Così fan tutte Hamburg © Hans Jörg Michel
Verehrtes Hamburger Publikum, wo waren Sie denn eigentlich an diesem großartigen Abend?? Sie haben wirklich etwas verpasst – es gibt in der Besetzung glücklicherweise noch ein paar Aufführungen – einzig die Musikalische Leitung wird dann von William Kelley übernommen.
Wolfgang Amadeus Mozart – Così fan tutte
Inszenierung und Bühnenbild: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Carsten Sander
Dramaturgie: Johannes Blum
Musikalische Leitung – Omer Meir Wellber
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Staatsoper Hamburg, Großes Haus, 20. Juni 2024
von Iris Röckrath
Willkommen zur Opera buffa! Am heutigen Abend darf das Publikum der Staatsoper eine Commedia dell’arte par excellence erleben. Das Gesamtpaket bestehend aus einem quietschbunten Bühnenbild, kreativen Licht- und Regieeffekten, einem spiel- und sangesfreudigen Ensemble, einem bestens aufgelegten Philharmonischen Staatsorchester und einem entschlossenen Dirigenten überzeugt vollends.
Kraftvoll zupackend und sportlich flott beginnt die Ouvertüre unter der Leitung ihres zukünftigen GMD Omer Meir Wellber. Die Finger rasen über Streicher, Oboe und Flöten, aber der Maestro lässt nicht locker. Er fordert das Orchester und es scheint fast, als wolle es gefordert werden. Während er dirigiert, spielt er auch auf dem Klavier zur Begleitung der Rezitative und plötzlich traut man seinen Ohren nicht: „Non, rien de rien – non, je ne regrette rien“ war da doch gerade zu hören, oder? Und schon bekomme ich Lust auf die Spielzeit 2025/26.
Gleich das erste Terzett lässt Hoffnung auf einen schönen Opernabend aufkommen. Von der ersten Sekunde spürt man die Freude der Sänger, dem Publikum nun drei Stunden Intrigen, Treueschwüre, sportliche Einlagen und ganz viel Liebe vorzugaukeln.
Der erste Auftritt Dorabellas macht glücklich. Was für eine Paraderolle für Jana Kurucová. Die Dorabella ist ihr auf den Leib geschneidert. Ihr warmer, runder, satter etwas abgedunkelter Mezzosopran klingt unglaublich voll und nuanciert. Sie besticht durch Spielfreude und Charme. Man nimmt ihr die etwas Keckere der Schwestern sofort ab.
Fiordiligi, die „Blume der Treue“ wird von Adriana González interpretiert, die ihre Rolle gesanglich und darstellerisch perfekt umsetzt. Sie ist die Zurückhaltende, die ihrem Verlobten ein bisschen länger die Treue hält. Den Namen dieser jungen Sängerin sollte man sich unbedingt merken. Wie sie die großen Intervall-Sprünge der berühmten Felsen-Arie „Come scoglio“ von der höchsten Höhe bis in die tiefsten, sonor klingenden Töne bewältigt, ist wirklich hörenswert. Und die Koloraturen klingen elegant und leicht wie aneinandergereihte Perlenschnüre. Wie sie Ihre Stimme in der Höhe zurücknehmen kann, so als würde sie im Raum schweben, berührt sehr.
Die beiden Verlobten brauchen sich nicht verstecken hinter den wunderbaren Damen:
Nicholas Mogg glänzt durch Spielfreude, verschmitzte Blicke und wohlklingenden, markig strömenden Bariton.
Die Partie des Ferrando ist mit DEM Mozart-Tenor schlechthin, Martin Mitterrutzner, besetzt. Er berührt durch eine besonders schön geführte lyrische Stimme. Sie besitzt den gewissen Schmelz, der einen im Zuschauerraum sofort berührt. Seine berühmte Arie „Un’aura amorosa“ singt er geschmackvoll, kultiviert, voller Inbrunst und Strahlkraft. Wer so singt, wird sicher mit ganz viel Liebe nicht nur von Dorabella und Fiordiligi beschenkt.
Der Auftritt Despinas „welch schauderhaftes Leben führt man als Kammermädchen“ (Schokolade verquirlend) gelingt zur Farce im positiven Sinne. Der Altist und YouTube-Star Kangmin Justin Kim zieht von Beginn an alle Blicke und Ohren auf sich. Er zieht auch als Arzt und Notar alle Register, stimmlich, aber auch mit akrobatischen Tanzeinlagen, dass einem schwindelig davon wird. Die Idee, die Gespielin Don Alfonsos mit einem überspitzt spielenden und singenden Mann zu besetzen, gefällt außerordentlich im Publikum.
Die Rolle des Strippenziehers Don Alfonso habe ich noch nie so intensiv wie von Chao Deng gehört. Seine Bühnenpräsenz, der rote Mantel und die aus dem Bassisten strömende, markige Bassstimme verleihen seinen Auftritten eine Präsenz, der man sich nicht entziehen kann.
Traumhaft schön gelingt das Terzett Fiordiligi, Dorabella, Don Alfonso – „weht leise, ihr Winde, sanft schaukle die Welle“ – jede Welle aus dem Orchestergraben wird auch durch den zauberhaften Streicherklang im Zuschauerraum spürbar. Überhaupt harmonieren alle Stimmen in Duetten und Sextetten, niemand ist herauszuhören, jeder hört stets auf seinen Kollegen oder die Kollegin.
Die ganze Inszenierung lebt von der Bewegung, der Leichtigkeit, den Farben, es wird einfach nicht langweilig. Meine Sitznachbarin, die zum ersten Mal in der Oper ist, amüsiert sich köstlich. Völlig erstaunt sagte sie, sie hätte immer gedacht, Oper sei doch eher ernst.
Was der Regisseur Herbert Fritsch sich mit seinem Team (Licht, Kostüme!) vor mittlerweile 6 Jahren alles ausgedacht hat, Mozart hätte seine Freude an diesem Spektakel gehabt.
Verehrtes Hamburger Publikum, wo waren Sie denn eigentlich an diesem großartigen Abend?? Sie haben wirklich etwas verpasst – es gibt in der Besetzung glücklicherweise noch ein paar Aufführungen – einzig die Musikalische Leitung wird dann von William Kelley übernommen.
Iris Röckrath, 23. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Verehrte Kollegin, liebe Iris,
auf die Frage, wo denn das Hamburger Publikum verbleibt gibt es eine ganz simple Antwort. Es wurde in mühevoller Kleinarbeit seit nunmehr fast 10 Jahren aus den heiligen Hallen eines einst Weltklasse-Opernhauses systematisch vertrieben. Missglückte Inszenierungen am laufenden Band und eine oft provinzielle Hauptrollenbesetzungspolitik nebst fragwürdigen Dirigaten waren stets die Ursache. Wie sollen diese armen Vertriebenen denn wissen, dass es gelegentlich auch einmal Ausnahmen gibt? Herzliche Grüße von einem ebendort Vertriebenen, der ab und an mal retourt und in die Glückstrommel greift.
Patrik Klein
Lieber Herr Klein,
mein Eindruck ist ein ganz anderer,
die Inszenierungen in der Hamburgischen Staatsoper sind meiner Ansicht nach im Durchschnitt deutlich akzeptabler, als jene, die hier in diesem Blog für Wien, München oder Wien beschrieben werden. Mir fallen aus den letzten Jahren überhaupt nur drei ein, die auf den Durchschnittsbesucher abschreckend wirken. Es sind Norma, La Traviata und Der Fliegende Holländer. Wenn man so will, kann man vielleicht noch Rigoletto dazuzählen.
Im Übrigen, die Hauptrollenbesetzungspolitik hat sich seit etwa 2021 erheblich gebessert und in diesem sowie im letzten Jahr eine Qualität erreicht, wie wir sie sonst zu alten Zeiten unter Everding, Liebermann und Dohnanyi vielleicht hatten. Damals waren viele Stars engagiert, aber häufig verbunden mit weniger guten anderen Besetzungen. Heute haben wir eine qualitativ sehr hohe Besetzung fast aller Partien. Ich erinnere nur an die Aufführungen von Eugen Onegin, Tosca, Simon Boccanegra, Turandot und Don Carlos im letzten oder von Peter Grimes, Bajazzo, Manon oder der Hochzeit des Figaro in diesem Jahr.
Daneben, vor 10 bis 15 Jahren waren die Besetzungen deutlich weniger herausragend als aktuell. Warum das Publikum nicht kommt, mag andere Gründe haben, aber nicht die qualitativen Leistungen auf der Hamburger Opernbühne.
Liebe Grüße, Ihr Ralf Wegner
Lieber Ralf,
auch ich sehe seit 2021 eine steigende Formkurve in der Staatsoper Hamburg.
Aber, bitte erkläre es als langjähriger Besucher unseren Lesern, warum bleiben die Zuschauer fern?
Selbst „Carmen“ am gestrigen Sonntag zieht nicht mehr richtig…
Herzlich
Andreas
Ich kenne einen Grund: die Abstinenz der Hamburger Medien. Auch ich habe Ihren Blog erst kürzlich rein zufällig entdeckt. Vielleicht sollten Sie mal im Journal-Das Magazin der Hamburgischen Staatsoper auf sich aufmerksam machen. Das waren früher andere Zeiten, als eine Frau Dr. Sabine Tomzig im Abendblatt schrieb. Joachim Mischke berichtet ja fast nur noch über die Elbphilharmonie.
Hartmut Funke
Lieber Andreas, nun ist nicht jeder Opern-Fan auch DFB-Fan, aber vielleicht lag’s auch an der Fußball-Übertragung GER vs SUI? Herzlich, Regina
Liebe Regina,
Carmen in HH dauerte von 16 h bis 19.15 Uhr. Anstoß zum Deutschland-Match gegen die Schweiz war 21 Uhr.
Herzlich
Andreas
Lieber Herr Wegner,
dass es in den letzten Quartalen ein wenig Besserung in der Tristesse der Staatsoper gab, sehe ich auch.
Allerdings hat man mit der Neuinszenierung von Il Trovatore für mich den Vogel abgeschossen, bei dem alle vier Hauptpartien absolut fehlbesetzt waren. Den britischen Tenor als Manrico einzuladen hat nichts mit Casting, sondern eher mit Vetternwirtschaft mit UK gemein.
Als erfahrener ehemaliger leitende Angestellter musste ich oft erfahren, dass es etwa 10mal schwerer ist, verlorene Kunden wieder zu holen als sie zu halten. Es hat sich doch deutschlandweit herumgesprochen, was in HH los ist. Die Prozesse funktionieren nicht, der BR ist übermächtig, die MA-Stimmung am Boden.
Wie soll man denn da aus dem Tal der Tränen herauskommen? Durch ein paar nette Repertoire-Vorstellungen?
Das ist für mich zu wenig.
Herzliche Grüße,
Patrik Klein
Lieber Herr Klein,
den Troubadour hatte ich schon ganz vergessen. Warum der als Premiere nach so langer Zeit so schwach, von vornherein geradezu unterdurchschnittlich besetzt wurde, bleibt unverständlich. Aber selbst von mir zuletzt woanders gehörte prominente Sänger des Manrico versagten oder enttäuschten, wo gibt es heute noch jemanden wie Franco Bonisolli.
Es gibt noch einen anderen Aspekt, der bedenkenswert ist: In der Elbphilharmonie konzertant oder halbszenisch aufgeführte Opern füllen alle Plätze, in der Oper dagegen nicht. Die jüngste Assisi-Präsentation hätte in der Oper vermutlich nur 20% der Auslastung von jener in der Elbphilharmonie erreicht.
Was Herr Funke weiter oben schreibt, ist aber auch richtig. Das Hamburger Abendblatt wird von weiten Teilen des opernaffinen Publikums immer noch gelesen. Und von da kommt tatsächlich nichts. Es kam von dort andererseits aber auch nichts bzw. kaum etwas übers Ballett. Trotzdem ist dasselbe Haus regelhaft ausverkauft. Und ich vermute, es ist nicht nur das Hamburger Publikum, welches die Ballettvorstellungen füllt.
Eigentlich ist es merkwürdig, dass die Geschäftsführung dazu keine Untersuchungen durchführt oder, wenn intern doch, die Ergebnisse möglicherweise nicht veröffentlicht.
Dr. Ralf Wegner
Lieber Herr Wegner,
auch das ist ein Mosaikteilchen und Indiz für die Situation in der Staatsoper. Ich hatte mal die große Freude, ein langes Interview mit Serge Dorny, damals Intendant in Lyon, führen zu dürfen. Nach der Frage, was denn sein Geheimnis für die hohe Auslastung seines Hauses ist, antwortete er sinngemäß: Wir gehen bei der Werkauswahl, Castauswahl, Regisseurauswahl kalkulierte Risiken ein und bemühen uns als Opernhaus für die Bewohner unserer Stadt präsent zu sein. Wir sind Teil unserer Stadt und holen die Leute ab, dort wo sie stehen.
Der Staatsoper in Hamburg scheint so etwas völlig gleichgültig zu sein. Man schaue sich dazu nur die Aura und den Habitus des agierenden Intendanten an.
Der Großteil des Hamburger Publikums ist verloren. Herr Kratzer wird es sehr sehr schwer haben, es wieder zurückzuholen.
Beste Grüße
Patrik Klein
Eine schöne Diskussion durfte ich da entfachen mit meiner Frage ans Publikum. Ich habe das Haus ausverkauft erleben dürfen bei einem Solo-Abend mit Klavier Ende April. Jakub Józef Orlińsky liess das Haus erbeben. Namen ziehen demnach weiterhin. Das dürfte den Verantwortlichen schon bekannt sein…
Beste Grüße
Iris Röckrath
Das mit den Namen stimmt auch nur bedingt. Bei Sonya Yoncheva mit Riccardo Massi u. sogar Orchester wurde nur das Parkett verkauft – was ich schon als Respektlosigkeit einem Weltstar gegenüber empfand – u. das war auch nur vielleicht zu Zweidritteln besetzt. Bei dem polnischen Countertenor traf wohl das zu, was Dr. Wegner oben in Bezug zu den Ballettvorstellungen schrieb.
Hartmut Funke