Herzlichen Glückwunsch, Thomas Mann! Lübeck gratuliert seinem großen Sohn

Thomas Mann/Konzert seines Lebens  Theater Lübeck, 6. Juni 2025

Foto: Thomas Mann 1929 de.wikipedia.org

„Groß ist das Geheimnis der Musik – sie ist ohne Zweifel die tiefsinnigste, philosophisch alarmierendste, durch ihre sinnlich-übersinnliche Natur, durch die erstaunliche Verbindung, die Strenge und Traum, Sittlichkeit und Zauber, Vernunft und Gefühl, Tag und Nacht in ihr eingehen, die faszinierendste Erscheinung der Kultur und Humanität.“ Das schrieb Thomas Mann anlässlich des 50. Geburtstags seines Freundes Bruno Walter, dem großen Dirigenten. Nun hat seine Heimatstadt dem Sprachtitanen ein klingendes Geburtstagsgeschenk gemacht – zum 150. am 6. Juni 2025.

Theater Lübeck, Das Konzert seines Lebens, 6. Juni 2025

Richard Wagner, Vorspiel zu „Lohengrin“
Claude Debussy, Prélude à l´Après-midi d´un faune
Ludwig van Beethoven, „Leonoren”-Ouvertüre Nr. 3 op. 72a
César Franck, Symphonie d-Moll

Frido Mann, Rede
Andreas Hutzel, Lesung
Stefan Vladar, Dirigent

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

von Dr. Andreas Ströbl

Thomas Manns Urteil über das Lübecker Theater, das ihm gleichermaßen die Quelle seiner musikalischen Muttermilch war, fiel erstaunlich nüchtern aus. Vom „einigermaßen unzulänglichen“ Haus hörte man in seinem Kommentar zu einer Sendung das Süddeutschen Rundfunks 1954, einer Sendefolge der Reihe „Wer wünscht was“, für die er als ganz persönliches Wunschkonzert seine Lieblingsstücke auswählte.

GMD Stefan Vladar sprach in seiner Begrüßung die begründete Hoffnung aus, dass man im Jugendstiltheater der Hansestadt „doch mittlerweile etwas besser geworden“ sei. Um es gleich zu sagen: Den Literaturnobelpreisträger hätte dieses Konzert glücklich gemacht!

Thomas Mann-Konzert HL Photo Andreas Ströbl

Von blau-silber zu sonnendurchglüht

Wagners „Lohengrin“ war für Thomas Mann die erste Drogenerfahrung mit dieser süchtig machenden Musik, mit deren Aufführung in Lübeck er trotz der bemängelten Qualität er die „dankbarste Erinnerung“ verband.

Thomas Mann-Konzert HL Photo Andreas Ströbl 1

Bereits bei den ersten Takten des Vorspiels zu dieser Musik in ihrer, wie Mann synästhetisch empfand, „blau-silbernen Schönheit“, hatte das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck sein Publikum gefangen. Mit, gemäß dem Titel eines „Zauberberg“-Kapitels, aller „Fülle des Wohllauts“, ergossen sich ebenso transluzid wie kraftvoll die romantischen Klänge in den Saal. Vladar ist ein Freund des flotten Tempos, und diese Neigung gab auch allen vier Werken des Abends eine wundervoll dynamische Bewegung und Lebendigkeit – so auch der „Lohengrin“-Musik mit ihrem zauberischen Sog.

Thomas Mann-Konzert HL Photo Andreas Ströbl

Mit Debussys „Prélude à l´Après-midi d´un faune” trat der lüsterne Faun, dessen unbefriedigte erotische Gier zur Schaffung der Musik führt, in die sommerliche Glut eines mediterranen Nachmittags. Trotz der inhaltlichen Bocksfüße geriet diese Musik leichtfüßig, ja anmutig-fein, mit dem flirrenden Licht der südlichen Sonne, das wohl nur die Impressionisten farbig zu vermitteln wussten. Die Harfe zauberte goldene Tupfer in den Glast des erhitzen Tages, mit entsprechend heißbrünstiger Aufladung des antiken Protagonisten.

Ein flammendes Bekenntnis zum Miteinander

Als Geburtstagsgeschenk für seinen Großvater brachte Frido Mann ein Kapitel seiner engagierten Streitschrift „Um der Güte und Liebe willen – Zehn Wege eines kämpferischen Humanismus“ mit. Gemäß dem Bekenntnis im „Zauberberg“ zur Menschlichkeit als Mittel gegen Gewalt, Krieg und antidemokratische Bewegungen leider auch der Gegenwart bezog sich der Psychologe und Schriftsteller auf die Dialogphilosophie Martin Bubers. Der jüdische Religionsphilosoph hatte in seinem Hauptwerk „Ich und Du“ die Begegnung und Wahrnehmung des „Du“ als tragendes Gegenüber des Miteinander und damit Mittel gegen Totalitarismus und Gewalt benannt. „Das Miteinander ist kein Zustand, es ist ein Prozess, ein Ideal, ein Ziel und in diesem Sinne auch eine Hoffnung, gar eine Sehnsucht“, so Frido Mann, dessen Aufforderung zu aufrechter Haltung und menschlichem Zusammenhalt in erschreckender Aktualität existentiell wichtig erscheint.

Frido Mann Photo Andreas Ströbl

Der sympathische, völlig unprätentiöse Frido Mann ist eben nicht nur „Enkel von“, aber sein Fanal für Demokratie und Verständnis über Ideologien und Religionen hinweg entspricht ganz dem Impetus seines Großvaters, der mit dem Beginn seiner Emigration die Welt an den Einsatz für all die Werte gemahnte, die von der Nazi-Diktatur mit Füßen getreten wurden.

Die zweite musikalische Säule

Wer Thomas Manns „Doktor Faustus“ gelesen hat, weiß, wie wichtig Beethoven neben Wagner für den Schriftsteller war. Dessen dritte „Leonoren”-Ouvertüre, schon mehr eine Tondichtung als eine Opern-Einleitung, erklang aber selten so luftig-leicht und ebenso schwungvoll-energiegeladen, ja wuchtig, wie zur Lübecker Geburtstagsfeier. Leuchtend strahlendes Blech unterstrich die lebensfrohe Haltung dieser Musik, die sich ja aus dem Kerker in die Befreiung erhebt. Zahlreiche „Bravo“-Rufe belohnten die phantastische Leistung aller Mitwirkenden, die sichtlich große Freude am Musizieren hatten. Im Pausengespräch mit einer Musikerin bestätigte diese, das oft aufgeführte Stück noch nie mit so viel Elan gespielt zu haben.

Der Dichter über seine Musik – und wie er selbst komponiert hätte

Den zweiten Teil des Festkonzerts leitete ein von Andreas Hutzel vorgetragener Text Thomas Manns über die Musik ein, „zwar Literat, aber mehr noch Musiker“, wie dieser sich selbst beschrieb. Der Schauspieler gab dem Schriftsteller eine lebendige Stimme; aus dem Photo im Bühnenhintergrund blickte Mann freundlich und fast kindlich-neugierig – so schien es – in eine hoffnungsfrohe Ferne.

Hutzel Andreas (c) Felix Brede

Hätte Thomas Mann selbst komponiert, so wäre sein Stil dem César Francks verwandt gewesen, wie er Bruno Walter gegenüber in der zitierten Geburtstagsrede bekannte. Daher bildete die wundervolle Symphonie des Belgiers den glanzvollen Abschluss des Abends.

Dieses Werk ist durchflutet von Licht und pulsierender Tatenkraft; es spricht klanglich durchweg französisch und gerade der Beginn des zweiten Satzes, der sicher das Zauberhafteste ist, was Franck je geschaffen hat, atmet eher provenzalische denn wallonische Luft. Vladar entschied sich allerdings für eine weniger romantisch-geheimnisvolle, als vielmehr markant-zupackende Interpretation; die einleitenden Pizzicati waren von akzentuierter Deutlichkeit geprägt und das Englischhorn, das umgehend das Thema übernimmt, schritt rascher voran, als man es von den meisten Einspielungen gewohnt ist. Dies gab der Musik etwas Forsches, deutlich Zielstrebiges, und fügte sich in die Gesamtdeutung mit entschiedener Grundhaltung ein; schließlich vergisst diese Symphonie auch in den dramatischen Passagen nie, dass die Sonne siegen wird. Angemessen triumphal gestalteten die Lübecker das leuchtende Finale, das sich feurig und optimistisch in die Höhe erhob.

Thomas Mann hätte in seiner Kritik des Konzerts sicher erwähnt, dass leider das Klatschen zwischen den Symphoniesätzen die Spannung und Dichte der Musik beschädigte. Alle aber, die Thomas Manns Literatur verehren und „seine“ Musik lieben, wussten sich glücklich zu schätzen, an dieser besonderen Gratulation teilhaben zu dürfen. Ein unvergesslicher Abend zu Ehren des großen Sohnes der Hansestadt!

Dr. Andreas Ströbl, 8. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor Theater Lübeck, 9. Mai 2025, PREMIERE

Richard Wagner, Tristan und Isolde Theater Lübeck, 19. April 2025

Frank Martin, Der Zaubertrank Theater Lübeck, 15. März 2025

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