Spitzenkonzert mit Rattle und Kožená in der Elbphilharmonie  

London Symphony Orchestra, Magdalena Kožená, Sir Simon Rattle,  Elbphilharmonie, Hamburg

Foto: Dittus (c)
Elbphilharmonie,
Hamburg, 15. Januar 2018
London Symphony Orchestra
Magdalena Kožená, Mezzosopran
Sir Simon Rattle, Dirigent
Franz Schubert, Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759 »Unvollendete«
Gustav Mahler, Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert
Georg Friedrich Händel
Dopo notte, atra e funesta / Arie des Ariodante aus »Ariodante«, HWV 33
Scherza infida / Arie des Ariodante aus »Ariodante« HWV 33
Pensieri, voi mi tormentate / Arie der Agrippina aus »Agrippina«
Jean-Philippe Rameau, Suite aus »Les Boréades«

von Leon Battran

Privates und Berufliches zu trennen, darauf verzichten Magdalena Kožená und Sir Simon Rattle. Ein Glück! Denn das Ehepaar hat den Zuhörern in der Elbphilharmonie ein herausragendes Konzert voller musikalischer Höhepunkte beschert. Seit 2008 sind die tschechische Mezzosopranistin und der langjährige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker miteinander verheiratet.

Zusammen mit dem London Symphony Orchestra wagten Rattle und Kožená den Spagat zwischen Romantik und Barock mit Orchesterliedern von Mahler und Opernszenen von Händel. Das Orchester durfte zunächst mit Schuberts beliebter unvollendeter Sinfonie sein Können unter Beweis stellen.

Mit ihren nur zwei Sätzen ist Schuberts „Unvollendete“ eine Wucht. Dräuende Dramatik kontrastiert mit einem aparten Seitenthema mit Ohrwurmgarantie. Die dynamische Bandbreite des ersten Satzes spielen die Briten in der Raumakustik des Großen Saals voll aus. Im Schatten des Hörbaren eröffnet eine dämmrige Basslinie den ersten Satz. In rascher Bewegung folgen die Violinen nach, und man staunt über die Fülle und Kontur, die dieses hochsensible Piano bei aller Fragilität behält.

Sir Simon Rattle präsentiert sich als wirklich großartiger Dirigent, denn er schafft Vertrauen, aufseiten der Spieler und aufseiten der Zuhörer. Er nimmt einen an die Hand und lässt die Musik sprechen. Rattle strahlt nicht nur pure Musikalität aus, sondern auch eine entwaffnende Sympathie. Mit dem London Symphony Orchestra, dessen musikalischer Leiter er seit Beginn der aktuellen Konzertsaison ist, wirkt der 62-Jährige bereits familiär verbandelt.

Rattle ist nicht darauf aus, den Musikern seinen Willen zu diktieren; seine Weise, das Orchester zu leiten, entspricht mehr einem ständigen kommunikativen Austausch. Es geht ihm darum, zuzuhören, Impulse zu empfangen und weiterzugeben. Das gelingt auf magische Weise. Plötzlich ist die ganze Welt Musik, liegt jegliches Geschehen in den Händen von Sir Simon.

Auch das sanfte Wogen und Schwallen des zweiten Schubert-Satzes gelingt bezaubernd und trumpft mit schönen Soli bei den Holzbläsern auf. Allerdings glückt nicht jeder Einsatz perfekt und das Horn gerät etwas ins Schlingern. Letztendlich muss man aber sagen: Diese Briten können es einfach. Vielleicht sollten wir alle mehr Tee trinken.

Wunderschön anzuhören sind die fünf Gedichte von Friedrich Rückert, zumal in der Vertonung von Gustav Mahler. Magdalena Koženás Mezzo glänzt in dem farbenreichen Orchestersatz. Die 44-Jährige verfügt über ein klares und volles Timbre, das sie mit einem geschmackvollen Vibrato würzt. Trotz großem Orchester bleibt der intime Charakter des Liedgesangs spürbar.

Rückerts Worte und Mahlers Melodien durchdringt Kožená bis auf den Grund und legt viel deklamatorisches Feingefühl an den Tag. Besonders das fünfte Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ singt die Tschechin so feinfühlig auf den Punkt, dass man den Atem anhält. Leider verbläst sich das Englischhorn hustenbedingt.

Aus einer ganz anderen Welt scheinen da Händels Opernszenen zu stammen. Kožená kann sich hier noch einmal steigern und ihre Wandlungsfähigkeit beweisen. Jede Nummer gleicht einer kleinen Oper im Taschenformat. Die Affekte, die Gesten, die Höhen und Tiefen, das alles scheint die Mezzosopranistin regelrecht zu verkörpern. Sie schmettert erregte Koloraturen, singt ein sämiges Duett mit der Oboe, trällert, haucht, wimmert und beweist Mut zu Ecken und Kanten und zum kontrollierten Kontrollverlust.

Das cremefarbene Spitzenkleid hatte sie in der Pause gegen ein lagunengrünes mit Schleppe getauscht. Innige Poesie weicht üppiger Affektdarstellung. Ist das noch dieselbe Magdalena Kožená wie vor der Pause, fragt man sich. Was bleibt, sind das sensitive Melodiegestaltungsvermögen, die zerbrechlich schönen Phrasen, die man festhalten und daran hindern möchte, sich zu verflüchtigen. Da sind zahlreiche vollkommene Momente dabei, bei denen man verleitet ist, mit Blumen und Superlativen zu werfen.

Das Elphi-Publikum ist aus dem Häuschen, tobt, johlt und pfeift. Schon fast wie eine Zugabe wirkt danach der letzte Programmpunkt: Jean-Philippe Rameaus Suite aus „Les Boréades“. Nicht ganz einwandfrei in der Ausführung – das Schlagwerk ist stellenweise unpräzise – profitiert diese Opernsuite doch vom spritzigen Arrangement, das von Rattle selber stammt, und der beherzten, alles andere als heruntergespielten Interpretation.

Leon Battran, 16. Januar 2018, für
klassik-begeistert.de

Foto: Daniel Dittus

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