Es ist eines der besten und speziellsten Opernfestivals der Welt – aber wohl auch das abgelegenste und im breiteren Opernpublikum unbekannteste: Das einmonatige sommerliche Savonlinna Opera Festival mit vier großen Opern sowie weiteren musikalischen Darbietungen.
Wolfgang Amadeus Mozart
Don Giovanni Libretto: Lorenzo Da Ponte
Dirigent: Andrea Sanguineti
Regie: Paul-Émile Fourny
Bühne: Poppi Ranchetti
Kostüme: Giovanna Fiorentini
Licht: Patrik Méeüs
Savonlinna Opera Festival Choir
Savonlinna Opera Festival Orchestra
Savonlinna Opera Festival, 25. Juli 2024
Die Anreise war ziemlich aufwendig, doch der Preis, der am Ende dieser Odyssee per Flugzeug quer durch Europa bis Helsinki und am nächsten Tag viereinhalb Stunden durch das südostliche Finnland mit der (großartigen) finnischen Eisenbahn durch endlose Birkenländer und vorbei an verschwiegenen Seen bis knapp vor die russische Grenze winkte, war mehr als lohnend.
Täglich Opernaufführungen in höchster Qualität auf der besterhaltenen mittelalterlichen Burg Nordeuropas: Olavinlinna, die 1475 erbaute „Burg des Heiligen Olof“ – zweifellos die weltweit imposanteste Kulisse für eine Oper, die man sich nur vorzustellen vermag.
Auf Olavinlinna werden seit respektablen 112 Jahren Opern aufgeführt – seit die finnische Sopranistin Aiono Ackté, , an der Opéra de Paris und der New Yorker Met gefeiert, aber vor allem große Patriotin, nach dem Besuch von Savonlinna ausgerufen hatte: „Die großartigste Burg der Welt umgeben von einer überirdisch schönen Seenlandschaft – die ideale Kulisse für Opernaufführungen!“ – und schon, im Jahr 1912, machte sich der tatkräftige Opern-Weltstar daran, hier in Sommer-Opernfestival zu gründen: Mit Gounods „Faust“ und vier finnischen Opern. Doch während den beiden Weltkriegen, der Russischen Revolution und dem Finnischen Bürgerkrieg schloss das Festival seine Burgtore.
Erst vier Jahrzehnte später kümmerte sich der Wiener Kammersänger und Musikprofessor Peter Klein, der eher zufällig auf Olavinlinna gestoßen war, nach 40-jährigem Dornröschenschlaf um die Wiederbelebung des Opernfestivals. Dieses wurde 1967 feierlich und selbstverständlich mit der Premiere von Beethovens Fidelio eröffnet – vom Fernsehen direkt übertragen und im Beisein des finnischen Präsidenten Urho Kekkonen.
Seither ist Savonlinna ein renommiertes, einmonatiges Opernfestival mit drei bis vier Eigenproduktionen sowie finnischen Welt-Uraufführungen. Internationale Gastspiele bringen Savonlinna in viele Länder, von Frankreich über Spanien, Schweden, Israel, Italien, Chile und Dänemark sowie Malaysia und Russland.
Hervorragende Stimmen – minimalistische Inszenierung
Die Stimmen dieser Don Giovanni–Aufführung hatten ausnahmslos Weltniveau, das Orchester unter der dynamischen Stabführung des Genueser Andrea Sanguineti war hervorragend – doch die Inszenierung des belgischen Regisseurs Paul-Émile Fourny ist doch etwas karg geraten: Auf der gigantisch breiten aber schmalen Bühne dieser Burg, welche eher nach den großräumig angelegten Regie- und Inszenierungselementen einer Freiluftaufführung als einer klassischen Bühnenproduktion verlangt, wirkten die Figuren trotz erstklassischer Schauspielkunst vereinzelt, isoliert und geradezu verloren.
Das böse englische Wort des „park and bark“, also „sich an die Rampe stellen, singen und dann abtreten“ kam einen in den Sinn angesichts der problematischen Interaktion zwischen den Sängern bei diesen enormen Distanzen. Das von Bühnenarbeitern händisch gedrehte schwarzgraue Bühnenbild (Poppi Ranchetti), ein angedeutetes Schloss mit Säulenstümpfen und Mauernfragmenten, war zwar sinnvoll, trug aber nur wenig die Figuren Verbindendes oder die Handlung Aufheiterndes bei.
Das zumeist nächtlich-blaue Scheinwerferlicht (Patrik Méeüs) gab dem Geschehen – intendiert oder nicht – einen bedrückenden, geradezu deprimierenden Touch. Auch dort, wo Musik und Text die von Don Giovanni proklamierte („Viva la libertà“) Ausgelassenheit und Lebensfreude bei der Party für das Hochzeitspaar und dessen Freunde auf seinem Schloss suggerieren – und natürlich auch beim finalen Bankett in seinem Schloss, das nur trist, karg und so ganz und gar nicht üppig wirkt.
Bühnenbild, Beleuchtung und Requisiten hätten zweifellos mehr Prunk, Licht und Farbe verdient, um Don Giovannis Sinnesrausch gerecht zu werden!
Leintuch statt Marmorstatue
Doch die für diesen Rezensenten unverständlichste Unterlassung war der Verzicht auf die Marmorstatue des Komturs an dessen Grab: Stattdessen war da nur ein von einem weißen, noch dazu schlecht gefalteten Leintuch überdeckter Sarkophag (das dieser da drunter sein sollte konnte man nur vermuten) – ein Leintuch, in das sich Zerlina ganz am Schluss aus völlig unverständlichen Gründen kurz hüllte und dann wieder enthüllte.
Während dem besagten Bankett wurde das Leintuch weggezogen und darunter lag ein nacktes aber in hautenges weißes Kostüm gekleidetes Menschenwesen – wohl als lebendige Tischdekoration: eine eher abgeschmackte Idee, die man anderswo, zumindest mit einer der Figur Don Giovannis angemessenen splitternackten Frau auch schon gesehen hat.
Aber so musste man sich ernsthaft fragen, was das denn soll. Und Leporellos entsetzte Schilderung des Spuks mit der Marmorstatue, die ja durch ein Nicken die Einladung des Don zum Abendessen akzeptiert, läuft beim Leintuch über dem Sarkophag vollends ins Leere – peinlich.
Dass die Öffnung der Höllenpforte – exzellent gelungen mit viel infernalischem Qualm, guter Beleuchtung und vor allem dem abgrundtief sonoren Bass des imposanten Finnen Matti Turunen – von einer Vielzahl grau kostümierter Damen garniert wird, könnte man als Anspielung auf die Furien/Erinnyen, welche ja in der griechisch-mythologischen Unterwelt zu Hause waren, akzeptieren. Vielleicht waren es ja auch nur die einstigen und dann wieder fallengelassenen Geliebten des Don, welche nun dessen Absturz in die Hölle eskortieren.
Weltklasse-Ensemble
Nach so vielen Fragezeichen zu Inszenierung, Bühne und Licht wäre es nun doch höchst an der Zeit, eine Fülle des Lobes über die gesanglichen und orchestralen Qualitäten dieser Aufführung auszugießen:
Stimmlich überragend die Donna Anna der finnischen Sopranistin Johanna Nylund mit einer starken, prächtig harmonischen Musikalität, die sie in nahezu unvergleichlicher Qualität in ihrer anspruchsvollen Solo-Arie „Non mi dir, bell’idol mio“ zum Ausdruck brachte. Ihr stand keineswegs die Donna Elvira der ebenfalls finnischen Sopranistin Annika Leino nach.
Aber den wohl beeindruckendsten Auftritt lieferte die hinreißende Finnin Iris Candelaria als entzückend-raffinierter, zwischen Loyalität zu ihrem bäurisch-tollpatschigen Gatten Masetto (Henri Uusita) und erotischer Neugier, gewürzt mit einem Schuss Naivität, hin- und hergerissener Zerlina.
Die Palme für die beste komödiantische Mimik gebührt dem so köstlichen Leporello des schwedischen Bassisten Henning von Schulman – nicht nur wegen seiner wundervollen Schauspielkunst, sondern auch seinem edlen, sonor-tiefen Bass.
Und der Don Giovanni des finnischen Baritons Waltteri Torikka verkörperte überaus glaubhaft und mit maskuliner Stimme den unwiderstehlichen (und doch stets erfolglosen) Verführer Don Giovanni.
Der finnische Tenor Johan Krogius begeisterte mit unwiderstehlichem, warmem tenoralem Schmelz als treuherziger Don Ottavio.
Dr. Charles E. Ritterband, 26. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Don Giovanni: Waltteri Torikka
Leporello: Henning von Schulman
Komtur: Matti Turunen
Donna Anna: Johanna Nylund
Donna Elvira: Annika Leino
Don Ottavio: Johan Krogius
Zerlina: Iris Candelaria
Masetto: Henri Uusita
Don Giovanni, Wolfgang Amadeus Mozart Wiener Staatsoper, 17. Januar 2024
Wolfgang Amadeus Mozart „Don Giovanni“ Valencia/Palau de les Arts Reina Sofía, 7. März 2023
Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni, Teatro alla Scala, 12. April 2022
DVD-Rezension: W.A. Mozart, Don Giovanni, Royal Opera House Covent Garden, klassik-begeistert.de