Riccardo Muti (Dirigent) © SF / Marco Borrelli
Ravenna Festival 2023
A Trilogy According to Riccardo Muti
vom 16. bis 22. Dezember 2023
von Kirsten Liese
Es gab in den vergangenen Jahren nicht allzu viele Gelegenheiten, Opernaufführungen unter dem Stab von Riccardo Muti zu erleben. Das erklärt sich mit dem Gros an zeitgeistschnittigen, unsinnigen, hässlichen Inszenierungen, vor denen man nirgendwo mehr sicher ist. Als der Kompromissloseste unter den Dirigenten gibt sich Maestro Muti dafür nicht her. Lieber dirigiert er Konzerte statt schlechte Opernproduktionen, und das übrigens nicht erst seit jüngerer Zeit.
Sogar schon in jungen Jahren, als er noch in den Startlöchern seiner Karriere stand und noch keinen großen Namen hatte, legte sich der Italiener in Paris mit dem damaligen Intendanten Rolf Liebermann an, der ihm anstelle des erkrankten Luchino Visconti einen Regisseur vorgesetzt hatte, der Muti untragbar erschien. Liebermann hatte damals gemeint, ein so junger, noch unbekannter Dirigent könne es nicht wagen, sich mit der Pariser Oper anzulegen, aber kaum hatte er das gesagt, erhob sich Muti von seinem Stuhl und ging.
So konsequent und mutig sind nicht allzu viele seiner Profession. Dafür liebt das Publikum Muti, und ich auch.
Mit Rückblick auf seine unvergessenen, genialen Opernproduktionen, ganz gleich ob in Salzburg oder Mailand, ist das natürlich ein trauriger, riesiger Verlust. Nie wieder habe ich einen so packenden Macbeth gesehen wie 2011 in der Salzburger Felsenreitschule, für den Muti in Peter Stein den idealen Regisseur fand. Oder auch eine so hinreißende Zauberflöte wie die von 2006 in Salzburg, inszeniert von Pierre Audi.
Und vor allem natürlich bei Mutis intensiver Arbeit in seiner Opernakademie mit jungen Nachwuchsdirigenten, Korrepetitoren, Sängerinnen, Sängern und seinem Orchestra Giovanile Luigi Cherubini kann jeder von den wertvollen Erfahrungen und Weisheiten des universal gebildeten Künstlers profitieren.
Wenn sich hier und da einmal die Lücke findet, dass er zusammen mit seiner Tochter Chiara, die bei dem legendären Giorgio Strehler ihr Handwerk lernen konnte, gemeinsam eine Oper einstudieren kann, ist das ein großes Glück. Gerade in diesen Tagen dirigiert Muti in Palermo noch einmal Mozarts Don Giovanni, seine jüngste Zusammenarbeit mit der Tochter, die im vergangenen Jahr in Turin Premiere hatte, in Palermo allerdings verspätet anlief, weil die erste Vorstellung eines Streiks wegen ausfallen musste.
Aber Muti wäre nicht Muti, wenn er sich von Widrigkeiten kleinkriegen lassen würde. Bei aller Schwermut, die ihn angesichts seiner Kämpfe an allen Fronten gegen schlechte Regisseure, verantwortungslose Kollegen und machtbesessene, kulturignorante Politiker überkommen mag, macht er sich weiterhin zum Anwalt Giuseppe Verdis und anderer Komponisten, die so oft übel zugerichtet werden.
Die diesjährige Herbst-Trilogie des Ravenna-Festivals (16. bis 22. Dezember) bietet ihm dazu beste Gelegenheit. Hier wird er zwei Opern immerhin in halb-szenischen Aufführungen dirigieren: Verdis Nabucco und Bellinis Norma (szenische Einrichtung: David Broccolo, Video und Eva Bruno, Licht-Design).
Dazu passt es, dass Muti in seiner italienischen Opernakademie in der Fondazione Prada in Mailand vom 18. bis 30. November mit dem Nachwuchs ebenso an Norma arbeitet. Wer sich für dieses Musikdrama interessiert, dürfte wohl auf absehbare Zeit keine zweite Gelegenheit erhalten, so viele kostbare Details über es zu erfahren. Wer nur einmal dem Maestro beim Unterrichten zugesehen hat, weiß, dass er Partituren fast taktweise seziert, immer noch etwas über die Musik selbst, die richtige Vortragsweise zu sagen hat. Noch dazu hört man ihm gebannt zu, weil er nie nur trocken doziert, sondern seine tiefgehenden Lektionen stets humorvoll zu verpacken versteht.
Abgesehen davon, dass dieses Musikdrama zwar einst entscheidend die Karriere von Maria Callas in den 1950er Jahren befeuerte, seit ihrem Tod aber nur noch selten hier und da auf Spielplänen auftaucht und vielen wohl nur allein seitens der Casta Diva-Arie ein Begriff ist. Wer wenn nicht Muti könnte mit seiner profunden Kennerschaft dazu anregen, es wiederzuentdecken und sich näher mit ihm zu beschäftigen?
Statt einer dritten Oper hat der geniale Verdi-Dirigent für die Herbst-Trilogie eine Verdi-Gala mit zahlreichen namhaften Sängerinnen und Sängern angesetzt, die am 20. Dezember den Abschluss bildet. Mit von der Partie sind Ildar Abdrazakov, Elisa Balbo, Isabel De Paolo, Rosa Feola, Juliana Grigoryan und Luca Micheletti, auf ihrem Programm stehen Arien aus den Opern Otello, Don Carlo, Simon Boccanegra, Macbeth, La forza del destino und Il Trovatore.
Neben seiner Kompromisslosigkeit und seinem Mut bewundere ich die sagenhafte Energie des 82-jährigen Muti, den ich neben seiner Arbeit mit Spitzenorchestern als einen ungewöhnlich hochaktiven Idealisten erlebe. So nutzte er noch ein kleines Zeitfenster zwischen einem Konzert in New York mit dem Chicago Symphony und den Don Giovanni-Proben in Palermo, um in Sarajevo ein Jubiläumskonzert des philharmonischen Orchesters Sarajevo zu dessen 100. Geburtstag ohne Gage zu dirigieren. Bei diesem Einsatz ging es an erster Stelle um eine humanistische Mission, war doch Muti 1997 einer der ersten Dirigenten, die kurz nach Ende des Bosnienkriegs in einem Militärflugzeug nach Sarajevo kamen, um mit einem Konzert für Frieden, Menschlichkeit und Versöhnung einzutreten, bei dem Chor und Orchester der Mailänder Scala Seite an Seite mit Musikern aus Sarajevo spielten.
Dass er damals auf der Rückreise sogar einen verminten Weg zum Flughafen auf sich nahm, auf dem er und einige Orchestermitglieder ihr Leben riskierten, erfahre ich fast nebenbei. Die Musikerinnen aus Sarajevo, die als Zeitzeugen dabei waren, wissen seinen mutigen Einsatz zu schätzen, sie wirkten auch überglücklich über seine Rückkehr vor wenigen Wochen nach 25 Jahren. Und nahmen dankbar mit, was er ihnen nun zu Beethovens Siebter und Schuberts Neunter zu sagen hatte.
Ein bisschen schade finde ich es – um auf die Herbst-Trilogie zurückzukommen –, dass sich Cristina Muti aus der Leitung zurückgezogen hat und dort nicht mehr Regie führt. Von ihr konnte man vor einigen Jahren in den Herbst-Trilogien wunderbare Arbeiten sehen, denke ich nur an die im neorealistischen Stil gehaltene Cavalleria rusticana oder den psychologisch packenden Otello. Schade eigentlich, dass die Eheleute Muti nie gemeinsam eine Produktion in Ravenna herausgebracht haben, wo ihre Kunst doch so von denselben Überzeugungen getragen ist. Aber was nicht ist, könnte ja vielleicht noch werden?
Jedenfalls stimmt es zuversichtlich, dass Ravenna für neue Ideen und wechselnde Konzepte offen ist und nicht Stücke-Zertrümmerern das Feld überlässt, sondern vielmehr Riccardo Muti als dem besten Anwalt der italienischen Oper, auf dass die Musik an erster Stelle steht.
Anders formuliert könnte man auch sagen: In Ravenna steht kurz vor Weihnachten das wichtigste Musiktheaterereignis auf dem Gebiet der italienischen Oper an.
Kirsten Liese, 31. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Herbst-Trilogie“ Mozart-da Ponte, Ravenna, 6.-7. November 2022
Ravenna Festival, Rocca Brancaleone Ravenna, Italien, 12. Juli 2020
XXXI. Ravenna Festival, Eröffnung Riccardo Muti, Ravenna Festival
Der Beitrag von Frau Liese zur Herbsttrilogie im Rahmen des Ravenna Festivals mit Maestro Riccardo Muti und dessen gerade absolvierten und unmittelbar vor ihm liegenden Projekten, spricht mir wieder voll und ganz aus dem Herzen.
Sein szenischer “ Don Giovanni“ in Palermo war ein sensationeller Erfolg, sowohl beim Publikum, als auch in den Kritiken. Was für Beweise bedarf es eigentlich noch, dass sein Weg und sein Konzept ein richtiger Weg ist und ein gewünschter Weg ist. Das Publikum findet das, was es sucht und bei keinem anderen Dirigenten findet, weil andere entweder wirklich keine Ahnung haben oder vor der Überperson Regisseur in die Knie gehen. Keinen Mut haben, „Nein“ zu sagen.
Es ist ja nicht das erste Opernhaus, das mit Muti einen solchen Erfolg einfährt. Haben die Intendanten der gr. Opernhäuser wie Wien oder die Salzburger Festspiele keine Augen im Kopf? Das kann ihnen doch nicht verborgen bleiben? Der Erfolg spricht doch für sich.
So weltfremd und aus dem Zeitgeist gefallen sind doch Palermo, Turin und Neapel auch nicht. Ebenso erbringen sie ja den Beweis, so falsch nicht zu liegen.
Man kann nicht oft genug auf diese Opernhäuser verweisen, die eine Produktion auf die Beine gestellt haben, bei der ein Einklang aller Seiten zustande kam, alle an einem Strang zogen und zu einem außergewöhnlichen Ergebnis bündelten und führten. Es passte alles zusammen und fügte sich zu einem großen Ganzen, das allen Seiten Rechenschaft trug: Der Musik, dem Libretto, der Absicht des Komponisten und auch dem Zeitgeist. Kein rückschrittliches, verstaubtes Konzept. Und zu Letzt dem Publikum, das glücklich und bereichert war.
Zu all dem Bedarf es aber Persönlichkeiten wie Riccardo Muti, der nicht müde wird für seine Überzeugung zu kämpfen, trotz aller Anfeindungen.
Der Erfolg gibt ihm Recht!
Ich hoffe sehr, dass dies auch bei anderen Intendanten zum Umdenken führt. Es darf doch nicht sein, dass das Können dieses überragenden Ausnahmekünstlers weiterhin der Welt vorenthalten wird und man sich nur mit Wehmut an Vergangenes erinnert, vielleicht mittels DVD-Aufnahmen, die es dann doch Gott sei Dank dokumentiert haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Sabine Jesch