Musikverein Wien: Facettenreiche Dynamik sorgt für Enthusiasmus im Goldenen Saal

Wiener Symphoniker, Manfred Honeck, Igor Levit,  Musikverein Wien

Foto: Copyright Robbie Lawrence
Musikverein Wien,
Großer Saal, 18. Mai 2018
Wiener Symphoniker
Manfred Honeck, Dirigent
Igor Levit, Klavier

von Jürgen Pathy

Etwas verspätet betreten die hochklassigen Protagonisten die Bühne des prächtigen Goldenen Saales des Musikvereins Wien. Mit im Gepäck haben die Ausnahmemusiker zwei epochale Werke zweier Genies: Ludwig van Beethovens Es-Dur Klavierkonzert und Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitschs gigantische fünfte Sinfonie.

Schon bei der eröffnenden Kadenz verdeutlicht der gefeierte Jungpianist Igor Levit, 31, warum er zu den wenigen auserkorenen Klaviervirtuosen zählt, die auch bei den renommierten Salzburger Festspielen auftreten dürfen. Die Läufe der ungewöhnlicherweise gleich am Satzbeginn stehenden Kadenz des Es-Dur Klavierkonzertes perlen herrlich rasant und ohne Schnörkel in einem atemberaubenden Fluss dahin. Trotz teils gewöhnungsbedürftiger Rhythmik wird klar, warum der gebürtige Russe seit seinem Auftritt im Musikverein im Jahre 2014 – als Einspringer für Maurizio Pollini – unaufhaltsam in Richtung Gipfel des Olymps stürmt: feine dynamische Abstufungen gepaart mit einem glasklaren, farbenreichen Klang gestalten das beliebte „Emperor“ Konzert zu einem ungewöhnlich sanften Hörgenuss – kongenial unterstützt von einem ebenso grazil musizierenden Orchester.

Vor dem hochromantischen Adagio, dem die hervorragenden Streicher sehr viel herzergreifenden Zauber verleihen, nehmen sich der in Berlin lebende „Jahrhundertpianist“ und der österreichische Dirigent ausgiebig Zeit bis die letzten Störenfriede im Publikum verstummen.

Statt der gewohnt unterkühlten Handshakes herzt ein sichtlich glücklicher Levit am Ende nicht nur den Stabführer, sondern auch die beiden Konzertmeister. Als Zugabe ertönt ein kurzes Klavierstück von Schostakowitsch.

Unter den Zuhörern im herrlichen Goldenen Saal erblickt das aufmerksame Auge auch den griechischen Stargeiger Leonidas Kavakos, 50  – Klassik-begeistert.de wird von dessen Auftritt am 22. Mai 2018 im Wiener Musikverein ebenfalls berichten.

Und so wird auch er Zeuge einer weiteren Sternstunde des traditionsreichen Wiener Musikvereins. Mit der fünften Sinfonie Dmitri Schostakowitschs hüllen die bemerkenswerten Wiener Symphoniker den Goldenen Saal in eine mitreißende Klangwelle, deren Ursprung nicht von dieser Welt, sondern einer fernen Galaxie entsprungen scheint. Als Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra konnte Manfred Honeck, 59, mit genau diesem gewaltigen Orchesterwerk auch den Grammy in der Kategorie „Best Orchestral Performance“ 2018 gewinnen.

Wie schon zuvor beim Beethoven‘ schen Es-Dur-Klavierkonzert beweist der „Artist of the Year“ ein sensibles Gespür für den dynamischen Aufbau der imposanten d-Moll Sinfonie des russischen Komponisten. Äußerst behutsam setzt er die Forte ein, lässt durch ein crescendierendes Gesamtkonzept eine immer gewaltigere Drohkulisse entstehen, deren Bann sich kein Gast entziehen kann und derer sich das Orchester zum Ende in einem gewaltigen Forte-Fortissimo-Gewitter entledigt.

Ein weiteres Mal stechen aus der Riege der insgesamt brillanten Wiener Symphoniker die zweiten Geigen hervor – dazu zählt auch Matthias Honeck, der Sohn des Dirigenten.

Nachdem „Großen Terror“ (1936 – 1938), einer Säuberungswelle des stalinistischen Regimes, ließ der unter ständiger Beobachtung stehende Schostakowitsch mit seiner fünften Sinfonie ein disziplinierteres, weniger chaotisches Werk entstehen. Die Uraufführung am 21. November 1937 im Großen Saal der Leningrader Philharmonie mündete in einem nicht enden wollenden, frenetischen Applaus – selbiges erlebte ein klassikbegeistertes Publikum an diesem denkwürdigen Abend im Goldenen Saal.

Egal welche intellektuellen Rückschlüsse aus dem monumentalen Ende der Sinfonie gezogen werden – sei es ein Triumphmarsch oder ein Trauermarsch –, eine dynamisch derart facettenreiche Interpretation auf Weltklasse-Niveau hinterlässt alleine der wuchtigen Klangwelt wegen ein ekstatisches Publikum.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 19. Mai 2018, für
klassik-begeistert.at

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