Così fan tutte, Mozart © Irish National Opera
Die in Dublin domizilierte Irish National Opera brillierte und überraschte zugleich mit einer in den historischen Kontext Irlands transponierten „Così“. Das Resultat war höchst originell, turbulent, extrem komisch – und schauspielerisch wie musikalisch brillant. Aber vielleicht doch etwas überfrachtet – thematisch wie personell, wenn die als Schauspielerinnen höchst talentierten Statisten sich auf der engen Bühne buchstäblich auf die Füße traten.
Irish National Opera im Opernhaus Cork, 2. Juni 2023
Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte
in italienischer Sprache
von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Fotos)
In ihrem überschäumenden Enthusiasmus wollte die Regisseurin (Polly Graham) vielleicht des Guten bisweilen doch etwas zu viel: irische Geschichte, revolutionärer Geist und, vor allem, um dem Stück die ja bereits im Titel vorgegebene misogyne Spitze zu nehmen, die irische Suffragettenbewegung auf die Bühne bringen. Das ist an sich sehr stimmig und intelligent, denn die beiden verwöhnten Schwestern werden zu Beginn des ersten Aktes als ebenso naiv wie unemanzipiert dargestellt, und Despina mit ihrem lockeren Mundwerk schockiert sie mit ihren Theorien über Treue und Untreue, die durchaus als Echo der kämpferischen Suffragetten gesehen werden könnten.
Eine der Exponentinnen der irischen Revolution in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, Rosamond Jacob, hielt denn auch in ihrem Tagebuch fest, dass Promiskuität viel besser sei als der Doppelstandard der herrschenden Moral. Dass das für das erzkatholische Irland in ganz besonderem Maße galt, versteht sich von selbst. Die beiden Schwestern durchlaufen denn auch in dieser Inszenierung einen grundlegenden Wandel ihrer Persönlichkeit und ihres Selbstbewusstseins – sichtbar schon dadurch, dass sie ihre weißen, kindlich anmutenden Leinenkleidchen zugleich mit ihrer Unschuld ablegen und sich forsch-farbige Hosenanzüge überstreifen. Und sich ihre neuen Liebhaber selber aussuchen…
Dass die Rollen der Sängerinnen und Sänger ausschließlich von Irinnen und Iren besetzt wurden und auch der hervorragende, temperamentvolle Dirigent, Peter Whelan, aus Dublin stammt, ist bemerkenswert und machte diese Vorstellung der irischen Nationaloper zu einer wahrhaft irischen Kulturleistung. Umwerfend komisch die beiden geschniegelten jungen Männer, die mit der Treue ihrer Verlobten prahlen – und nicht minder erheiternd die Mimik der beiden jungen Frauen, die von Don Alfonso von der bevorstehenden Abreise ihrer Geliebten in einen imaginären Krieg erfahren. Dieser durch und durch zynische Misanthrop Don Alfonso, dargeboten von John Molloy, einem der führenden Bassisten Irlands, war nicht nur physisch, sondern auch stimmlich von überragender Größe.
Das erste Duett der beiden Schwestern, der irischen Sopranistin Anna Devin als vorerst sittenstrenge Fiordiligi und der ebenfalls irischen Mezzosopranistin Sharon Carty als verschmitzte Dorabella, war schlicht himmlisch in kaum zu übertreffenden Musikalität und absoluter stimmlicher Reinheit. Die beiden Liebhaber, der irische Tenor Dean Power als Ferrando und der ebenfalls irische Bariton Benjamin Russell in der Rolle des Guglielmo, glänzten mit harmonischem Schmelz.
Majella Cullagh als Despina ist eine der herausragendsten Sopranistinnen Irlands – und, ist hinzufügen, eine vollendete Komikerin. Chor und Orchester der Irischen Nationaloper wurden von Peter Whelan mit enthusiastischem Verve und doch Präzision und Subtilität geleitet.
Das Stück wurde in einem herrschaftlichen irischen Landhaus mit reichlich Personal – wie damals üblich – angesiedelt. Und der imaginäre Krieg, in den die beiden sichtlich aus gehobenen Verhältnissen stammenden jungen Männer ziehen, ist eigentlich kein imaginärer: Irland war damals noch britisch und der Krieg war ein allzu realer – der erste Weltkrieg, in dem die Iren an der Seite der Briten kämpften. Für Männer aus armen Familie war das eine lukrative Angelegenheit: gut besoldet, ordentlich ernährt und gekleidet. Geld blieb zumeist übrig, um der meist sehr kinderreichen Familie daheim einen finanziellen Zustupf zu überweisen.
Der historische Kontext wurde mit zahlreichen, über der Bühne projizierten Originaldokumenten, Zeitungsartikeln, Fotos und Zeichnungen eingeblendet. Das galt dann auch für die kämpferischen Suffragetten, die mit Protestschildern auf die Bühne kamen und dort eine kleine Manifestation für Frauenstimmrecht und Emanzipation veranstalteten. Etwas verwirrend und voll der grotesken Komik die Vorstellung einer Laientheatertruppe, welche in improvisierten Kostümen Szenen aus der Wikinger-Ära in Irland mit den üblichen (historisch natürlich irrigen) gehörnten Helmen darstellten.
Mit einem Minimum an Kulissen – eigentlich nur ein grüner Hügel, der sich im Laufe der Aufführung an verschiedenen Stellen der Bühne aufhäuft – und wenigen Requisiten, aber einem wahren Schatz von projizierten Originaldokument aus der bewegten Geschichte Irlands vom blutigen Osteraufstand 1916 bis zur Proklamation der Unabhängigkeit im Jahr 1922 zog diese sehr bemerkenswerte, überaus eigenwillig-originelle Interpretation von Mozarts Così durch Spielorte in mehreren irischen Städten.
Dr. Charles E. Ritterband, 2. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dirigent: Peter Whelan
Regie: Polly Graham
Bühne/Kostüme: Jamie Vartan
Licht: Sinéad McKenna
Don Alfonso: John Molloy
Fiordiligi: Anna Devin
Dorabella: Sharon Carty
Ferrando: Dean Power
Guglielmo: Benjamin Russell
Despina: Majella Cullagh
Chor und Orchester der Irish National Opera
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