Die Nase – eine Oper als Synthese von Musik- und Theateraufführung

Dmitri Schostakowitsch, Die Nase  Semperoper Dresden, 2. Juli 2022 PREMIERE

Foto: Premierenmotiv zu »Die Nase«, Motiv: Thomas Ruff ©VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Semperoper Dresden, 2. Juli 2022 PREMIERE

Die Nase
Oper in 3 Akten von Dmitri Schostakowitsch
Nach der gleichnamigen Erzählung von Nikolai Gogol
Text vom Komponisten, in Zusammenarbeit mit Jewgenij Samjatin, Georgi Ionin und Alexander Preis
Deutsche Fassung von Helmut Wagner und Karl Heinz Füssl

Sächsische Staatskapelle
Sächsischer Staatsopernchor
Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper, Chorgäste
Musikalische Leitung Petr Popelka
Inszenierung Peter Konwitschny
Bühnenbild und Kostüme Igor Fürnberg
Dramaturgie Kai Weßler

Solist:innen
Platon Kusmitsch Kowaljow: Bo Skovhus
Iwan, sein Diener: Timothy Oliver
Iwan Jakowlewitsch, Barbier: Jukka Rasilainen
Weitere Mitwirkende: James Kryshak, Katerina von Bennigsen, Aaron Pegram, Martin-Jan Nijhof, Jürgen Müller, Roxana Incontrera, Alice Rossi, Sabine Brohm, Ludovit Ludha, Gerald Hupach, Tilmann Rönnebeck, Matthias Henneberg, David Kramer

von Brigitte und Olaf Barthier

Um diesem Anspruch Rechnung zu tragen, wurde die Oper mit deutscher Textfassung aufgeführt. Die Uraufführung der Oper fand 1930 in Leningrad statt. Der junge Schostakowitsch brauchte weniger als zwei Jahre, um sie fertigzustellen, und komponierte sie während seiner Studienjahre 1926–1928. Entsprechend der russischen Tradition, Sujets und Personen satirisch-grotesk zu überzeichnen, komponierte der junge Musiker eine Partitur – ein breites und vielfältiges Klangbild für Stimmen und Orchester. Die Oper gehört in die Epoche der experimentellen Erneuerung der russischen Kultur, leider fand ihre Uraufführung diesbezüglich zu spät statt. Inzwischen entwickelte sich die propagandistisch-proletarische Musik, die einen doktrinären Realismus vortrug.

Wie bringt nun Konwitschny diesen Stoff auf die Dresdner Bühne? Konwitschny ist in Dresden kein Unbekannter: Immer wieder hat er über viele Jahre hinweg Inszenierungen an der Semperoper geschaffen, z. B. Norma, Die Hugenotten, Tannhäuser – der heute noch im Repertoire ist – und 1999 die Csardasfürstin, die einen großen Skandal auslöste und schließlich sogar abgesetzt wurde. Mit dem Bühnen- und Kostümbildner Helmut Brade arbeitet Konwitschny schon seit 1986 zusammen.

Die Bühne sieht der Zuschauer zunächst mit einer leuchtend gelben Rückwand und einer Fußbodenfläche mit großen schwarzen und weißen Quadraten im Schachbrettmuster, insgesamt bestehend aus 16 Feldern. Diese Quadrate entsprechen den technischen Gegebenheiten der Bühne und sind einzeln bewegbare Hubbühnen. Der Regisseur macht die Bühnentechnik für den Zuschauer sichtbar, um auf die Technokratie in der Gesellschaft hinzuweisen. All diese 16 Felder verbergen unterschiedliche Räume und Plattformen, die bei entsprechender Szene hoch- und runtergefahren werden, wie die Stube des Barbiers am Anfang. Den Verlust der Nase inszeniert Konwitschny mit einem gelungenen Kunstgriff: Alle mit Nase tragen eine rote Clownsnase, nur Platon Kusmitsch Kawaljow ist ohne das fragliche Attribut.

Ludovit Ludha (Die Nase in Gestalt eines Staatsrats), liegend: Bo Skovhus (Platon Kusmitsch Kowaljow), Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper Dresden, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Komparserie © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Die gesanglich sehr umfangreiche und anspruchsvolle Rolle wird von Bo Skovhus mit seinem eindringlichen Bariton dargeboten und wirkt dabei sehr überzeugend. Im ersten Akt spielt die Handlung im irdischen Kontext, die Protagonisten waren getrieben zwischen verschiedenen Bildern und auch der Chor war gefordert in der Ausführung zahlreicher Einzelrollen. Besonders hervorzuheben ist das Schlagzeugsolo, das die Vertonung der Folterung des Barbiers durch die Polizei darstellt – zudem ist es das erste Schlagzeugsolo in der Musikgeschichte. Die ständige Präsenz der Polizei auf der Bühne verweist auf die damaligen Umstände in der neuen Sowjetunion. Der erste Akt endet mit dem Selbstmord des Kowaljow.

Bo Skovhus (Platon Kusmitsch Kowaljow) © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

So beginnt der zweite Akt im Himmel. Dort wird die Rolle des Arztes von Jesus übernommen, der aber auch nicht helfen kann. Dies ein Hinweis darauf, dass die junge Sowjetunion die religiöse Vergangenheit abschütteln möchte. Entsprechend dem Stück sitzt die Nase nach zunächst weiteren gescheiterten Versuchen plötzlich wieder fest im Gesicht des Kowaljow und er präsentiert sich stolz auf dem Boulevard (gemeint ist der Newskij-Prospekt in Leningrad). Schostakowitsch nimmt die Nase nicht nur als ein Körperteil wahr, sondern gestaltet sie als Sinnbild für die Identität eines Menschen in der Gesellschaft.

Martin-Jan Nijhof (Der Doktor (Jesus)), Bo Skovhus (Platon Kusmitsch Kowaljow)
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Gelungen war auch die szenische Darstellung der neugierigen Bevölkerung, die in Massenaufläufen zusammenkam, um die die angeblich frei herumlaufende Nase zu sehen. Hierbei hat Konwitschny den Chor in unterschiedliche Volksgruppen verwandelt, bis hin zu sechs verschleierten muslimischen Frauen.

Die Sächsische Staatskapelle hat diese Herausforderung mit Bravour gelöst, denn die Vielfalt der Klänge und Geräusche sowie die Disharmonien waren ein besonderes Stück für das Ensemble. Der Dirigent, Petr Popelka – ehemaliger Kontrabassist der Staatskapelle –, führte das Ensemble sicher durch die Aufführung. Da Schostakowitsch ebenso dem Theater und Film zugeneigt war, legte er großen Wert auf die Textverständlichkeit. So gibt es in dieser Oper äußerst viel Sprechgesang und sie wurde in einer deutschen Fassung gezeigt. Beim Publikum sorgte dies immer wieder für Heiterkeit über kleinere Episoden und das Stück konnte allgemein leichter aufgenommen werden.

Am Ende wohlwollender Beifall vom etwas geschafften Publikum.

Brigitte und Olaf Barthier, 3. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Antonín Dvořák, Rusalka, Semperoper Dresden, 7. Mai 2022 (Premiere)

Giuseppe Verdi, „Aida“ Semperoper Dresden, Premiere, 5. März 2022, 18 Uhr

Dmitri Schostakowitsch, Die Nase (Nos), Bayerische Staatsoper, 2. November 2021

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