertoire von Zerbinetta bis Alcina, Donna Anna, Daphne und Salome erworben. Sie ist auf den besten Opern- und Konzertbühnen der Welt aufgetreten, darunter die Metropolitan Opera, die Opéra National de Paris, das Teatro alla Scala“, erblicken wir im Programmheft, dessen Umschlag mit einem meiner Lieblingsgemälde Renoirs geschmückt ist, dem in Blau und Grün gehaltenen, sehr heiteren „Tanz im Moulin de la Galette“ von 1870.

Diese Rezension wäre unvollständig, wenn man nicht die schönen Liedtexte beachtete, die der nach der Pause folgende Monteverdi-Chor unserer Stadt, ebenfalls Weltklasse, perfekt, taktgenau und makellos mit dem „Schicksalslied“ des Johannes Brahms zum Besten gibt, in den ewigen Worten des Friedrich Hölderlin:

„Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien! Glänzende Götterlüfte
Rühren Euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende Säugling, atmen die Himmlischen;                  Keusch bewahrt
In bescheid’ner Knospe,

Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen Blicken in stiller Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruh’n,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen                                                                                                  Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahrlang ins Ungewisse hinab.“

Diesen Morgen ruhen wir alle, nicht ganz vollbesetzt, in einer Stätte, und leiden nicht, nein, wir erleben! Auch dank der sehr gelungenen Mischung des Repertoires, in den titelgebenden „Tänzen“ darf Johann Strauß nicht fehlen, und in seinen schwungvollen „Geschichten aus dem Wienerwald“ darf man noch einen eher ungewöhnlichen Star bemerken, ganz zurückhaltend, den Mann an der Zither, der immerhin zwei Passagen darinnen hat, und gar keine Erwähnung findet, und als ich den jungen Mann mit Künstlermähne und k.u.k.-gezwirbelten Bartspitzen nach der Pause erspähe – wirklich nun alle bester Laune! –, schreibt er mir sein Autogramm ganz bescheiden-winzig ins rote, mit „Top Secret“ goldgeprägte Smythson Notizbuch: Simon Linke.

Jane Archibald © Cove Nouveau

Der Mann hat nicht nur Humor und entführt ins Wien des 19. Jahrhunderts, er bedauert auch, dass Strauß „nur so kurze Passagen eingewoben hat“.

„Na dann werde ich mit dem mal reden!“, scherzt Christopher, und da lachen wir herzlich zu dritt.

Dann, kurz vor Schluss, Schillers „Nänie“ – „Alles Schöne muss sterben!“ – naja, zum Glück stirbt heut’ in der März-Morgensonne niemand, aber schön ist es schon! Und so kann man bei diesem Niveau der Hamburger Symphoniker nur in voller Gewissheit hoffen, dass nur das Konzert für heute „erstirbt“ – und beim nächsten Mal, so steht zu hoffen, nein, mit Sicherheit zu erwarten, wird es wieder auferstehen!

Das jedenfalls wäre mein Wunsch.

Als Rausschmeißer noch einmal Johann Strauß, das „Künstlerleben“.

Dem nun ist nichts hinzuzufügen – es leben die Künstler! Es lebe die Kunst!

Das begeisterte, ganz beseelte Klatschen nimmt denn auch folgerichtig kein Ende. Da steht die Sonne im Zenith…

Wie passend.

Harald Nicolas Stazol, 12. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gioachino Rossini, Guillaume Tell, Jane Archibald (Mathilde), John Osborn (Melchthal), Theater an der Wien

Symphoniker Hamburg, Charles Dutoit, Dirigent, Edgar Moreau, Violoncello Laeiszhalle, Hamburg, 15. Februar 2024

Symphoniker Hamburg, Bas Wiegers Dirigent, Thomas Beijer Klavier Laeiszhalle, Hamburg, 21. Januar 2024

Ludwig van Beethoven (1770–1827) Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125 Laeiszhalle, Hamburg, 1. Januar 2023

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