Von Fashion-Victims und Weinkennern, HSV-Fans und Vatersöhnchen – den Hamburger Künstler Attila Abbassian interessiert die Persönlichkeit hinter dem großen Genius

Von Fashion-Victims und Weinkennern, HSV-Fans und Vatersöhnchen – den Hamburger Künstler Attila Abbassian interessiert die Persönlichkeit hinter dem großen Genius  Interview

„Ich bewundere die Komponisten dafür, was sie geschaffen haben, dennoch waren auch sie nur Menschen“

Attila Abbassian (32), deutscher Künstler persischer Herkunft, studierte zwei Jahre lang Kunst, dann wechselte er zum Lehramtsstudium. Jetzt arbeitet er als Lehrer für Physik und Politik und beschäftigt sich hobbymäßig mit angewandter Kunst und Musik. Seine humorvollen Darstellungen klassischer Komponisten, unter anderem auf Stoffbeuteln, haben mein Interesse geweckt. Deswegen habe ich Attila und seine Freundin Barbara in ihrer Wohnung in Hamburg besucht und mit ihm gesprochen: über seine Lieblingskomponisten, ihre Geschichten und darüber, wie sie ihn zu seinen künstlerischen Arbeiten inspirieren.

Interview: Jolanta Łada-Zielke (30. August 2020)

Attila, warum hast Du Dein Kunststudium abgebrochen?

Aus heutiger Sicht finde ich, das war die richtige Entscheidung, denn ich habe während des Studiums viele negative Erfahrungen gemacht. Dort wurde alles sehr subjektiv beurteilt, es gab einige zwischenmenschliche Differenzen und ich wurde sehr unter Druck gesetzt. Ähnliches ist mir auch über das Musikstudium zu Ohren gekommen. Ich liebe Musik sehr, wollte dieses Fach aber nicht studieren, um meine Leidenschaft dafür nicht kaputt machen zu lassen. Jetzt bin ich Lehrer für Physik und Politik und in meiner Freizeit beschäftige ich mich mit Kunst und Musik. Ich spiele gerne Klavier, habe auch einige Zeit als Klavierlehrer gearbeitet. Außerdem interessiere ich mich sehr für das Leben von Komponisten. Mein Lieblingskomponist ist Beethoven, ich lese viel über ihn. Das alles macht mich glücklich.

Sind Beethoven und andere Komponisten das Hauptthema Deiner künstlerischen Arbeiten?

Ja, Beethoven hat mich zu ein paar Werken inspiriert, zum Beispiel für die Hommage zu all seinen 32 Sonaten. Ich bewundere die Komponisten dafür, was sie geschaffen haben, dennoch waren auch sie nur Menschen. Sie gelten als große Genies, doch nicht jeder weiß, was für eine harte Arbeit sie geleistet und wie viel sie – vor allem in ihrem privaten Leben – dafür geopfert haben.

Erkennen Sie Ihr Lieblingsstück? Attilas Hommage an Beethovens 32 Klaviersonaten.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, diese einzigartigen Komponistenbilder zu schaffen? Ein Musikliebhaber erkennt auf den ersten Blick Bach, Beethoven, Brahms, Mozart oder Schubert. Auf Deinen Bildern haben sie alle einen Bezug zur Gegenwart…

Es fasziniert mich, dass man auch heute noch die Werke aufführt, die vor Jahren oder Jahrhunderten komponiert wurden. Aber ich finde es schade, dass der Komponist, der dahinter steckt, als Person oft wenig Beachtung findet. Ich frage mich immer: Wie war die Person, die sich hinter diesem Werk versteckt? Zu welcher Zeit ist das Stück entstanden, was hat die Menschen in dieser Zeit bewegt, in welcher Phase seiner oder ihrer Schöpfung ist es entstanden? Welche spannenden Anekdoten gibt es über ihn oder sie? Ich finde das alles sehr spannend. Mein Blickwinkel auf die Musik ändert sich, je mehr ich über den Komponisten weiß. Zum Beispiel, wenn man den Hintergrund von Dvořáks „Stabat Mater“ kennt, kann man sich noch mehr in das Werk hinein fühlen.

Ich sehe hier aber kein Bild von Dvořák

Den habe ich noch nicht gemalt, aber ich habe es vor. Wenn es um andere Komponisten geht, habe ich einige Symbole hinzugefügt, die sich auf ihre Lebensläufe beziehen. Brahms wurde in Hamburg geboren, deswegen wollte ich ihn auf dem Bild mit einem wichtigen Element der lokalen Kultur wie Fußball darstellen, also mit einem Schal der ältesten Hamburger Mannschaft um den Hals. Auf dem rechten Arm des Komponisten sieht man eine weibliche Hand. Dies ist die Hand von Clara Schumann, mit der Johannes Brahms eng befreundet war, ob mehr zwischen den beiden war, ist bis heute nicht geklärt. Auch sie habe ich in einem eigenen Bild dargestellt. Neben dem Bild von Brahms hängt das von Franz Liszt. Wie man weiß, waren die beiden Konkurrenten.

Und deswegen hat Liszt einen Schal in der Sankt-Pauli-Farbe um seinen Hals?

Ja, Brahms war Vertreter der „absoluten Musik“ und Liszt der Programmmusik. Deshalb habe ich sie als Fußballfans zweier gegnerischer Mannschaften dargestellt. Es sollte eine Art Spiel zwischen den beiden sein. (Liszt hatte keinen Bezug zu Hamburg, hier berufe ich mich auf die künstlerische Freiheit).

Ebenso habe ich Ravel und Debussy paarweise aufgehängt, die Ihre Differenzen damals öffentlich in der Zeitschrift „Le Temps“ austrugen. Deshalb ist bei beiden der Titel „Le Temps“ im Hintergrund zu sehen.

Ich habe versucht, die Anekdoten und verschiedenen Fakten aus den Leben der Komponisten einfließen zu lassen. Die Silhouette von Carl Philipp Emanuel Bach zum Beispiel, der die letzten 20 Jahre seines Lebens in Hamburg verbrachte, ist mit dem Hamburger Dom im Hintergrund zu sehen. Er bewahrte das Archiv seines Vaters auf und gilt als sein Bewunderer, deswegen trägt er ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift: „I love Dad“. Als Händel die Hamburger Oper prägte, hatte er einen Kampf am Gänsemarkt mit Johann Mattheson, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Ich habe ihn mit Boxerhandschuhen und einem blauen Augen gezeichnet.

Mozart habe ich mit Michael Jackson verglichen. Beide waren zu ihrer Zeit große Stars und beide waren wahre „Fashion-Victims“. Wenn man sich das Bild von Mozart genauer ansieht, sieht man außerdem Anspielungen auf seine Zugehörigkeit zu den Freimaurern und eine goldene Schallplatte für sein berühmtes „Requiem“.

Und Dein Lieblingskomponist: Ludwig van Beethoven?

Er ist vor dem Hintergrund der Noten seiner Neunten Symphonie dargestellt, hält ein Hörgerät und ein Exemplar einer fiktiven Zeitschrift in der Hand, wo die Geschichte von seiner Miniatur „Für Elise“ beschrieben sein könnte.

Auch zu der Weinflasche im Vordergrund gibt es eine Anekdote: Als Beethoven im Sterbebett lag, sagte er zu Schindler: „Schade, schade, zu spät“. Dies bezog sich auf einen bestimmten Wein, den er bestellt hatte. Ihn zu trinken schaffte er nicht mehr, bevor er starb.

Verdi ist als Gefangener gekleidet – das ist eine Anspielung auf den Gefangenenchor. Hier gibt es auch noch mehr Symbole für „La Traviata“ und „Aida“. Wer die eine oder andere Anekdote kennt, muss über die Bilder sicher schmunzeln, aber auch so habe ich versucht, die Komponisten auf witzige aber nicht respektlose Art darzustellen.

Welche Technik verwendest Du?

Ich nutze überwiegend stark pigmentierte Buntstifte (Polychromos). Manche meiner Bilder sind aber auch mit Acryl gemalt oder als Collage entstanden.

Wie ist die Idee mit den Beuteln entstanden?

Das verdanke ich meiner Freundin Barbara. Sie war der Meinung, es wäre zu schade, wenn die Bilder nur bei uns zuhause hingen. Sie singt im Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor und findet es toll, wenn sie, je nachdem welches Werk gerade geprobt wird, mit dem passenden Komponistenbeutel zur Chorprobe kommen kann. In all meinen Bildern steckt sehr viel Herzblut. Ich habe sie für mich gemalt und hatte eigentlich nicht die Absicht, sie zu veröffentlichen. Aber Barbara wollte unbedingt einen Stoffbeutel mit dem Bach-Bild haben. Als sie damit zur Chorprobe gegangen ist, gab es viele positive Reaktionen darauf. Deshalb haben wir entschieden, Beutel und Postkarten mit den Komponisten-Bildern herzustellen.

Attilas Freundin Barbara ist Chorsängerin und als solche immer passend gekleidet.

Warum hat Bach auf diesem Bild Lockenwickler und sitzt auf einem Klo?

Egal wo Bach sich befunden hat, er muss immer produktiv gewesen sein. Charakteristisch für sein Portrait ist die Perücke mit den Locken und irgendwie müssen die Locken ja entstanden sein. Seine Wangen sind etwas geröteter als im Original, da überliefert ist, dass Bach ein Weinliebhaber war. Ich wollte ihn auf lustige Weise darstellen, ihn aber nicht parodieren. Neben Beethoven ist Bach einer meiner liebsten Komponisten und ich habe großen Respekt vor dem, was er geschaffen hat.

Jetzt hast Du einen Online-Shop eingerichtet?

Ja, weil die Nachfrage groß ist. Auf der Seite www.abbassian.etsy.com biete ich Beutel, Postkarten und mehr, bedruckt mit meinen Bildern an. Abgesehen von den Komponisten habe ich auch noch andere Motive gemalt. Aufgrund meiner persischen Abstammung interessiere ich mich auch sehr für die altpersische Kultur und Geschichte. Eins meiner Projekte befasst sich mit einer neuen Interpretation der Reliefs von Persepolis. In früheren Projekten habe ich mich auch mit ägyptischer Kunst und der Darstellung der berühmten Nofretete beschäftigt. Aktuell sind einige meiner Werke im Optiker-Geschäft „Blickwerk“ ausgestellt.

Zwei Etappen in der Entstehung eines Wagner-Porträts.

Hattest Du während der ersten Monate dieses Jahres, als die Corona-Pandemie ausbrach, mehr Zeit, Dich mit Deiner Kunstarbeit zu beschäftigen?

Der Online-Unterricht war zu Beginn wesentlich zeitaufwändiger als der normale Schulbetrieb und das, obwohl ich nicht in Vollzeit beschäftigt war und somit auch nicht so viele Klassen zu unterrichten hatte. Hut ab vor allen vollzeitbeschäftigten LehrerInnen, die diese Ausnahmesituation gemeistert haben. Dennoch sind in dieser Zeit ein paar neue Bilder entstanden, zuletzt ein Portrait von Richard Wagner. Er ist in Bezug zu  seinem Lebenswerk dargestellt: Er trägt den Walküren-Helm auf dem Kopf, den Ring des Nibelungen um den Hals und hält das Schwert Nothung in der Hand. Im Hintergrund ist natürlich das Festspielhaus in Bayreuth zu sehen.

Und das ist genau das Richtige für mich! Herzlichen Dank für das Gespräch.

Jolanta Łada-Zielke, 30. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at


Fotos im Beitrag: © privat, Attila Abbassian

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