Opernloft Hamburg: Die Hochzeitsgäste führen den Grafen bis zum Ende hinters Licht

W.A. Mozart „Figaros Hochzeit“  Opernloft in Hamburg, Premiere 27. April 2023

Foto: Kyoungloul Kim (Cherubino), Lukas Anton (Graf Almaviva), Freja Sandkamm (Gräfin) © Inken Rahardt

W.A. Mozart, „Figaros Hochzeit“
Opernloft, Hamburg, Premiere, 27. April 2023

von Jolanta Łada-Zielke

Alle Missverständnisse sind geklärt, die Ehepartner und Verlobten versöhnt, Cherubino ist wieder in der Gunst. Doch, anstatt die Hochzeit zu feiern, machen die Gäste den Grafen Almaviva mit erotischen Gadgets bewegungslos und verbeugen sich vor dem Publikum zunächst ohne ihn! Die Neuinszenierung der populärsten Oper Mozarts von Svenja Tiedt im Hamburger Opernloft ist frivol, findig, witzig, zeitgemäß und musikalisch ausgezeichnet.
Die Handlung spielt in einem exklusiven Club, der dem Ehepaar Almaviva gehört. Ihre Kunden nehmen an erotischen Spielen teil, wobei sie verschiedene Rollen übernehmen. Susanna arbeitet als Sekretärin und Figaro als technischer Angestellter. Dort wollen die beiden ihre Hochzeit feiern, aber ihr Chef – wie im Libretto – versucht dies zu verhindern und Susanna für sich zu gewinnen. Die anderen Protagonisten beschließen, ihm eine Lektion zu erteilen.

Die von Claudia Weinhart ausgestattete Szenerie beschränkt sich auf einen Raum mit roter Rosentapete, in dem nur ein Kuss-Sofa steht. Fünf Türen führen zu geheimen Kabinetten. Auf der Bühne sehen wir nur fünf Sängerinnen und Sänger, die die wichtigsten Figuren der Oper spielen. Die Regisseurin hat das Thema der unbekannten Herkunft von Figaro weggelassen, und damit auch die Charaktere von Marcellina und Bartolo sowie Barbarina und des Gärtners.

Kyoungloul Kim (Cherubino), Lukas Anton (Graf Almaviva), Freja Sandkamm (Gräfin), Anna Galushenko (Susanna), Stefan Karelin (Figaro) © Inken Rahardt

Ich habe bisher mehrere Inszenierungen von „Figaros Hochzeit“ in Polen und in Deutschland gesehen, also dachte ich, dass mich nichts überraschen konnte. Und doch ist es dem Opernloft-Team gelungen. Zunächst einmal Susanna (Anna Galushenko): Diese junge Dame ist sich seiner erwachenden Weiblichkeit bewusst und zögert nicht, deren Wirkung zu testen. Bei dem Duett „Crudel! Perché finora…“ kokettiert Susanna mit dem Grafen ganz offen, trotz ihrer Liebe zu Figaro und der Loyalität gegenüber ihrer Chefin. Deshalb ist ein anderes berühmtes Duett dieser Oper, „Canzonetta sull’aria“ eine Art Kraftprobe zwischen den Frauen. Die Gräfin Almaviva (Freja Sandkamm) klingt hier warnend, Susanna trotzig. Es funkt auf der Bühne.

Darüber hinaus ergänzen sich die beiden Damen gesanglich perfekt. Galushenko, die gerade im Opernloft debütiert, verfügt über einen hellen, klaren Koloratursopran von großer, für slawische Stimmen charakteristischen Kraft. Sie singt jedoch mit einer für Mozart-Partien angemessenen Leichtigkeit. Die reifere, dunklere Stimme von Sandkamm ist samtweich warm und lyrisch in der Arie „Porgi, amor“. Ihre Interpretation von „E Susanna non vien!“enthält dagegen viele Schattierungen dramatischen Ausdrucks. Für die Aufführung dieser Arie auf der Premiere hat die Sängerin zusätzlichen Applaus erhalten.

Neben der Gräfin spielt Freja Sandkamm auch Basilio. Es mag scheinen, dass ein Sopran zu diesem Charakter nicht passt. Die Sängerin parodiert jedoch absichtlich diesen Intriganten, indem sie ihrer Stimme ein quietschendes, zischendes Timbre verleiht. Daher macht sie sein Erscheinungsbild noch plastischer.

Und vielleicht die größte Überraschung: Cherubino ist männlich! Diese Rolle singt der südkoreanische Tenor Kyoungloul Kim. Schauspielerisch und stimmlich passt er perfekt zu einem Jugendlichen, der gerade seine ersten erotischen Faszinationen erlebt. Er hat sogar eine einzelne Phrase eine Oktave höher gesungen, verfügt also über das Potenzial für einen Countertenor. Allerdings erklingen beide Glanzarien Cherubinos „Non so più…“ und „Voi che sapete“ in der Aufführung von Kim zart und ergreifend, mit ausgeprägter Mittellage und schmelzenden hohen Tönen. Seine Rolle war der Bewegung bezüglich anspruchsvoll, besonders wenn er von der Bühne hinunterspringen musste.

Als Graf Almaviva tritt Lucas Anton auf. Der verführerische Klang seines voluminösen Baritons, mit dunkler Tiefen und sicherer Höhe, entspricht perfekt dem Charakter dieser Figur. Seine Deklamationskunst ist bemerkenswert. Ständig von den anderen Helden an der Nase herumgeführt, bringt er die ganze Palette der Gefühle zum Ausdruck: Liebe, Lust, Zorn, Eifersucht, Wut und schließlich eine demütige Unterwerfung. In einer der lustigsten Szenen treten die Figuren in kurzen Hochzeitskrinolinen vor den Grafen, mit durch Schleier verhüllten Gesichtern, so dass er selbst nicht mehr weiß, wer hier wer ist.

Lukas Anton (Graf Almaviva),  Anna Galushenko (Susanna) © Inken Rahardt

In der Rolle von Figaro sehen wir auch einen Bariton: Stepan Karelin. In Arbeitskleidung sieht er wie ein sympathischer „Junge aus der Nachbarschaft“ aus. Er verfügt über eine exzellente Gesangstechnik und verteilt die Kräfte zwischen tiefen und hohen Tönen gekonnt. Er singt mit Wärme, Humor und Lebhaftigkeit. Trotz der Klangschönheit, habe ich bei ihm kaum einen Unterschied zwischen „a“, „o“ und „e“ gehört, besonders auf hohen Tönen. Zwar ist der italienische Text für das Opernloft-Publikum „übersetzt“, oder genauer gesagt zusammengefasst, aber meiner Meinung nach soll der Sänger die Aussprache dieser Vokale mehr differenzieren. Dies wird ihm sicherlich nützlich sein, wenn er auf größeren Opernbühnen auftreten wird.

Anna Galushenko (Susanna), Stefan Karelin (Figaro) © Inken Rahardt

Anstatt eines Orchesters begleitet das Spektakel ein Trio unter der künstlerischen Leitung von Amy Brinkman-Davis. Die Pianistin „häkelt“ ununterbrochen diese Mozart’sche musikalische Spitze mit bewundernswerter Beharrlichkeit, Leichtigkeit und, wo nötig, mit Dramatik. Die Oboistin Anna Borisova und der Kontrabassist Andreas Krumwiede vervollständigen die musikalische Umrahmung des Spektakels.

In dieser Produktion gibt es jede Menge gemeinsames Streicheln, Kuscheln, Aus- und Umziehen (innerhalb der Grenzen des guten Geschmacks) sowie Knutschen. Also, wenn sich die Protagonisten am Ende versöhnen, erwartet das Publikum eine kleine Orgie. Die Vorstellung endet jedoch nur mit Fesseln und Knebeln des Grafen. Da das ursprüngliche Werk, das Theaterstück von Beaumarchais, politische Untertöne hatte, kann man in dieser Schlussszene eine Anspielung an einen der heutigen Diktatoren sehen. Die endgültige Interpretation bleibt jedoch dem Zuschauer überlassen.

Jolanta Łada-Zielke, 30. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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