Antonín Dvořák, Rusalka
Wiener Staatsoper, 28.Oktober 2017
Tomáš Hanus, Dirigent
Sven-Eric Bechtolf, Regie
Rolf Glittenberg, Bühne
Marianne Glittenberg, Kostüme
Jürgen Hoffmann, Licht
Lukas Gaudernak, Choreographie
Martin Schebesta, Chorleitung
Krassimira Stoyanova, Rusalka
Dmytro Popov, Der Prinz
Jongmin Park, Wassermann
Von Bianca Schumann
Einige Zuschauer suchen noch hastig ihre Plätze, einige Orchestermusiker spielen noch schnell den ein oder anderen Lauf, bevor es losgehen soll. Sobald das Licht im Großen Saal der Wiener Staatsoper gedimmt wird, tritt Stille ein. Während sich der Dirigent Tomáš Hanus seinen Weg durch den Orchestergraben zum Dirigentenpult bahnt, applaudiert das Publikum herzlichst. Was folgt, kann nicht anders als ein Opernabend der Extraklasse bezeichnet werden.
Lange musste das Stammpublikum der Wiener Staatsoper auf die erste Aufführung von Antonín Dvořáks Rusalka warten. Die lyrische Oper in drei Akten ist die vorletzte, die der tschechische Komponist vier Jahre vor seinem Tod innerhalb nur weniger Monate komponierte. 1901 wurde sie in Prag unter der Leitung von Jiří Bělohlávek uraufgeführt. In der Wiener Staatsoper erklang sie erst 1987, vor bloß 30 Jahren, zum ersten Mal! Eine Wiederaufnahme erfolgte 2014. Es ist erst die dritte Spielzeit, in der Rusalka Einlass ins Haus am Ring gewährt wird.
Und das Wiener Publikum ist sich einig: In Zukunft, gerne wieder!
Bereits mit den ersten, leisen Orchesterklängen der Ouvertüre – Jahrhundertmusik! – nistet sich eine mystisch anmutende, träumerische Atmosphäre im ausverkauften Haus ein. Feinste Streichermotive und zarteste Figuren in den Holzbläsern entführen den Hörer in Rusalkas märchenhafte Unterwasserwelt.
Als sich der rote Samtvorhang lüftet, sehen sich die Zuhörer in eine kalte, farbenarme, scheinbar leblose Umgebung versetzt, in der baumstammartige Gebilde in die Höhe ragen. Spätestens, als drei neckische Waldelfen beginnen, um den gerade erwachten Wassermann zu tänzeln, wird klar, wir befinden uns im verwunschenen See, in dem auch die berühmt berüchtigte Ježibaba mit ihren Zauberkräften beheimatet ist. Vervollständigt wird das Bühnenbild durch eine milchige Glaswand an der Bühnenrückwand, die als Fenster zur fernen Menschenwelt fungiert.
Viel mehr Bühnenbild bedarf es nicht, um das Märchen über die unglücklich in einen Prinzen verliebte Rusalka zu erzählen, die aus jugendlicher Verzweiflung heraus einen verheerenden Pakt mit Ježibaba eingeht. Eine sterbliche Seele will sie erhalten, um sich ihrem geliebten, innig ersehnten Prinzen in menschlicher Gestalt zeigen und ihn letztlich heiraten zu können. Als Opfer für diesen Zauber muss sie jedoch ihrer Stimme entsagen und fortan stumm durch die Menschenwelt wandeln.
Krassimira Stoyanova, 55, verkörpert die zerbrechlich, teils naiv anmutende Rusalka schlichtweg überragend! Die leuchtende Stimme der international renommierten und gefragten Sopranistin dringt selbst im Pianissimo bis in die hintersten Ränge durch und gar in Orchestertutti-Passagen strahlt ihre klare Stimme unüberhörbar über den orchestralen Melodien.
Auch stimmlos überzeugt Stoyanova mit ihren Schauspielkünsten. Ihre ungekünstelte Mimik verschafft ihr eine Präsenz, die manch anderem Sänger kaum m i t Stimme gelingt.
Ist Rusalka einmal von der Bühne verschwunden, sehnen sich die Zuhörer nach den sanften Harfenarpeggien, die ihr Auftreten viele Male ankündigen und auch vor dem berühmten Lied an den Mond erklingen, das Stoyanova himmlisch vorträgt. Wirklich zum Verlieben schön ist diese Arie, Musik, die einen in wohlige Sphären entschweben lässt.
Doch nicht nur die gebürtige Bulgarin glänzt in ihrer Hauptrolle. Auch der Bass Jongmin Park erobert sich in der Rolle des Wassermanns im Nu die Herzen seiner Zuhörerschaft durch sein warmes, weittragendes Organ. Während des Schlussapplauses wird der Südkoreaner sogar aus einer der vorderen Logen mit Blumen beworfen. Mit seinen 30 Jahren ist Park weltweit der wohl beste Bass seiner Generation – eine Stimme mit absolutem Wohlfühlcharakter. Väterlich, voll, feinfühlig und einnehmend.
Der junge Tenor Dmytro Popov kann in der Rolle des Prinzens vollends überzeugen. Die Farbpalette, in die der Ukrainer seine Stimme wechselnd tunkt, scheint schier unendliche Nuancen zu besitzen. Von tief klagend bis strahlend triumphierend ist alles dabei. Meisterlich!
Ein Opernabend der Extraklasse: Sparsame Inszenierung ohne ablenkende Effekthascherei, maximale stimmliche Qualität aller beteiligten Sänger, ein Weltklasse-Orchester in Spitzenform unter einem absolut souveränen Dirigenten – was will man mehr!
Bianca Schumann, 29. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.at