Musik als Welttransformator

Vorschau 71. Festivals junger Künstler Bayreuth 2021

Auch diesen Sommer strotzt das Internationale Jugendkulturzentrum Bayreuth vor Leben, hallt von Konzerten, blüht nur so vor interessanten künstlerischen Ideen und lockt das Publikum mit Originalität und Frische. Im Rahmen des 71. Festivals junger Künstler Bayreuth finden wie immer Konzerte, Diskussionen, Workshops, Kamingespräche und andere Events statt. Das Thema des 71. Festivals: Transformation. Tradition. Aufbruch. wird wie vor einem Jahr von der jetzigen Situation der Corona-Pandemie geprägt.

von Jolanta Łada-Zielke

„Die Transformation ist nicht nur unsere Angelegenheit, sie betrifft jetzt die ganze Welt“, betont die Intendantin des Festivals Dr. h. c. Sissy Thammer. „Dazu gehören sowohl Digitalisierung als auch die Veränderungen in der Gesellschaft. Es erscheinen nationalistische und demokratieverachtende Tendenzen. Wir halten die Musik für einen Transformator zwischen Tradition und Aufbruch und setzen diesen Anspruch durch unsere Projekte um. Mit der Tradition verweisen wir auf unsere ungebrochene Geschichte, die bei Jugendfestivals in Europa sensationell und einzigartig ist.“

Erinnern wir uns an die Geschichte des Festivals: Es wurde 1950 von Herbert Barth, dem damaligen Pressesprecher der Wagner-Festspiele, als Internationales Jugendfestspieltreffen gegründet. Die Schirmherrschaft darüber übernahm Jean Sibelius unter dem Motto von Richard Wagner: „Kinder, schafft Neues!“. Das Ziel des Treffens war von Anfang an, eine große Probebühne für junge Künstler aus der ganzen Welt zu schaffen. Jedes Jahr kommen im August viele Studenten der Musikhochschulen nach Bayreuth, um an den von erstklassigen Dozenten durchgeführten Workshops teilzunehmen.

„Zu unserer Tradition gehört die Qualität unserer Veranstaltungen, die wir rigoros aufrechterhalten, wenn auch in anderer Quantität. Dieses Jahr haben wir keine 500 Teilnehmer aus 30 Nationen, sondern 230 aus 20 Nationen. Das tut unserer Qualität und unseren inhaltlichen Aufgaben keinen Abbruch“, erzählt Dr. Sissy Thammer. „Und mit dem Aufbruch signalisieren wir, was das Gebot der Stunde ist. Die Ausgangsposition war unser Mut und unsere Flexibilität. Das ist kein Eigenlob; wir waren mutig und hochflexibel, weil wir uns mehrfach auf die Pandemie-Situation besinnen mussten. Das war eine permanente Herausforderung, weil man mit fast ständigen Änderungen konfrontiert wurde. Aber trotzdem haben wir das geschafft und schaffen es auch bis zum Schluss“.

Die diesjährigen drei Leuchtturmprojekte der Akademie des Festivals sind: die Uraufführung des Musiktheaterspektakels „Mythos Prometheus“, das Gedenkkonzert „To heal, we must remember. Sich erinnern, um zu heilen“ und die Dirigierworkshops geführt von Anna Handler.

Galakonzert auf der Seebühne

 

Die musikalische Befreiung von Prometheus 

Das Projekt „Mythos Prometheus“ läuft im Rahmen des Musiktheater-Workshops. Es wird auf der Bühne mit Ausschnitten von Orffs „Prometheus“ sowie mit der Uraufführung des Werks „Prometheus Unbound“ des Hamburger Komponisten Fredrik Schwenk abgeschlossen.

„ »Prometheus« ist unsere Perle“, so Dr. Sissy Thammer. „Wir wollen Orffs Werk nicht verkürzen oder hineinpfuschen. Man musste Corona-bedingt, aber auch künstlerisch vertretbar, Szenen herausnehmen, in denen viele Personen auf der Bühne oder Holz- und Blechblasinstrumente besetzt sind, so dass dies im Zuge der Raumverhältnisse im Internationalen Jugendkulturzentrum realisierbar ist. Für die zweite Hälfte des Abends wurde eine Auftragskomposition an Professor Fredrik Schwenk vergeben, in dem Prometheus entfesselt wird. Der Titan wird durch die Musik erlöst“.

 Professor Fredrik Schwenk hat sich vom frühromantischen Drama inspirieren lassen:

„Ich habe zufällig das Theaterstück „Prometheus Unbound“  von Percy Bysshe Shelley aus dem Jahr 1818 entdeckt. Dieses Drama erzählt von die Befreiung Prometheus’, nachdem Jupiter wie prophezeit vom Thron gestürzt wurde. Hier findet sich der Zusammenhang beider Werke: In Orffs Oper sagt Prometheus die Jupiter-Niederlage voraus, wonach der Titan befreit und die Weltordnung verändert wird. Genau dort knüpfe ich an. In „Prometheus Unbound“ wird der Göttervater durch Demogorgon in den Abgrund gestürzt, Prometheus durch Herkules befreit. Aber diese Freiheit ist trügerisch, die Idylle fast wie ein Traum, die Gefahr, dass Prometheus, Jupiter gleich, zum neuen Tyrannen wird, ist groß. In der letzten Szene kommt Mutter Erde und mahnt ihn und die Menschen, die gewonnene Freiheit nicht zu verspielen. Die Botschaft beider Werke ist ambivalent, das Ende ist offen, als wolle es unser heutiges Dasein in Frage stellen.“

Das Musiktheater von Fredrik Schwenk nähert sich Orff im Hinblick auf die sehr spezifische Orchesterbesetzung, verwendet nur einen Sänger, der die Rolle Jupiters und Prometheus’ übernimmt, und könnte als Fortsetzung des Werks von Carl Orff gesehen werden, als dessen Enkelschüler sich Schwenk mitunter sieht.

„Ehrlich gesagt, habe ich am Anfang versucht, ein bisschen in die Fußstapfen Orffs zu treten, dann ist jedoch etwas anderes daraus geworden“, so Schwenk. „Bei Orff ist der Klang, mit der die Geschichte musikalisch umgesetzt wird, sehr hart, dunkel und kompromisslos. In meinem Stück kehren auf einmal weichere Farben und Töne zurück. Bei Orff ist alles schwarz-weiß und bei mir fängt die Musik an, verhalten aufzublühen. Wir haben versucht, dies sowohl in der Inszenierung als auch in der Lichtregie umzusetzen. Ich denke, dadurch wird diese Wandlung besonders deutlich und der Abend sehr spannungs- und abwechslungsreich. Das Carl Orff-Zentrum München wird die Vorstellung komplett als Video dokumentieren.“

Die Premiere findet am Mittwoch, den 11. August, um 19 Uhr statt. Die zweite Aufführung ist am 13. August ebenfalls um 19 Uhr, beide im Europasaal des Jugendkulturzentrums Bayreuth. Die Übertragung kann man auch online als Live-Streaming ansehen. Es wird sicher ein ungewöhnlicher Abend, an dem die beiden von Musik und Schauspiel geprägten Werke das Publikum fesseln.

Enigma Classica beim Schlussapplaus
Heilkraft der Erinnerung

Während der Pandemie sind viele Menschen plötzlich und unerwartet verstorben. Einige von ihnen gingen anonym, ohne Abschied von ihren Angehörigen. Es wird ihnen ein besonderes Gedenkkonzert mit der Musik verschiedener Genres aus aller Welt gewidmet. Am 18. August wird man Stücke von Klassik über Jazz bis hin zu Folk, Rock oder Country hören, Werke, deren Autoren die Themen rund um Leben und Tod, Begegnung und Abschied, Nähe und Distanz, Kontinuität und Bruch aufgreifen. Vielleicht hilft die Musik dabei, den Schmerz nach dem Verlust der geliebten Menschen ein wenig zu lindern.

Auch Dr. Sissy Thammer und die Verwaltungsdirektorin des Festivals Katerina Bayer-Tomanek sind persönlich von Corona-Todesfällen in ihren Familien betroffen. Das Problem beschäftigt ebenso den künstlerischen Leiter des Projekts Dr. Vladimir Ivanoff. Daher die Idee, dass jeder, der durch die Pandemie einen geliebten Menschen verloren hat, dieses Event mitgestalten könnte. Das Konzert wird nämlich von einer Projektion der Darstellungen begleitet, die von Verwandten und Freunden der Verstorbenen zugesandt wurden.

In einer Videoprojektion, die im Mittelpunkt des Gedenkkonzerts steht, werden ihre Bilder, ihre Namen, ihre Leitlinien oder Lieblingsgegenstände, eben das, was sie auch ausgemacht hat, gezeigt, erklärt Katerina Bayer-Tomanek. Die Musik soll dabei die verlorenen Gesichter wieder vor unsere Augen zaubern, ihre Einzigartigkeit und Unersetzbarkeit in Erinnerung bringen. Die Liebe zu ihnen noch mal spüren zu lassen und das Gedächtnis der zu früh verstorbenen vor dem anonymen Vergessen bewahren; dies soll Mittelpunkt dieses Abends sein. Es gibt kein Fristdatum, man kann dem Festival immer noch Materialien an die E-Mail-Adresse:   oder über das Facebook Profil https://www.facebook.com/youngartistsbayreuth zuschicken.

Das Projekt unter dem Namen „To heal, we must remember. Sich erinnern, um zu heilen“ wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR gefördert.

Ein Orchesterklang mit der Hand gestaltet

Eines der bereits abgeschlossenen Projekte sind die Dirigierworkshops von Anna Handler, die das Eröffnungskonzert des 71. Festival junger Künstler Bayreuth mit ihrem Ensemble Enigma Classica geführt hat. Dr. Sissy Thammer betont, die Idee zu diesen Workshops entstand aus langen, kreativen Gesprächen zwischen der jungen Dirigentin und der Festivalleitung:

„Wir saßen zusammen und fragten Anna, warum sie dies und das tut, wie kontrolliert sie die Leute, mit denen sie zusammenspielt, die so unterschiedlich zusammensitzen? Und dann haben wir den Titel »Den Klang in den Händen halten …«“ entwickelt.

Außer Studenten durften daran auch die Hospitanten teilnehmen, die im Hintergrund diese non-verbale Führung verfolgten, wie ein Dirigent ohne Worte und nur mit dem Körper agiert.

Bis zum 18. August finden im Rahmen des 71. Festival junger Künstler Bayreuth gut 50 Veranstaltungen, darunter Konzerte, Musiktheater und Open Airs in der Stadt und Region Bayreuth statt, die meisten davon im Europasaal des Jugendkulturzentrums in der Äußeren Badstraße 7a. Das detaillierte Programm findet man auf der Webseite:

https://www.youngartistsbayreuth.de/de/das-programm/veranstaltungskalender.html

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