Fotos: © Michael Pöhn
Umberto Giordano, Andrea Chénier, Wiener Staatsoper, 20. Mai 2019
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Zunächst beginnen wir diesmal mit dem Librettisten Luigi Illica und mit dem Lob auf seine Textfassung. Wir spannen den Bogen zu seiner Tosca und merken den großen Unterschied zwischen dem letztendlich Größe zeigenden Charakter des Revolutionärs Carlo Gérard und dem Polizeichef Roms.
Wir vermögen die Spannung der sich ausweitenden Revolution nahezu hautnah mitzuerleben, sei es in der nicht mehr sicher abgeschirmten elitären Adelsgesellschaft, sei es im öffentlichen Leben in den Cafés und auf der Straße, nicht nur textlich, sondern auch durch die gekonnte Regie von Otto Schenk in Harmonie mit der Bühne von Rolf Glittenberg. Der Auftritt des Dichters war unsere erste Begegnung mit Yusif Eyvazov. Ein schlechter Mundfunk ging ihm in unseren Opernfreundeskreisen voraus. Wir waren überrascht, wie gefühlvoll er seine erste Arie auf einen wirklich meisterlichen Text gestaltete. Als schön können wir seine Stimme nicht bezeichnen, deshalb liegen seine Schwächen in der höheren Lage, wenn kraftvolles Singen angezeigt ist. Sein „Come una sera di primavera“ ließ unsre Schellackplatte mit Alfred Piccaver (geb. Peckover, Anmerkung) nicht vergessen.
Bei der gern als „Primadonna assoluta“ angesehenen Anna Netrebko als Maddalena di Coigny – persönlich gefällt uns diese ausschließende Bezeichnung nicht – haben wir aufs Neue ihre perfekten Diminuendi genossen und ihre volltönende Stimme, die auch im Forte keine störenden Härten zeigt. Ihren nachgedunkelten Sopran fanden wir in einigen Passagen nicht vorteilhaft. Darstellerisch geht das Schwärmerische, Jungmädchenhafte etwas verloren.
Donna Ellen verstand es, als Mutter und Gräfin neben einer solchen Diva würdig zu bestehen. Wir schätzen dieses Ensemblemitglied, die nur in dramatischeren Rollen nicht erste Wahl ist. Monika Bohinec, die Erda dieser Saison, singt eine ergreifende Madelon, die irrgeleitet ihren Enkel der Revolution zu opfern bereit ist.
Neben diesen beiden bekannten Säulen der Wiener Staatsoper ist es begrüßenswert, eine relativ neue Stimme zu entdecken: Die französische Mezzosopranistin Virginie Verrez in der Rolle der Bersi, des Dienstmädchens von Maddalena; hat die schöne Aufgabe, die literarisch ganz hervorragende Stelle ihres inneren Zwiespalts uns nahe zu bringen: „Bin ich nicht ganz wie du / der Revolution beglaubigt Kind, / und ihrem Schoß entsprossen? / Freiheit ist mein Panier! / Leben und lieben, / ausleeren ganz den Taumelkelch / der Freude will ich hier, / das Leben ist wie bald verflossen! / Hier Hochgenüsse sonder Zahl, / und dort des Todes Qual! / Bei Würfeln und Karten hier / der Spieler Rundgesang, / und dort Kanonengebrüll, / der Trommeln scharfer Klang! / Hier Wein und Liebe; / dort Blut und wilde Triebe.“
Der dritte Star des Abends war als Carlo Gérard Luca Salsi. Ein imposanter Bariton, dem jedoch das gewisse Etwas fehlte, um für ihn zu schwärmen. Akustisch eine Nummer kleiner, aber brav Chéniers Freund Roucher in der Person von Orhan Yildiz. Weiter ist uns aufgefallen der souveräne Wolfgang Bankl (Mathieu). Wie in „Adriana Lecouvreur“ spielt in einer Episode ein Abbé mit. Peter Jelosits füllt die Rolle vollkommen aus. Vom römischen Justizvollzugsbeamten in Tosca zum französischen in einer ebenfalls unruhigen Zeit: Ayk Martirossian (auch: Martirosyan), der „Loge“ unter den Bassisten (2000 Basilio am Klagenfurter Stadttheater, 2008 Pimen am Gran Teatro La Fenice), der in unsrem Haus wieder klein anfängt. Marco Armiliato ist mit dem Orchester der Wiener Staatsoper ein guter Sachwalter der Puccini-Giordano-Cilea Ära. Den Chor der Wiener Staatsoper leitete mit Erfolg Thomas Lang. Für die Kostüme zeichnet Milena Canonero, viermalige Preisträgerin des Academy Award of Merit (vulgo „Oscar“).
Lothar und Sylvia Schweitzer, 23. Mai 2019
für klassik.begeistert.de und klassik-begeistert.at