Wiener Volksoper, Wiener Staatsballett, 1. Februar 2020 – Foto: © Pálffy
Carmina Burana, Carl Orff
Nachmittag eines Fauns, Claude Debussy (Prélude à l’après-midi d’un faune)
Bolero, Maurice Ravel
von Julia Lenart
Vor acht Jahren wurden drei Choreografen damit beauftragt, drei große Werke der Musikgeschichte neu zu inszenieren. Nun bringt die Wiener Volksoper dieses Programm mit Stücken von Claude Debussy, Maurice Ravel und Carl Orff erneut auf die Bühne. Die Wiederaufnahme ist gelungen, der tosende Applaus mehr als verdient.
Als Claude Debussy die Prélude à l’après-midi d’un faune 1894 komponierte, stießen seine neuartigen Klangvorstellungen auf Unverständnis. Als Wazlaw Nijinski fast zwanzig Jahr später das Werk choreografisch inszenierte, war es der obszöne Tanz, der die Zuseher verschreckte: Ein Faun erinnert sich in der Nachmittagshitze an die leidenschaftliche Begegnung mit einer Nymphe. Wie in impressionistischen Werken üblich, geht es um Sinneseindrücke, die zwischen Traum und Realität schweben. Das Publikum erfährt nie, ob diese Begegnung je stattgefunden hat.
Die Musik legt einen Schleier über das Geschehen, der Tanz lässt Realität und Traum verschwimmen. Felipe Vieira und Tainá Feirreira Luiz zeigen eine hervorragende tänzerische Leistung. Sie schleicht sich allmählich ins Bild, wird immer präsenter, immer realer, immer greifbarer. Die Körper der beiden Tänzer winden sich in sehnsüchtiger Leidenschaft, bewegen sich in fließender Harmonie und im Einklang mit der klangfarbenreichen Musik Debussys. So verschwommen wie die Erinnerung an die Nymphe aufgetaucht waren, so schnell entgleitet sie dem Faun auch wieder. Die Choreografie von Boris Nebyla trifft den Geist des Werkes: Es ist eine zwölfminütige Traumsequenz, die doch irgendwie real wirkt.
Das Orchester der Volksoper unter der Leitung von Guido Mancusi spielt fabelhaft. Die klanglichen Feinheiten bei Debussy herauszuarbeiten, ist nicht leicht. Schon einige Orchester sind daran gescheitert. Das Orchester der Volksoper meistert die Leichtigkeit der Melodien, die sich ebenso fließend fortbewegen, wie die Tänzer auf der Bühne. Musik und Tanz verschmelzen regelrecht.
Nach den traumhaften Impressionen Debussys folgt der mechanisch konzipierte und doch leidenschaftliche Bolero von Maurice Ravel. Der Komponist selbst soll über das Stück, das allgemein als sein Meisterwerk gehandelt wird, gesagt haben, dass es keinerlei Musik enthalte. Dieses als Experiment angedachte Werk ist ein repetitives Crescendo, das sich über fünfzehn Minuten in hypnotisierender Weise aufbaut, um dann in sich zusammenzufallen.
Die Bühne ist pechschwarz, ein einziger Scheinwerfer leuchtet auf den Dirigenten als die Kleine Trommel mit dem so bekannten Bolero-Rhythmus beginnt, leise und doch bestimmt. Eine einzelne Tänzerin eröffnet das Spiel, lässt die übrigen neunzehn Tänzer auf die Bühne und schließt am Ende den Vorhang hinter ihnen. Der ungarische Choreograf András Lukács hat mit seiner Choreografie faszinierende Bilder geschaffen. Er zaubert mechanisch pulsierende Muster auf die Bühne, die sich mal im parallel, mal im Kanon entwickeln. Die Tänzer des Wiener Staatsballetts wirken wie Teile eines Uhrwerks, die sich rhythmisch fortbewegen – ein hypnotisierender Anblick.
Die Choreografie ist eine in sich stimmige Kurve. Sie enthält Höhepunkte, die sich wieder ins Nichts zerstreuen und am Ende zu ihrem Ausgangspunkt zurückfinden. Damit steht die Choreografie allerdings der Entwicklungslinie der Musik entgegen, die sich als stetiges Crescendo aufbaut und in einem Höhepunkt am Ende kulminiert. Schade, angesichts der großartigen Ausführung der beiden Komponenten Musik und Tanz.
Den Abschluss macht die von Vesna Orlic choreografierte Carmina Burana. Der Einsatz des Chores und des Orchesters zum imposanten „Oh Fortuna“ sorgt für Gänsehaut. Orlics Choreografie ist ebenso fesselnd wie die beiden vorherigen Stücke. Fortuna posiert im Zentrum der Bühne, um sie herum schemenhafte Körper, die allmählich in Bewegung kommen. Wie pulsierende Erde umtanzen sie das Schicksal, keimen auf und verwelken wieder. Die Verbundenheit zu Mutter Natur, die im ersten Teil des Werkes besungen und betanzt wird, mutet sehr ästhetisch an.
Der zweite Teil (In Taberna) ist dagegen eher amüsant: ein schwarzer Schwan, der beinahe von Mönchen verspeist wird, sich aber flüchten kann; Mönche, die mit pinken Unterröcken Can Can tanzen; und Klosterschwestern in Strapsen. Die Choreografie ist unterhaltsam, driftet aber nicht in die Lächerlichkeit ab. Spätestens der dritte Teil bringt das Stück mit Erzählungen über Spielarten der Liebe wieder zur Ernsthaftigkeit zurück. Das Eifersuchtsspiel zwischen Ehemann (Felipe Vieira), Ehefrau (Tainá Ferreira Luiz) und der Rivalin (Kristina Ermolenok) ist ebenso grandios ausgeführt, wie der Tanz des alten und des jungen Paares (Gloria Maass und Kurt Fuckenrieder bzw. Mila Schmidt und Keisuke Nejime). Die Gesangssolisten geben solide Leistungen ab: Ben Connors Bariton und Elisabeth Schwarz‘ Sopran mischen angenehme Klangfarben unter den gewaltigen Klangkörper des Chores. Instrumentalmusik, Gesang und Tanz fügen sich zu einem stimmigen Ganzen zusammen.
Weder choreografisch noch musikalisch gibt es an diesem Ballettprogramm viel auszusetzen. Die tänzerischen Leistungen sind gewaltig. Das schlichte Bühnenbild, welches in zauberhafte Lichtstimmungen getaucht wird, bietet die passende Kulisse für die Tanzperformances. Boris Nebyla, András Lukács und Vesna Orlic haben hochwertige Choreografien geschaffen, die von den Tänzern großartig ausgeführt werden. Es ist ein hypnotisierender, faszinierender und musikalisch hochwertiger Abend.
Julia Lenart, 2. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Guido Mancusi, Dirigent
Vesna Orlic, Choreografie für Carmina Burana
Boris Nebyla, Choreografie für Nachmittag eines Fauns
András Lukács, Choreografie für Bolero
Orchester der Volksoper Wien
Chor, Zusatzchor und Kinderchor der Volksoper Wien
Tainá Ferreira Luiz, Tänzerin bei Nachmittag eines Fauns / Ehefrau bei Carmina Burana
Felipe Vieira, Tänzer bei Nachmittag eines Fauns / Ehemann bei Carmina Burana
Martin Winter, Fortuna
Mila Schmidt, Junges Mädchen
Keisuke Nejime, Junger Mann
Kristina Ermolenok, Rivalin
Gloria Maass, Alte Frau
Kurt Fuckenrieder, Alter Mann
Samuel Colombet, Schwarzer Schwan
Wiener Staatsballett
Elisabeth Schwarz, Sopran
Alexander Pinderak, Tenor
Ben Connor, Bariton