Bayreuther Festspiele 2023 © Enrico Nawrath
So, nun gibt’s den Venusberg auf dem Grünen Hügel endlich auch mit dem besten Tannhäuser der Welt zu hören. Klaus Florian Vogts brillanten, einzigartigen Ruf nach Freiheit kann selbst Regisseur Tobias Kratzer bei bestem Willen nicht stoppen. Und im Graben krönt sich eine Bayreuth-Debütantin zur neuen Dirigatskönigin!
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2023
Tannhäuser
Musik und Libretto von Richard Wagner
von Peter Walter
Jetzt reicht’s ihm! Tannhäuser kann das Singen im Venus-Bus-Cockpit nicht mehr aushalten. Genau an der rechten Stell’ lehnt er sich aus dem Beifahrerfenster hinaus und singt dem Publikum lautstark „Nach Freiheit, doch verlangt es mich“ in die Ohren! Wie ein Demonstrant, der aus den hintersten Reihen einer Kundgebung plötzlich das Rednerpult stürmt. Hat der eigentlich die ganze Zeit hinter einer Glasscheibe gesungen? Das klang schon verdammt viel lauter als neben der Venus…
Fazit: Was auch immer Tobias Kratzer für akustische Dämpfer in den Venus-Bus eingebaut hat, Klaus Florian Vogt kann er nicht stoppen. Freiheit von dieser Inszenierung, das verlangt der beste Tannhäuser der Welt!
Zu Recht. Denn der zukünftige Hamburger Opernintendant hat hier zwar ein geniales, farbenfrohes, lustvolles Kunstwerk geschaffen. Doch wer einmal die Tannhäuser-Handlung mit dieser Regie vergleicht, steht vor mehr Fragen als Antworten. Die Pilger als Festspielzuschauer, na gut, das mag ja noch funktionieren, spricht man ja oft von der „Pilgerfahrt auf den Grünen Hügel“.
Doch schon während der Ouvertüre macht Tobias Kratzer einen ganz großen Verständnisfehler: Tannhäuser und Venus begehen ein Verbrechen nach dem anderen, überfahren schließlich einen Polizisten, der sie beim Benzindiebstahl erwischt. Aller spätestens bei der Polizeistürmung des auf der Bühne nachgebauten Festspielhauses ist der rote Faden gerissen. Herr Kratzer, die Göttin der Liebe ist keine Kriminelle!
Egal, von all diesen regietechnischen Verwirrungen lässt sich Klaus Florian Vogt nicht beeindrucken. Je länger der Abend, desto spektakulärer wird sein Auftritt. Seine Rom-Erzählung, wo er den dämonischen Papst mit nasaler Stimme wie ein böser Teufel auf die Bühne stellt, ist einmalig. Wütend ist er, das drückt auch sein Gesang aus. Völlig unbeeindruckt der schweren Pilgerfahrt nach Rom sucht er nun fröhlich den Venusberg auf. Sein Tannhäuser hat ebenso endlose Kräfte wie seine Stimme.
Zu Venus, seiner himmlischen Geliebten, da zieht es ihn hin. Und zu dieser Sängerin würde man ihm am liebsten selbst hinterherrennen: Ekaterina Gubanovas grandiose Stimme strahlt in voller Pracht in alle Ecken des Festspielhauses. „Treuloser“, da spürt man auch ihre Wut tief in der Seele. Sie hat ihn fest im Griff, will ihn nicht frei lassen. Sie kämpft um ihn, und ihre mächtige Stimme behält am Ende recht: Der ungetreue Mann kehrt von den kalten Menschen zurück. Frau Gubanova zeigt, wer die eigentliche Herrscherin dieser Handlung ist!
Die wortwörtlich gekrönte Königin Elisabeth Teige brilliert in der Rolle ihrer namensgleichen menschlichen Geliebten Tannhäusers. Aus voller Tiefe und mit viel Vibrato füllt ihre Hallen-Arie die Luft, voller Emotionen fleht sie für Tannhäusers Leben. Als er nicht aus Rom zurückkehrt, hält sie es nicht mehr aus, fleht nun die allmächtige Jungfrau an. Auf gut Deutsch: Den Freitod will sie wählen. Spätestens dann liegt das Publikum in Tränen.
Einzig für sie will Tannhäuser eigentlich aus dem Reich der Venus fliehen. Auf der Wartburg erwartet ihn allerdings Konkurrenz: Wolfram von Eschenbach. Der Bariton Markus Eiche beherrscht die Partie des Minnesängers wie derzeit kein anderer. Stimmstark und selbstsicher verkörpert er den einzigen nicht-unsympathischen Antagonisten einer Wagner-Oper. Er singt einfach, und wenn er Elisabeth seinem Konkurrenten überlassen muss, so sei es dabei. Das ist Wolfram von Eschenbach. Warum sie sich am Ende auf eine Affäre mit ihm einlässt, ist einer der weiteren Mysterien dieser Inszenierung.
Ins Leben gerufen wird der Sängerkrieg von Elisabeths Onkel, dem Landgrafen von Thüringen. Günther Groissböck meistert die Partie mit bärenstarkem Bass und glasklarer Textverständlichkeit. Von den Paradebesetzungen unter den nebensächlichen Minnesängern mal ganz zu schweigen: Mit Siyabonga Maqungo (Walther von der Vogelweide), Ólafur Sigurdarson (Biterolf) und eben Markus Eiches Eschenbach findet auch in der Oper ein echter Sängerkrieg mit den besten Stimmen Bayreuths statt!
Doch das wohl spannendste Debüt seit Jahren findet im Graben statt:
Im dritten Aufzug hört man die prächtig-päpstlichen Glocken im Ohr klingen, und das alles zwischen lustvollen, wie ein Fliegenschwarm umhersausenden Venusberg-Motiven. Völlig zurecht wird sie vom Publikum wie bei der Krönung einer neue Dirigatskönigin gefeiert, Christian Thielemanns bislang einsame Pultherrschaft ist eben nicht unangefochten…
Und Tobias Kratzer? Der Regisseur traut sich am Ende sogar auf die Bühne, und das gleich mehrmals! Das Publikum reagiert erstaunlich positiv, als hätte es das Götterdämmerungs-Buhgewitter im letzten Jahr nie gegeben.
A bisserl fehlt mir die verbale Diskussion… oder vertragen die eingefleischten Wagnerianer den Kratzer-Tannhäuser etwa besser als den Schwarz-Ring?
Peter Walter, 29. Juli 2022 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tannhäuser Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2023
Die Walküre, Musik und Libretto von Richard Wagner Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2023
Das Rheingold, Musik und Libretto von Richard Wagner Bayreuther Festspiele, 26. Juli 2023
Richard Wagner, Parsifal Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2023 (Eröffnung)
Richard Wagner, Parsifal Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2023 (Eröffnung)
Sehr geehrter Herr Walter, das Werk Richard Wagners, sowohl insgesamt als auch einzeln betrachtet, ist in sich widersprüchlich, und auch deshalb so anregend und aufregend. Der Regie von Tobias Kratzer vorzuwerfen, dass sie Widersprüche beinhaltet und auch ausstellt, trifft darum am Ziel vorbei, von „Verständnisfehlern“ kann keine Rede sein. Denn sicher wird der Regisseur sich darüber bewusst sein, dass er Widersprüche aufmacht. Ihm geht es vermutlich nicht um Einheitlichkeit, sondern er vermeidet ganz bewusst eine naive Lesart. Er interpretiert und regt an, macht Fragen auf – und das mit sehr professionell und hochwertig ausgeführtem Theater, wie man es nicht alle Tage auf den Opernbühnen erlebt. Natürlich muss das nicht jedem und auch nicht Ihnen gefallen. Aber zu schreiben und zu suggerieren, dass hier ein Machtkampf zwischen Regie und Sängerdarsteller stattfände, bei der sich der wunderbare Klaus-Florian Vogt am Ende nicht „stoppen lässt“, ist schon eine sehr eigenartige Wahrnehmung von Opernarbeit. Glauben Sie ernsthaft, dass Kratzer z.B. den VW-Bus dämpfen ließ, um der Wirkung der Sänger zu schaden? Meinen Sie wirklich, dass Regisseure daran Interesse hätten? Und das sie „regietechnisch verwirrt“ sein können? (was soll das überhaupt heißen „regietechnisch“?) Und wundert sie wirklich, dass Kratzer sich schließlich „am Ende auf die Bühne traut“? Ist das nicht Usus? Auch in Bayreuth? Es wäre wunderbar, anregende Diskurse über die szenischen Interpretationen in Bayreuth zu lesen, genauso wie Sie differenziert über die musikalischen Eindrücke schreiben.
Frank Hilbrich
Sehr geehrter Herr Hilbrich,
natürlich möchte ich hier Tobias Kratzer keinesfalls unterstellen, er wolle den Sängern und Sängerinnen schaden. Aber die Regie hat wohl einfach übersehen, dass es keine gute Idee ist, einen Sänger hinter einer Glasscheibe oder ähnlichem akustischen Dämpfer singen zu lassen. Es gäbe übrigens eine ganz einfache Lösung: Man könnte die Windschutzscheibe einfach weglassen. Da sie eh transparent ist, würde das kaum jemand merken; aus demselben Grund ist es sowieso sehr schwierig festzustellen, ob sie nun wirklich da ist oder ob die akustische Dämpfung eine andere Quelle hat.
Ich finde den Einfall von Vogt, sich ausgerechnet mit den Worten „Nach Freiheit, doch verlangt es mich“ wortwörtlich aus dem Fenster zu lehnen, übrigens äußerst genial. Vielleicht liegt das Missverständnis auch auf meiner Seite und dieser Einfall geht auf Kratzer zurück. Aber Gould hat das in den vergangenen Jahren auf jeden Fall nicht gemacht.
Zur Inszenierung allgemein: Natürlich gehört es zur heutigen Regiearbeit dazu, auch kritische Fragen zu stellen und andere Lesarten zu probieren. Ich schaue mir auch viel lieber diese, meiner Meinung nach nicht aufgehende, kritische Inszenierung an als eine veraltete Otto-Schenk-Museumsinszenierung. Aber die Venus – und somit ja auch den Tannhäuser – als kriminell darzustellen, halte ich für grundlegend falsch. Denn die Handlung und – viel wichtiger – die Musik stellt für mich klar, dass unsere Sympathien hier eindeutig dem Tannhäuser und der Venus gelten sollen. Aber soll ich mich jetzt ernsthaft mit einer Verbrecherin sympathisieren? Oder will Herr Kratzer etwa, dass unsere Sympathien dieser rechtskonservativen Rittergesellschaft, für die der Begriff „Selbstbestimmung“ in Bezug auf Frauen offenbar ein Fremdwort ist, gelten?
Zur Causa Regie vor dem Bayreuther Vorhang: Spätestens seit der letztjährigen Götterdämmerung ist das Buh-Ruf-Potential des Bayreuther Publikums bekannt. Für jedes Regieteam ist es im Moment ein kleines Abenteuer, sich dem Urteil dieses Publikums zu stellen.
Freundliche Grüße
Peter Walter