von Kirsten Liese
Lange habe ich über meine journalistische Arbeit mein Klavierspiel vernachlässigt. Das hat mich oft sehr bekümmert, denn bekanntlich verliert sich das, wenn man nicht mehr übt.
Die Corona-Krise bringt es mit sich, dass ich immerhin dafür nun wieder Zeit finde.
Ausgesucht habe ich mir zunächst zwei meiner Lieblingsstücke: Bachs Choral Jesus bleibet meine Freude aus der Kantate Herz und Mund und Tat und Leben und das A-Dur Intermezzo von Johannes Brahms op.118.
Der Bach-Choral begleitet mich schon sehr, sehr lange seit meiner Kindheit, es war schon eines der Lieblingsstücke meiner Großmutter, und zwar in der vielleicht schönsten, legendären Aufnahme mit Dinu Lipatti, die ich nur jedem empfehlen kann. Man wird, hat man sie einmal gehört, regelrecht süchtig und hört sie wieder und wieder:
(https://www.youtube.com/watch?v=BcOyojBU3hs)
Zuversicht, Trost, Hoffnung und Liebe: Besser als diese Musik lassen sich diese Empfindungen kaum ausdrücken, und das ist es wohl was sie so magisch macht. Ich habe mich so in dieses Stück verliebt, dass ich es mir hintereinander oftmals an die 20 Male angehört habe. Erstmals spiele ich es nun selbst.
Bei meinen ersten Übungen kamen mir zwar noch ein paar falsche Töne unter, aber inzwischen bekomme ich es schon recht gut hin. Es erweist sich seelisch als eine herrliche Medizin in diesen Zeiten. Irgendwie färbt das auch ab: Als ich am Wochenende meine Eltern besuchte, brachte ich meiner Mutter die Noten mit, die dieses Stück auch sehr liebt. Sie war sofort so begeistert, die Vorfreude auf das Spielen dieser wunderbaren Musik hellte sofort ihr Gemüt auf. Und so ging es weiter. Inzwischen wollte auch noch eine befreundete Geigerin aus unserem Hausmusikkreis die Noten, die übrigens unter diesem Link heruntergeladen werden können:
https://m.free-scores.com/free-sheet-music.php?partition_centrale=17&compositeur=jean-sebastien-bach
Das Brahms-Intermezzo ist klaviertechnisch ungleich schwieriger. Ich hätte es mir nach längerer Pause wohl kaum vorgenommen, wenn ich es nicht schon einmal studiert hätte. Ich hatte es als Studentin sogar in einem Tonstudio aufgenommen. Wie der Bach-Choral verströmt das Brahms-Intermezzo durch und durch positive Energie.
Unter den Interpretationen namhafter Pianisten gefällt mir die von Walter Gieseking seitens langsamen Tempo und verträumtem Ausdruck besonders gut.
(https://www.youtube.com/watch?v=0u9P2WO9Ok0)
Und dann kommen natürlich noch viele Erinnerungen hoch an meine letzte Klavierlehrerin an der Hochschule, Irma Hofmeister. Wie die meisten meiner so geschätzten Lehrerinnen und Lehrer lebt sie schon lange nicht mehr. An diesem Stück habe ich besonders intensiv mit ihr gearbeitet. Nun muss ich mir erstmal die Töne wieder mühsam zusammensuchen, aber allmählich wird es und dann fällt mir wieder ein, was sie dazu gesagt hat. Und irgendwie fühlt es sich an, als säße sie neben mir.
Kirsten Liese, 18. März 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .