Das Team von klassik-begeistert © Patrik Klein
Elbphilharmonie, Hamburg 17. Dezember 2023
Charles Ives, Central Park in the Dark
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 7 e-Moll
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Dirigent: Ingo Metzmacher
Traditionell kurz vor Weihnachten trifft sich ein Teil des Teams von klassik-begeistert in Hamburg, besucht die Hamburgische Staatsoper oder die Elphi und geht danach gut essen und trinken.
So auch in diesem Jahr 2023.
20 Klassik-Reporter und Angehörige versammelten sich am Sonntag um 10.20 Uhr vor der Elbphilharmonie am Hamburger Hafen und wohnten in Ebene 16 Gustav Mahlers Siebter unter Ingo Metzmacher bei. Die Reaktionen der Klassik-Begeisterten waren ganz unterschiedlich.
Andreas Schmidt, Herausgeber, bedankte sich bei den Autorinnen und Autoren herzlich für deren Humanität, deren Humor, deren Kreativität und deren Verbundenheit mit dem größten Klassik-Blog im deutschsprachigen Raum. „Ihr zeigt, wie moderner Klassik-Journalismus geht!“
Nach dem Konzert ging es ins Fischereihafen Restaurant Hamburg an der Elbe, wo das Team von Dirk Kowalke das Team von klassik-begeistert köstlich und perfekt mit einem Mittagsmenü bewirtete. Es gab als Hauptgericht Rotbarschfilet in Dijon-Senfsauce (18 Teilnehmer) und Kalbstafelspitz in scharfer Meerrettichsauce (2 Teilnehmer). Vegetarisches / Veganes wurde nicht bestellt.
Dr. Brian Cooper, Bonn: Charles Ives und Gustav Mahler mit Ingo Metzmacher in der von mir so heißgeliebten Elphi: Die 20 Klassikbegeisterten diskutierten beim anschließenden Mittagessen angeregt und einigermaßen kontrovers über die Aufführung und auch den Saal. Ich fand...
Der Wagner-Fan Mahler wäre begeistert gewesen in der Elphi
Johannes Fischer, Hamburg, San Francisco: Völlig entfesselt stürzte sich das Hamburger Staatsorchester unter der lebhaften Leitung von Ingo Metzmacher in dieses Mammutwerk namens Mahler 7. Sei es ein blitzsauberes Tenorhorn-Solo, die tönenden Meistersinger-Choral-Zitate oder Kuhglocken, die aus allen Etagen der Elphi klingen, das war mal ein symphonisches Gesamtkunstwerk par excellence. Ausnahmslos alle MusikerInnen dieses sonst allzu oft mau spielenden Orchester waren mit vollem Leib und Seele bei Sache, der Komponist und bekennende Wagner-Fan wäre begeistert gewesen! Es braucht eben nur die richtigen DirigentInnen für die richtige Stimmung.
Herr Metzmacher soll beim Staatsorchester ein sehr hohes Ansehen haben. Wer merkt’s am meisten? Das Publikum!
In den Höhen der Elbphilharmonie mit Mahler dem Himmel ganz nah
Petra und Dr. Guido Grass, Köln: Der Sinfonie Nr. 7 e-Moll Gustav Mahlers (1904 – 08) wird gelegentlich der Beiname „Lied der Nacht“ zugeschrieben. Eingestimmt werden wir hierauf durch das beinahe zeitgleich entstandene „Central Park in the Dark“ (1906). Von den höchst gelegenen Plätzen geht unser Blick tief hinunter, senkrecht in den Trichter der Tuba. Wir sind gespannt, wie hier oben das Großformat der Mahler’schen Sinfonie klingen wird. In der Tat: Gleich nach den ersten Takten sind wir nicht mehr wirklich hier. Wie im Kamin zieht Gustav Mahlers Klangwelt zu uns hinauf. Der Klagegesang des exzellent spielenden Tenorhorns erreicht uns unmittelbar. Die Harfenklänge gegen Ende des ersten Satzes: einfach himmlisch! Der transparente Klang der Elbphilharmonie lässt uns manche Details neu hören. Wir meinen, mitten im Kammerorchester zu sitzen, wenn im vierten Satz Gitarre und Mandoline zart ihre Saiten anschlagen. Das feierliche Finale setzt einen fulminanten Schlusspunkt.
Offensichtlich hat Ingo Metzmacher bei den Proben gut an Details gefeilt. Sein eher analytischer Ansatz und der Raum fügen sich gut ineinander. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg überzeugt uns auch mit seinen solistischen Leistungen, allen voran das Tenorhorn und die Trompeten.
Mahlers Siebte unter Ingo Metzmacher zerfällt in ihre Einzelteile
Sandra Grohmann, Berlin: Mahlers Siebte unter Ingo Metzmacher zerfiel überwiegend in ihre Einzelteile. Eine Aneinanderreihung von Tönen ergibt eben noch keine musikalisch überzeugende Aufführung, zumal dann nicht, wenn die Dynamik im ersten Satz gerade einmal von f bis ff reicht. Aber es gab auch schönen solistischen Vortrag, einen durchaus spannungsreichen dritten Satz und ein strahlendes Finale. Die Akustik unterm Dach der Elphi erwies sich als erstaunlich transparent – ein erquickendes Erlebnis.
“Es schienen so golden die Sterne”
Nicole Hacke, Hamburg: Mahlers Symphonie Nr. 7 in e-Moll, die keine Programmmusik ist und doch so sehr danach klingt, lässt Bilder vor dem inneren Auge aufflackern, die Assoziationen an eine beschwerliche Wanderung im alpinen Gelände erwecken. Im steilen Felsen entlang eines tosenden Wasserfalls, dessen Wassermassen bedrohlich grollend in die Tiefe stürzen, steigt der Wanderer immer höher auf ein Plateau hinauf, bis er vor der Öffnung eines weiten lauschigen Tales steht: Das absolute Idyll! Orchestral von Ingo Metzmacher differenziert zum Leben erweckt, lässt das musikalische Werk Mahlers große Interpretationsspielräume zu. Doch an eine Nachtmusik, die sich im 2. Satz sogar noch an Joseph von Eichendorffs Dichtung “Es schienen so golden die Sterne” anlehnen soll, erinnert Mahlers Symphonie nicht wirklich. Jedoch wird die Unberechenbarkeit der Natur zum Schauplatz eines Wechselspiels zwischen paradiesischer Idylle und bedrohlicher Wildnis –musikalisch perfekt in Szene gesetzt!
„Hello Ma Baby“, Kuhglocken und eine große Nachtmusik
Jolanta Łada-Zielke, Hamburg: Wie klingt die Nacht gespielt vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der charismatischen Leitung des charismatischen Ingo Metzmachers? Mal lyrisch und beruhigend, dann wieder geheimnisvoll und verstörend, manchmal sogar bedrohlich… All dies ist in den beiden Stücken enthalten, die wir am Sonntag, 17. Dezember 2023, in der Elbphilharmonie miterlebt haben.
Als erstes hören wir Charles Ives’ avantgardistisches „Central Park in the Dark“ von 1906. Man sieht sich auf einer Bank im Central Park in Manhattan, beim Lauschen der von Streichinstrumenten imitierten Zirpen der Grillen. In diese Geräusche schleicht sich ein Klarinettensolo und ein Ragtime von Klavier ein. Im Mittelteil des Stücks ist ein Motiv des populären Tin-Pan-Alley-Songs „Hello Ma Baby“ von 1899 zu hören; als ob eine amüsierte Party-Gesellschaft durch den Park gelaufen wäre.
Gustav Mahlers Symphonie Nr. 7 in e-Moll ist aufwändiger, zwei ihrer fünf Sätze bezeichnete er als „Nachtmusik“. Metzmacher dirigiert sie mit Wucht, Präzision, Hingabe, manchmal sogar mit Witz. Bei dem letzten Satz macht er sogar ein paar Tanzschritte. Das größte Interesse weckt die Verwendung von Kuhglocken in der Nachtmusik I, die die Schlagzeugerin im 16. Stock des Auditoriums bedient. Während der Arbeit an diesem Werk erholte sich Mahler in den Dolomiten und muss dort solche Inspiration gefunden haben.
Zum Schluss ein großes Lob an Michael Sangkuhl für den großartigen Artikel im Programmheft! Er beleuchtet nicht nur die wesentlichen Fakten zur Entstehung der beiden Werke, sondern beschreibt sie sehr ausführlich und stimmungsvoll. Wenn man ihn später zu Hause liest, kann man dieses Konzert noch einmal erleben.
Kein Hörerlebnis
Iris Röckrath, Hamburg: Mich hat Herr Metzmacher mit seiner Interpretation der 7. Sinfonie von Gustav Mahler nicht überzeugen können. Seine Blicke galten während der Aufführung in der Hauptsache der Partitur, die vor ihm lag. Ein Hörerlebnis hat sich für mich daher nicht eingestellt. Mir fehlte der persönliche Kontakt zum Orchester. Das Publikum jedoch war begeistert und hat mit lauten Bravorufen applaudiert. Während der einzelnen Sätze haben mehr als 10 Personen ihre Plätze verlassen und sich nach längerer Sucherei zu den Ausgängen begeben. Ich bin höchst irritiert über das ungezogene Verhalten dieses Publikums, das in dem runden Saal alle Blicke auf sich zieht und auch extrem ablenkt vom Konzerterlebnis. Außerdem ist es ein ignorantes Verhalten den mitwirkenden Künstlerinnen und Künstlern gegenüber.
Solides Klangerlebnis, facettenloses Dirigat
Andreas Schmidt, Herausgeber, Hamburg / Wien: Mahler 7 in der Elphi war ein solides Konzerterlebnis, dargeboten von einem soliden Orchester, dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, beheimatet in der Hamburgischen Staatsoper. Nicht weniger und nicht mehr. Das facettenlose Dirigat von Ingo Metzmacher mag dazu beigetragen haben, dass einige Nuancen und Feinheiten des Werkes nicht herausgearbeitet wurden. Zahlreiche Besucher verließen den Saal vor dem 5. Satz und währenddessen. Das ist mega-asozial, aber vielleicht nicht dumm, denn der 5. Satz gehört mit seinem fragmentarischen Komponierstil zum Tiefpunkt des Mahlerschen Schaffens.
Dr. Andreas Ströbl, Lübeck: Eigentlich bräuchte eine Mahler-Symphonie mit ihren üblichen Dimensionen von der Länge, der Orchestergröße und der umfassenden inhaltlichen Fülle her kein Vorprogramm-Stück, aber Charles Ives’ „Central Park in the Dark“ hätte Mahler sehr wahrscheinlich gut gefallen – ist es doch wie ein kleiner seelenverwandter Gruß in Richtung nicht nur seiner 7. Symphonie, mit den zarten Naturlauten und den collagenhaft eingestreuten Straßenmusik- und Rummelplatz-Ragtime Zitaten.
Daher bot dieser kleine nächtliche Ausflug in den letzten Rest von (gezähmter) Natur inmitten der Steinwüste Manhattans eine gute Vorbereitung zu derjenigen Symphonie, die in der Rezeption, sprich Aufführungspraxis des Mahler’schen Werks oft zu kurz kommt. Dabei enthält sie fast alles, was Mahlers Symphonik ausmacht, nämlich die tiefe Liebe zur alpinen Welt, wehmütige Reminiszenzen an die Wunderhorn-Lieder, die charakteristischen Kindheitserinnerungen an die Militärmusik – bis hin zur Weiterführung in Mozart’schem Janitscharen-Dschingderassa – und dramatische Einblicke in das Universum seiner verletzlichen Seele, in der sich die ganze Welt in all ihren Facetten im Spektrum von „allmächtig“ über „schroff“ und „liebenswert“ bis „grotesk“ widerspiegelt. Der Finalsatz enthält die bereits in der 3. Symphonie exzessiv und tatsächlich unerreichbar ausgearbeiteten Steigerungen und Verzögerungen, die schließlich zur triumphalen Auflösung führen. Nur die großen Katastrophen spart Mahler hier aus, weswegen dieses Werk, wie Mahler selbst schreibt „vorwiegend heiteren Charakters“ ist.
Das aber will bei Mahler nicht viel heißen, und so wandert Ingo Metzmacher mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg in differenzierter Berücksichtigung der überreichen Instrumentierung mit Herdenglocken, Schlagwerk in beinahe allen denkbaren Möglichkeiten, Mandoline und Gitarre durch eine aufwühlende Nacht mit Betonung der harschen Brüche, abrupten Wendungen und musikalischen Überraschungsmomente. Das bei dieser Matinée erfreulich disziplinierte Publikum zerklatschte diesmal die Aufführung nicht, und so manche Mahler-Liebhaber verließen beseelt die „Elphi“, mit den Lauten der Natur und den Schlagwerk-Rhythmen noch stundenlang im inneren Nachklang – bis in die dunkle Winternacht.
Harald Nicolas Stazol (bravo !, AS), Hamburg:
Oh Gustav, Deine Sieben?
Was hast Du da bloß aufgeschrieben!
Die Pauke dröhnt, die Zimbel klingt,
In Trance ja man fast versinkt!
Die Glocken klingen einer Kuh,
Acht Bassgeigen, verwandt im Nu!
Groß Anforderung dem Dirigat,
Wer da noch was dagegen hat…
Fünf Sätze sinds, ganz ohne Qual!
Wer Wagner mag, hat and’re Wahl!
Wie stets von Dir kommt’s mit Gewalt,
Für manche ist das ungestalt,
Für mich ist es Elysium
- drum dreh die Platte ich gleich um!
Liebe Leserinnen und Leser, freuen Sie sich auf die persönlichen Highlights 2023 unserer Klassik-Reporter am Sonntag, 31. Dezember 2023, zu lesen bei klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at