Wiener Staatsoper, 31. Dezember 2019
Johann Strauß (Sohn), Die Fledermaus
Wiener Konzerthaus, 1. Jänner 2020
Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 9 d-moll op. 125
Foto: © Lukas Beck, Wiener Konzerthaus
von Andreas Schmidt
Wien, diese wunderbare Stadt im Herzen Europas, bietet sich hervorragend für einen Jahreswechsel für klassik-begeisterte Menschen an. Die Donaumetropole bot Silvester eine ganz wunderbare Operette: „Die Fledermaus“ von Johann Strauß (Sohn) in der Wiener Staatsoper, erbaut von 1861 bis 1869 unter Kaiser Franz Joseph I. Und am Abend des Neujahrstages die 9. Symphonie – dieses Götterwerk des Ludwig van Beethoven im wunderschönen Wiener Konzerthaus, erbaut von 1911 bis 1913 unter eben jenem Kaiser Franz Joseph I.
Allein diese beiden Aufführungen waren eine Reise nach Wien wert!
Genau 25 Stunden nach der „Fledermaus“ erklang am Neujahrsabend die Musik des Jahrtausend-Genies Ludwig van Beethoven im Wiener Konzerthaus. Mit den Wiener Symphonikern an ihrer musikalischen Wirkungsstätte, der Wiener Singakademie und einem blendend aufgelegten Dirigenten Gianandrea Noseda.
„Der Abend war umwerfend schön“, sagte die Wienerin Regina Schmidt, die seit vielen Jahren die „Neunte“ im Wiener Konzerthaus zum Jahresanfang hört. „Ich habe die vielen schönen Themen der neunten Sinfonie noch nie so schön herausgearbeitet dirigiert bekommen wie von diesem Dirigenten.“
Noseda dirigierte sehr, sehr energetisch, sehr hingebungsvoll und gleichzeitig sehr elegant. Er leitete die Musiker präzise und mit Power. Seine Botschaft: die „Neunte“ ist nicht nur ein kraftvolles Werk mit einer kraftvollen Botschaft. Nein, sie ist auch ein feines, hoch filigranes Werk mit umwerfend schönen Nuancen vom ersten bis zum vierten Satz.
Herzlichen Dank an die wunderbaren Wiener Symphoniker, die Noseda so aufmerksam und fast fehlerfrei folgten. Herzlichen Dank auch an die Damen und Herren der phantastischen Wiener Singakademie, die die „Freude schöner Götterfunken“ – ohne Noten – perfekt darboten. Da ging einem das Herz auf, mit wie viel Hingabe und Stimmkultur diese Laiensänger dieses Werk präsentierten. Der Chor hat auffallend viele jüngere Sängerinnen und Sänger in seinen Reihen und muss sich um seine Zukunft keine Sorgen machen. Er ist auffallend jünger aufgestellt als der Wiener Singverein.
Besser wird diese Neunte kein Orchester und kein Chor an diesem ersten Tag im Jahr dargeboten haben.
Auch die SolistInnen Lise Davidsen (Sopran), Anna Maria Chiuri (Mezzosopran), Russell Thomas (Tenor) und Ain Anger (Bass) boten allesamt eine sehr ansprechende Leistung. Anger sang so viral-väterlich und kraftvoll, dass er den erkrankten Michael Volle gänzlich gut ersetzte. Die Stimme der Zukunft gehört Lise Davidsen. Was für ein voller, in allen Registern packender Sopran! Im Sommer steht die Norwegerin in Bayreuth als Sieglinde in der „Walküre“ und als Elisabeth im „Tannhäuser“ auf der Bühne.
Keine musikalische Sternstunde, aber gute, interessante Unterhaltung – das bot die dritte Aufführung der Operette „Die Fledermaus“ von Johann Baptist Strauß (Sohn, 1825 – 1899) an der Wiener Staatsoper.
Wer das Glück hat, den Jahreswechsel in Wien zu verbringen, der sollte sich eine Aufführung der „Fledermaus“ in der Weltmusikstadt Wien nicht entgehen lassen! Die Inszenierung der „Fledermaus“ von Otto Schenk in der Wiener Staatsoper ist opulent und zuckersüß; sie stammt aus einer Zeit, die heutzutage schon ein wenig verstaubt wirkt.
Die Wiener Regie-Legende Schenk, 89, hat sie erstmals am 31. Dezember 1979 in Szene gesetzt. Mit Stofftapeten an den Wänden. Mit üppigen Kostümen, die an die Glanzzeit des „Walzerkönigs“ erinnern sollen. Mit großen, bunten Kunstblumen. Und die Herren aus dem Chor der Wiener Staatsoper tragen in der 172. Aufführung dieser Inszenierung schwarze Fracks, keine Frage.
Wie könnte wohl eine neue Inszenierung etwas frischeren Wind in das Haus am Ring wehen lassen? Wie könnte diese Punschkrapferlwelt zeitgemäß in Szene gesetzt werden?
Lesen wir, was die klassik-begeistert.de-AutorInnen Lothar und Sylvia Schweitzer über die Wiener „Fledermaus“in der Silvesternacht geschrieben haben:
Johann Strauß, Die Fledermaus, Wiener Staatsoper, 31. Dezember 2019
„Die Wiener Staatsoper hat schon zu viel Mut an einem solchen Abend einen wenig bekannten Dirigenten debütieren zu lassen, auch wenn er bei der typisch österreichischen Operette/Oper mit einem ziemlich autarken Orchester gestärkt durch eine Reihe Wiener Philharmoniker arbeitet. Nach der Aufführung verbrachten wir den Jahreswechsel im „Salon Olga“ im Wiener Vorortbezirk Döbling, wo sich alle paar Wochen Opernliebhaber treffen. Hier wurde der gebürtige Australier Nicholas Carter von den „Fledermaus“-Besuchern arg „zerzaust“. Zu langweilig und schleppend wie noch nie habe er „ihre Fledermaus“ dirigiert.
Wir waren seine einzigen Advokaten. Mag sein, dass die Hervorhebung des Melos etwas auf Kosten der rhythmischen Brisanz ging, wir meinen jedoch, dass hier eine Täuschung vorliegt. Einerseits wirken einige Nummern bereits reichlich abgespielt, andrerseits ist der unharmonische dritte Akt, dem viel an Musik fehlt, anstrengend und ermüdend, was den Gesamteindruck verfälscht. Selbst die aktuellen Pointen, die der Gefängniswärter Peter Simonischek bringt, waren schon in den Medien zu lesen.
Von der Helena in Manfred Trojahns „Orest“ zur Rosalinde: War Laura Aikin in der hohen Tessitura der Helena gleichsam unabkömmlich, war sie für den Csárdás nicht die ideale Besetzung, ansonsten versetzten ihre Spitzentöne in Hochstimmung. Die Adele der Daniela Fally war die ausgewogenste, ausgereifteste und geschlossenste Leistung des Abends. Mit der gewitzten, leider auch verlogenen Untergebenen der Rosalinde sollten zur Entstehungszeit weite Bevölkerungskreise angesprochen werden. Ihre Schwester Ida verkörperte diesmal die Preisträgerin des Hans-Gabor-Belvedere-Gesangswettbewerbs 2019, die Russin Valeriia Savinskaia. Schauspielerisch hervorstechend war ihre Stimme in den Ensembleszenen nicht so präsent, wie wir es zu Silvester 2015 bei Lydia Rathkolb erlebt hatten.
Adrian Eröd (Eisenstein), Clemens Unterreiner (Dr. Falke), Jochen Schmeckenbecher (Frank) und Peter Jelosits (Dr. Blind) sind in den vier Jahren perfekter geworden. Hatten wir damals noch Zweifel, ob der Eisenstein für Eröd eine Partie ist, in der er reüssieren kann, zählen wir jetzt den Eisenstein zu seinen Toprollen. Eine Meisterleistung seine Verstellung als Dr. Blind und seine sichere Höhe.
Clemens Unterreiners „Brüderlein, Brüderlein und Schwesterlein“ klingt jetzt wärmer. Der Iwan, den Csaba Markovits mimen muss, kommt über eine billige Klischeerolle nicht hinaus.
So überraschend ist der Überraschungsgast leider nicht. Spätestens auf dem Besetzungszettel ist er zu lesen. Jonas Kaufmann ist in dem oben erwähnten „Salon Olga“ nicht sehr beliebt. Auch hier müssen wir immer wieder sein außergewöhnliches Timbre verteidigen. Was uns gefallen hat: Er wählte zwei Juwele aus der Operettenwelt aus, bei dem zweiten lud er Rosalinde als Duettpartnerin ein. Zum Abschluss wagte er sich sympathisch an ein Wiener Lied. Keine erratischen Blöcke aus dem italienischen Opernrepertoire.
Vorschusslorbeeren gaben wir Margarita Gritskova für ihren Prinzen Orlofsky – und wurden enttäuscht. Was ist aus der volltönenden Maddalena, der Schwester Sparafuciles aus Giuseppe Verdis „Rigoletto“ geworden! Die Partie muss ihre Tücken haben, denn auch Zoryana Kushpler strahlte vor vier Jahren keine Dominanz aus. Aber ein derartig piepsiger Orlofsky wie an diesem Abend ist uns nicht in Erinnerung.
Das berühmte historische Regie- und Bühnen-Zweigespann Otto Schenk – Günther Schneider-Siemssen findet mit seiner Produktion von Silvester 1979 in seiner 172. Aufführung merklich Beifall beim Publikum. Die Atmosphäre findet im 2. Akt beim Ball des Fürsten Orlofsky seinen Höhepunkt, an dem der Chor der Wiener Staatsoper und das Wiener Staatsballett einen großen Anteil haben. Einziger Wermutstropfen gerade für eine Wienerin, für einen Wiener: Es wird kein Linkswalzer getanzt.“
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Der Österreichische Kammerschauspieler Peter Simonischek, 73, spielte die Sprechrolle des Frosch. Von 2002 bis 2009 verkörperte er den Jedermann bei den Salzburger Festspielen. Seit 1999 ist er Ensemblemitglied des Burgtheaters in Wien. Simonischek ist ein ganz hervorragender Schauspieler, aber manche Pointen klangen ein wenig abgedroschen. Das Gelächter der Zuschauer hielt sich in Grenzen.
Internationale Bekanntheit und großes Lob seitens der Fachkritik brachte Simonischek 2016 die Titelrolle in Maren Ades Spielfilm Toni Erdmann ein. Für den Part eines alternden Musiklehrers, der seine freudlose Manager-Tochter in der Gestalt eines kauzigen Alter Egos aus der Reserve locken möchte, gewann er im selben Jahr als erster österreichischer Schauspieler den Europäischen Filmpreis als Bester Darsteller.
Die Kompositionen von Johann Strauss (Sohn; „An der schönen blauen Donau“) werden von manchen Opernliebhabern ein wenig belächelt. Dabei sahen und sehen ihn bedeutende Menschen als ganz großen Komponisten:
– „Das Charakteristische jeder großen Kunst ist auch der von Johann Strauss zu eigen: Sie lastet nicht, sie schwebt und macht, dass wir mit ihr schweben …“ Felix Weingartner
– „Die Familie Strauss ist ein eigener Kosmos, der mit nichts in der Welt vergleichbar ist.“ Mariss Jansons
-„Johann Strauss ist der musikalischste Schädel der Gegenwart. […] Es leben alle musikalischen Genies von Bach bis Johann Strauss.“
Richard Wagner
-„Wir Schriftsteller zeigen der Welt, wie elend sie ist – Strauss zeigt uns, wie schön sie sein kann.“
Émile Zola
Wikipedia schreibt: „Die Melodien in der ‚Fledermaus‘ stammen in erster Linie von Johann Strauß (Sohn). Die Instrumentierung wurde großenteils von Richard Genée beigesteuert, der auch als Librettist beteiligt war.
Die Musik soll in den wesentlichen Teilen innerhalb von 42 Tagen im Sommer 1873 in Strauß‘ damaliger Wohnung (1870–1878) in der Maxingstraße 18 in Hietzing (seit 1892 13. Wiener Bezirk) entstanden sein, wobei Strauß hauptsächlich als Urheber der Melodien in Erscheinung trat, während große Teile der Instrumentierung von Genée ausgeführt wurden. Ein Musikstück aus dem neuen Werk wurde bei einem Wohltätigkeitskonzert im Oktober 1873 erstmals dem Wiener Publikum vorgestellt, dies war der Csárdás aus dem zweiten Akt. Dieser und die Ouvertüre sind die einzigen musikalischen Teile, die vollständig von Johann Strauß komponiert wurden.
Wegen des großen Erfolges dieser Csárdás-Aufführung wurde die Uraufführung der gesamten Operette rasch vorangetrieben, musste aber infolge der inzwischen ausgebrochenen Wirtschaftskrise („Gründerkrach“) mehrfach verschoben werden. Schließlich ging sie am 5. April 1874, unter der musikalischen Leitung des Komponisten, im Theater an der Wien über die Bühne. Nach späteren Behauptungen sei sie in Wien kein „Sensationserfolg“ gewesen, in Wirklichkeit fand sie durchwegs anerkennende Zustimmung bei Publikum und Presse. Bis 1888 folgten weitere 199 Aufführungen in demselben Theater. In anderen Städten war allerdings die Aufnahme erheblich besser, zum gleichen Zeitpunkt war sie in Berlin bei einem späteren Startzeitpunkt bereits über 300 Mal aufgeführt worden.
Die erste Aufführung in einem Opernhaus erfolgte 1894 unter dem Dirigat von Gustav Mahler im Stadt-Theater Hamburg (heute Staatsoper Hamburg).“
Andreas Schmidt, 2. Januar 2020, für
klassik-begeistert.at und klassik-begeistert.de
Viel Lärm um Nichts!
Sehr viel interessanter und hochkarätig (absolut überragend: Piotr Beczala) war da Moniuszkos Halka im Theater an der Wien.
Die Silvester Vorstellung im Theater an der Wien ist mittlerweile ein Muss abseits des üblichen Wiener Sehen und Gesehen Werdens!
Chris