Foto: Tomasz Konieczny als Telramund im Bayreuther „Lohengrin“ (2018) © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Interview am Donnerstag: Tomasz Konieczny (Teil 2)
Von seiner großen Liebe, der Wiener Staatsoper, hat er im ersten Teil geschwärmt. Im zweiten Teil des Interviews, das Tomasz Konieczny mit klassik-begeistert.de geführt hat, verrät der gebürtige Pole, was das Besondere ist am Bayreuther Festspielhaus. Worauf man als Sänger achten muss. 2018 hat Tomasz Konieczny als Telramund sein Debüt in Bayreuth gefeiert. Was er zur aktuellen „Lohengrin“-Inszenierung zu sagen hat, mit welcher Partie er auf dem Grünen Hügel am liebsten debütiert hätte, und ob er den Wotan dort auch noch gerne singen würde, all das erzählt er im Gespräch mit Jürgen Pathy.
Interview: Jürgen Pathy
Herr Konieczny, Sie haben 2018 in Bayreuth debütiert. Was ist das Besondere, worauf ein Sänger in Bayreuth achten muss?
Das Festspielhaus in Bayreuth ist ein Raum, der für einen Sänger-Darsteller hervorragend ist. Und zwar in dem Sinne, dass es nicht so wahnsinnig groß ist von der Oberfläche. Die Atmosphäre, die in Bayreuth herrscht, ist sehr intim. Man braucht nicht so viel Stimme einsetzen, wie in anderen Häusern. Im Gegensatz zur Wiener Staatsoper sitzt das Orchester in Bayreuth sehr tief und ist teilweise von der Bühne bedeckt. Deshalb ist die Lautstärke um einiges geringer. Das heißt aber nicht, das wir weniger hören. Ganz im Gegenteil. Wir Sänger auf der Bühne hören alles sehr deutlich, wunderschön und klar.
Um dem Publikum ebenfalls ein hervorragendes Klang- und Hörerlebnis zu bieten, müssen wir Sänger variieren. Einige Stellen kann man in Bayreuth viel leiser singen. Andere wiederum, die singt man ganz „normal“, so wie ich es an der Wiener Staatsoper singen würde.
Ist Ihnen das von Anfang an klar gewesen?
Bis ich das entdeckt habe, hat es ein wenig gedauert. Anfangs, als ich 2018 als Telramund debütiert habe, ist es nicht so einfach gewesen. Nicht falsch verstehen. Ich mag die Akustik sehr. Ich liebe es, wie manche Kollegen im Bayreuther Festspielhaus klingen. Zum Beispiel der Michael Volle oder der Thomas Johannes Mayer oder andere Kollegen in meinem Fach. Allerdings ist das Festspielhaus in Bayreuth ein Haus, das für extrem große Stimmen nicht so hervorragend geeignet ist, wie zum Beispiel die Wiener Staatsoper oder die Met in New York.
Aber das ist nun mal so. Wir Sänger haben uns danach zu richten, wie die Akustik ist. Das benötigt allerdings ein wenig Zeit. Mittlerweile, nach zwei Jahren, habe ich die Akustik des Festspielhauses kennengelernt und mich damit angefreundet. Ich weiß jetzt, wie ich arbeiten muss, um in diesem Haus optimal zu klingen. Diese Erfahrung macht jeder Sänger anfangs in Bayreuth. Deshalb sind die späteren Jahre meist viel besser als die Debüts.
Wegen der Corona-Krise wurde uns das in diesem Sommer leider verwehrt. Jetzt müssen wir bis zum nächsten Jahr warten, bis ich das gänzlich ausprobieren kann.
Apropos Telramund. Wie Sie selbst sagen, zählt er nicht unbedingt zu ihren Lieblingspartien. Weshalb haben Sie sich dennoch dafür entschieden, mit dem Telramund in Bayreuth zu debütieren?
Naja, wie im Leben besteht alles meistens aus einem Kompromiss. Man bekommt nicht immer die Partien angeboten, die man sich wünscht. Die Entscheidung auf den Telramund fiel hauptsächlich wegen des Dirigenten [Anm. der Redaktion: Christian Thielemann]. Unter seiner Leitung habe ich den Telramund bereits zuvor in Dresden mit großem Erfolg gesungen – davon gibt es eine DVD-Aufnahme. Dann mehrmals in Paris und auch in Wien. In diesen beiden Städten nicht unter Thielemann, aber ebenfalls sehr erfolgreich.
Wie gefällt ihnen die aktuelle Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung von Yuval Sharon?
Für den Lohengrin, die Elsa und für den König Heinrich ist sie sehr schön. Für die beiden Bösewichte – für den Telramund und die Ortrud –, ist die Inszenierung nicht so optimal. Der Telramund ist im Prinzip eine Schauspiel-Partie mit sehr lautem Gesang. Entscheidend und wichtig dabei ist der Beginn des zweiten Aktes, gleich die erste Szene. Die sollte klar sein, viel Kontur haben und sehr ausdrucksstark inszeniert sein. Das haben wir in Bayreuth leider nicht. Die Szene ist sehr dunkel und verschwommen. Wir sind kaum zu erkennen auf der Bühne. Das nimmt der Ortrud und dem Telramund sehr viel vom Ausdruck, der normalerweise in dieser Szene dargeboten wird.
Vor der Premiere habe ich noch gescherzt, dass da ein sehr romantischer Telramund inszeniert wird. Zwar sehr leidenschaftlich, aber romantisch. Das habe ich auch versucht auf diese Weise zu spielen. Denn ich bin ein sehr offener Darsteller der gerne bereit ist, viele Interpretationen zu probieren, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Das habe ich in dieser blauen Inszenierung in Bayreuth auch versucht. Das funktioniert, aber nur bedingt. Deshalb denke ich, dass der Telramund für mich im Augenblick nicht so ideal ist, wie die anderen Wagner-Partien.
Wie zum Beispiel der Wotan, den sie nun seit Jahren erfolgreich an der Wiener Staatsoper gesungen haben. Würden Sie den Wotan auch noch gerne in Bayreuth singen?
Sie fragen mich, ob ein Sänger-Darsteller, wie ich, der sich seit über zwanzig Jahren leidenschaftlich mit dem Wotan beschäftigt, die Partie des Wotans in Bayreuth NOCH singen möchte? Natürlich möchte ich das! Der Sänger-Darsteller möchte den Wotan immer und überall singen. Er ist vom Wotan besessen. Der Wotan ist meine Lieblingspartie, mein Leib und meine Seele.
Vor kurzem erst, habe ich eine Nachricht erhalten, dass ich für die polnische Übersetzung des Rings, an der ich arbeite, ein Stipendium des polnischen Kulturministers bekommen habe. So werde ich die nächste Möglichkeit bekommen, um alle Ring-Persönlichkeiten besser kennenzulernen.
Wurde Ihnen schon mal ein Angebot gemacht, den Wotan in Bayreuth zu singen?
Ja. Ich bin vor drei und vier Jahren gefragt worden, den Wotan zu singen. Es war der „Ring“, den Marek Janowski geleitet hat. Leider kam etwas dazwischen.
War das die erste Anfrage aus Bayreuth?
Nein. Ich wurde regelmäßig von den Bayreuther Festspielen für Partien angefragt. Bereits vor zehn Jahren, da war Wolfgang Wagner noch da, wurde ich angefragt für den Klingsor. Danach kam jedes Jahr eine Anfrage. Katharina Wagner wollte, dass ich den Hans Sachs singe. Na gut, habe ich gesagt: Hans Sachs sehr gerne. Dazu brauche ich aber mindestens zwei Jahre Vorlaufzeit. Also wurde daraus auch nichts. Dann „Der fliegende Holländer“, in dem Jahr (2012) als Evgeny Nikitin abreisen musste. Eine Woche vor der Premiere kam die Anfrage. Leider war ich krank. Ich war in Griechenland und musste wegen einer Erkältung also auch das absagen – eine Absage, die ich übrigens besonders bedaure!
Weshalb bedauern sie die Absage für den fliegenden Holländer besonders?
Der Holländer ist eine düstere, starke Persönlichkeit. Sehr depressiv, gleichzeitig lebens- aber auch sterbens-hungrig. Einen Sinn für tiefe, düstere Charaktere habe ich schon, seit ich ein Kind war. Ganz anders als im normalen Leben. Da bin ich blond, optimistisch, hell!
Richard Wagner, Der fliegende Holländer, Weinviertler Festspiele, 14. August 2020
Aber auch die musikalischen Probleme, die in der Partie des Holländers vorkommen, die Schwierigkeiten, die technischen Fallen, die in diese Partie geschrieben sind, bringen mich im Moment, als Sänger, der viel zu Hause arbeitet, weiter. Die Partie scheint für die jetzige künstlerische Lage, in der ich mich befinde, wie geschaffen. Es gibt Höhen, es gibt Tiefen. Ein langer Monolog gleich am Anfang der Partie, die Aura des Holländers. Ich fühle mich sehr hingezogen zu dieser Figur. Ich verstehe diesen Menschen, diesen Geist, glaube ich, sehr gut.
Und da ist noch eine Sache. Im Gegenteil zum Wotan ist der Holländer ja ein Ausländer – kein Deutscher. Der Ausländer bin ich auch. Deshalb denke ich, dass der Holländer die ideale Partie gewesen wäre, um in Bayreuth zu debütieren.
Eine generelle Frage: Wieso singen Sie den Alberich nicht mehr, mit dem sie weltweit so große Erfolge gefeiert haben?
Ich bin auch aus Bayreuth wieder gefragt worden, den Alberich zu singen – ich habe abgesagt. Wissen sie: Obwohl ich mit dem Alberich immer einen Riesenerfolg habe, muss man im Leben weiterschauen. Wenn ich den Alberich einmal wo singe – Bayreuth, Wien oder Met –, dann werde ich nur mehr für diese Partie angefragt. Dann wollen mich die Direktoren nur mehr für den Alberich engagieren. Das interessiert mich nicht. Das will ich auch so nicht!
Wenn mir die Direktoren erlaubt hätten, zwei Partien zu singen, na dann: bitte sehr! Ich könnte im „Rheingold“ den Alberich singen, in „Die Walküre“ den Wotan, und im „Siegfried“ den Wanderer. Das ginge für mich. Aber es geht für die Theater nicht – und es stiftet auch Verwirrung.
Wo liegt der große Unterschied zwischen dem Alberich und dem Wotan?
Der Alberich ist viel leidenschaftlicher als der Wotan. Er ist auch viel aufrichtiger. Im Gegensatz zum Wotan, ist der Alberich wiederum nicht so reich an Aspekten. Im Wotan ist alles, da ist die ganze Menschheit drinnen. Alle positiven und negativen Aspekte der menschlichen Natur. Und das fasziniert mich!
Das kann ich auch ganz gut zum Ausdruck bringen. Denn ich verstehe es. Und es interessiert mich. Um den Wotan zu gestalten, habe ich auch alle Möglichkeiten in der Stimme. Ich habe sowohl die leisesten als auch die lautesten Anteile. Aber es gibt noch einen anderen Grund: Wir sollten im Leben das tun, was wir lieben. Und der Wotan ist schon seit langer Zeit meine Lebensaufgabe!
Hartmut Haenchen erwähnt in seinem Buch „Werktreue und Interpretation“, laut Wagner sei der Wotan „die Summe der Intelligenz der Gegenwart“. Was sagen Sie dazu?
Das würde ich auch so sehen, wie der geschätzte Kollege. Man muss nur bedenken, der Wagner lebte in der Zeit der Romantik. Die Intelligenz, wie wir sie heute sehen, ist etwas anderes, wie sie Wagner damals gesehen hat. Es war alles romantisch. Die Eleganz war untrennbar von der Romantik. Die Romantik war ein Aspekt von Eleganz und Intelligenz. Ganz so einfach ist es also nicht. Es ist zwar schon die Intelligenz, aber das ist zu wenig. Die Intelligenz ist nur ein Teil des Wotan.
Denn wenn er so intelligent wäre, hätte er niemals den Loge engagiert, um ihm das Schloss zu bauen. Das war eigentlich sehr unklug. Den Loge hätte er nicht benötigt. Und wenn er so intelligent wäre, hätte er es auch geschafft, den Ring wiederzugewinnen. Das hat er nicht. Schon in der „Walküre“ hat er sich überschätzt. Er wollte, dass der Siegmund ihm den Ring besorgt. Das hat er genauso wenig geschafft, wie mit dem Siegfried. Obwohl der Siegfried beinahe alles realisiert hat: Er hat den Ring besorgt, hat ihn der Brünnhilde übergeben. Diese war aber klug genug und hat den Ring nicht zurückgebracht, wie der Wotan es gerne hätte.
Intelligenz ist ein gutes Stichwort. Weshalb stehen Sie heute dort, wo sie eben stehen? An der Spitze!
Manchmal denkt man, es sei Zufall – jeder hätte es geschafft. Das stimmt nicht. Ich bin der Meinung im Leben passieren die Dinge nicht zufällig. Es sind bestimmte Konstellationen von Charakterzügen, Arbeit und Intelligenz. Alles muss zusammenpassen. Gewisse Neigungen.
Vor allem muss man gute Entscheidungen treffen. Zum Beispiel damals, 2008, an der Wiener Staatsoper. Als mich Ioan Holender gefragt hat, ob ich den Alberich singen möchte, hätte ich auch nein sagen können. Vorgesungen habe ich nämlich den Wotan, den ich auch dort singen wollte. Aber ich habe zugesagt und meine Chance genutzt.
Worin sehen Sie ihre größte Stärke?
Als meine größte Stärke sehe ich, dass ich ein Sänger-Darsteller bin. Ich kann die Werke analysieren und so umsetzen, dass es für die Menschen verständlich, leidenschaftlich und echt wird. Das ist meine Stärke!
Herr Konieczny, vielen Dank für dieses Gespräch!
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 31. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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