Bruckner Fünf im Musikverein: Thielemann schenkt Frieden

Wiener Philharmoniker Christian Thielemann  Musikverein Wien, Goldener Saal, 2. November 2025

Foto: Thielemann-Christian (c) Michael-Poehn

Bruckner und Thielemann – das ist eine eigene Liga. Im Musikverein Wien durfte man Zeuge werden – keiner versteht Bruckner wie der Herr Kapellmeister. Der letzte Ton ist verklungen, und man bettelt nur: Christian, bitte halt die Hände oben. Stille, denn keiner traut sich zu applaudieren, solange Thielemann die Spannung nicht löst.

Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann, Dirigent

Musikverein Wien, Goldener Saal, 2. November 2025

von Jürgen Pathy

Zuvor gab’s eine Lehrstunde, wie man Bruckner 5 gestaltet – wie ein Heiligtum. Ohne Gewalt, sanft und leise beinahe, soweit das bei Bruckner halt geht. Ja nichts zerbrechen. Und: die Zerrissenheit, die muss man unter einen Nenner bringen. Satz drei und vier vor allem, eins und zwei gestalten sich harmonischer.

Thielemann schafft das mit folgenden Mitteln: Crescendi sind eben Crescendi – lauter werdend und nicht unbedingt im Lärm endend. „In Salzburg kommt das besser zur Geltung“, meint eine Dame. Darüber lässt sich streiten. Den Musikverein Wien muss man eben bedienen können. Nur Vollgas verträgt der nicht, der berühmte Goldene Saal. Das wissen die Wiener Philharmoniker wie auch Christian Thielemann.

Die Piani hebt er wie gewohnt von ganz unten. Thielemann-Hocke, die kennt man. Kaum wahrnehmend hievt der Kapellmeister den Sound des ersten Satzes so empor. Leise, wie aus dem Nichts, erhebt sich so der Streicherchoral – nachdem die Bass-Pizzicati heranschleichen.

Da steht selbst das kleine Mädchen auf. Zuvor hatte sie gemalt, auf dem Boden, am Stehplatz. In dunklen Blautönen, Lila, Schwarz – dazu hatte sie „Elysium“ animiert, von Sammy Moussa. Sammy wer? Ja, geht mir ebenso – ein Kanadier, 41, Dirigent und Komponist. Dessen Werk hatte man vorangestellt: rund zehn Minuten Einstimmung auf Bruckner. Wie ein Kirchensound, erfreulich tonal, Harmonien wie bei Bruckner. Nun sitzt das Mädchen auf Papas Schultern. Fast wie bei einem Rockkonzert – nur dass hier andachtsvolle Ruhe herrscht. Selbst die Chinesen geben keinen Laut von sich.

Das ist eines der Highlights von Sonntagmittag. Abonnementkonzert, 11:00 Uhr Start, Ende nach der Mittagszeit. Der Hunger muss wohl groß gewesen sein. Deshalb trifft man einen Teil des Orchesters bereits zehn Minuten nach dem Ende der Matinee vor der Tür.

Das haben sich alle verdient. Konzertmeister Rainer Honeck hat die Hochform und den sanften Ton noch mitgebracht – vom Vortag, aus der Wiener Staatsoper. Dort hatte er unter Christoph Koncz gespielt, nun im Musikverein. Volles Programm, Alltag bei den Wiener Philharmonikern. Ein Fulltimejob, der schon fordern kann.

Thielemann weiß das – und wie man die Primgeiger allesamt behandelt. Freiraum – den muss man ihnen schenken. Immer wieder steht Thielemann am Pult – regungslos, keine Zeichengebung. Nur die Spannung, die spürt sicher jeder. Von Satz eins bis vier. Das ist die Kunst bei Bruckner. Simon Rattle hatte es mit dem BRSO vor wenigen Wochen nicht geschafft. Bruckner 7 stand da auf dem Programm. Thielemann eben schon – mit der weitaus schwerer zu fassenden Fünften. Und es ist sakral, leise, andächtig: ein Schulterschlag mit Bruckner, dem Thielemann seinen Frieden schenkt.

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