Mozarts berühmter sechsstimmiger Kanon „Leck mich im Arsch“ (KV 213), der übrigens musikalisch auf dem letzten Satz von Haydns Symphonie No. 3 in G-Dur beruht, vermag diesseits des Ärmelkanals wohl niemanden mehr in Erstaunen oder gar Empörung zu versetzen. Anders die frühere Premierministerin Margaret Thatcher (mit der ich übrigens in den 90er Jahren als NZZ-Korrespondent für Großbritannien ein ausführliches Interview geführt hatte). Sie schaute sich im Londoner West End das damals sehr beliebte Theaterstück „Amadeus“ von Peter Shaffer an – das ja ziemlich großzügig mit den biographischen Fakten umgeht.
von Charles E. Ritterband
Unbelehrbare Premierministerin
Der Regisseur von „Amadeus“, Peter Hall – Gründer übrigens der Royal Shakespeare Company – erinnert sich an den Theaterbesuch der Iron Lady: „Sie war nicht erfreut. In ihrem berüchtigten Gouvernanten-Stil tadelte sie mich heftig dafür, Mozart als Lausbub mit einer Vorliebe für obszöne Kraftausdrücke auf die Bühne zu bringen. Es sei doch undenkbar, argumentierte Thatcher, dass ein Mann, der so exquisite und elegante Musik geschaffen habe, derart unsägliche Dinge gesagt und geschrieben haben soll.
Hall habe der Premierministerin geantwortet, dass dies ja gerade der Beweis sei: Mozart habe einen derart infantilen Humor gehabt… Die für ihre Direktheit wohlbekannte Thatcher unterbrach: „Ich denke, dass Sie mir nicht zugehört haben. Er konnte nicht so gewesen sein!“ Hall versprach, der Premierministerin schon am folgenden Tag Kopien von Mozarts Briefen in die Downing Street Nummer 10 zu schicken – was er auch tat. Ihr Privatsekretär bestätigte und verdankte korrekt deren Erhalt. Aber es habe nichts genützt: „Die Premierminister sagte, ich hätte Unrecht – also hatte ich Unrecht.“
Der Endokrinologe Bejamin Simkin schätzt, dass 39 von Mozarts Briefen obszöne Passagen enthielten. Fast alle dieser Briefe waren an seine Familienmitglieder gerichtet – insbesondere an seinen Vater Leopold, seine Mutter Anna Maria, seine Schwester Nannerl und die „Bäsle Briefe“ an seine Cousine Maria Anna Thekla. Aber fern davon, schockiert zu sein, antworteten seine Angehörigen mit ähnlichen Humor-Exzessen. So ein Brief von Anna Maria Mozart an ihren Gatten, in dem es von Kraftausdrücken wie „Arsch“ und „ins Bett scheißen“ nur so strotzt.
Von der Commedia dell’Arte inspiriert?
Diese damals offenbar nicht als so provokant empfundenen Dinge, als die sie heute erscheinen, waren inspiriert vom kruden Humor der Commedia dell’Arte, welche großen Einfluss auf das deutschsprachige Theater zu Mozarts Zeit hatte – in vielen Opern wird dieser Einfluss mit seinen immer wiederkehrenden Szenarien deutlich (Elisir d’Amore, Barbier von Sevilla). Auf den volkstümlichen Dorfbühnen war es die Figur des Hans Wurst, die kein Blatt vor den Mund nahm. Man nimmt an, dass die Vulgarität des Volkstheaters einen ganz bewusst provokativen Kontrapunkt zu den oft maßlos übertrieben verfeinerten Sitten und Gebräuchen der Aristokratie setzen wollte. Mozarts Zeitgenosse und Salzburger Kollege Michael Haydn schrieb ebenfalls einen ziemlich süffigen Kanon betitelt „Scheiß nieder, armer Sünder“.
Mozart, der ja in allen drei Da-Ponte-Opern ziemlich unverblümt Kritik an der Aristokratie, ihrer Arroganz und ihren mitunter an Menschenverachtung grenzenden lockeren Sitten übt, zieht mit gnadenloser Häme über die Aristokraten her, die im Publikum eines Konzerts in Augsburg im Jahr 1777 saßen: „Ducheße Arschbömerl, die Gräfin Brunzgern, die Fürstin Richzumtreck und die zwei Princzen Mußbauch von Sauschwanz“.
Und seine persönliche Zurückweisung durch Aloysia Weber quittierte Mozart mit dem Satz „leck mich das Mensch im Arsch, das mich nicht will“. Nicht nur für die prüde Krämertochter Margaret Thatcher war Mozarts oft kruder Humor unerträglich – wohlmeinende Zensoren machten beispielsweise im erwähnten Kanon aus der Zeile „leck mir den Arsch fein rein“ das unverfängliche „nichts labt mich als Wein“.
Dornige Rosen und gehörnte Männer
Während ich den kruden Obszönitäten selbst eines Mozart nichts abzugewinnen vermag – auch wenn ich sie, im Gegensatz zu Margaret Thatcher wohl oder übel für authentisch halte – habe ich ein Lieblingsexempel für Mozarts Humor vor Augen, das nun alles andere als primitiv, sondern im Gegenteil höchst raffiniert ist: Es handelt sich um Figaros musikalischen Wutausbruch in der 8. Szene des vierten Aktes in Figaros Hochzeit, als er meint, dass seine Susanna dem sexuellen Drängen des Grafen doch noch nachgegeben habe.
Figaro klagt in herzzerreißender Traurigkeit: „O Susanna, wieviel Leid verursachst du mir…“, schwingt sich in dieser Arie dann aber zunehmend wütend zu einem pauschalen Rundumschlag gegen sämtliche Frauen auf: „Aprite un po‘ quegli occi“ (öffnet doch mal ein wenig Eure Augen …). Es sei glatter Wahnsinn, einer Frau zu vertrauen. Schaut Euch mal diese Frauen an, schaut mal, was sie sind! Figaro nennt sie kokett (bzw. Steinkäuze – civette), vergleicht sie mit „Hexen, die verzaubern“, mit dornigen Rosen, mit funkelnden Kometen… Den Rest, singt Figaro, werde er verschweigen – denn jeder wisse ohnehin, was gemeint sei. Und in diesem Moment ertönen – Jagdhörner. Das ist ziemlich raffiniert. Denn die Botschaft lautet: Jeder weiß, was dieser „Rest“ ist – die Frauen setzen den Männern Hörner auf.
Das ist nun wirklich subtilster Humor und ich möchte wetten, dass Frau Thatcher, die zweifellos an der Royal Opera Covent Garden mehrfach in den Genuss des „Figaro“ gekommen ist, diese raffinierte musikalische Vignette wohl genossen, aber deren doppelbödigen Sinn kaum erfasst haben mag.
Woher kommt eigentlich diese geläufige Redewendung „jemandem Hörner aufsetzen“, das heißt im Klartext: sexuell hintergehen. Eigentlich ist mit diesem „Hörner aufsetzen“ eine Kastration gemeint. Zwar nicht die eines Mannes, aber, so die gängige Interpretation, eines Hahnes, um ihn zum Kapaun zu machen. Denn auf einem Bauernhof hatte man üblicherweise keine Verwendung für mehr als einen Hahn. Um diese Kapaune von den nicht kastrierten Hähnen zu unterscheiden, schnitt man ihnen einst die Sporen ab und pflanzte sie in den Hahnenkamm ein – so wurden diese armen kastrierten Tiere „gehörnt“. Die Italiener haben für den betrogenen Ehemann einen unzweideutigen Ausdruck: „cornuto“. Dazu gibt es im Süden Italiens eine eindeutige Geste: Ausgestreckte Zeigefinger und kleine Finger. Eine derartige Beleidigung könnte, in Sizilien zumindest, ziemlich rasch tödliche Folgen nach sich ziehen. Dass Mozart dies ahnte, kann ausgeschlossen werden. Dass er aber den Ausdruck „gehörnt“ sehr wohl kannte und diesen Zustand mit den Hörnern im Orchester musikalisch persiflierte, liegt bei Mozarts Sinn für Humor auf der Hand.
Charles E. Ritterband, 24. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Der Publizist und Journalist Dr. Charles E. Ritterband, 67, geboren in Zürich / Schweiz, ist Verfasser mehrerer Bestseller („Dem Österreichischen auf der Spur, „Österreich – Stillstand im Dreivierteltakt“ sowie „Grant und Grandezza“) und hat als Auslandskorrespondent 37 Jahre aus London, Washington, Buenos Aires, Jerusalem und Wien für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet. Er studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich und Harvard sowie am Institut d’études politiques de Paris und an der Hochschule St. Gallen. Seit Kindesbeinen schlägt Charles’ Herz für die Oper, für klassische Konzerte und für das Theater. Schon als Siebenjähriger nahm ihn seine Wiener Oma mit in die Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Melodien hat er monatelang nachgesungen und das Stück in einem kleinen improvisierten Theater in Omas Esszimmer nachgespielt. Charles lebt im 4. Bezirk in Wien, auf der Isle of Wight und in Bellinzona, Tessin. Er schreibt seit 2017 für klassik-begeistert.de.
Beitragsbild: ivabalk auf Pixabay
Das sind amüsante Informationen. Genauso wie der „eisernen Lady“ ist mir das auch nicht bewusst gewesen, dass der gute Mozart mit derart viel Raffinesse komponiert hat. Habe den erwähnten Auszug aus dem Figaro gerade gehört – wirklich raffiniert!
Jürgen Pathy