Sommereggers Klassikwelt 80: Willem Mengelberg, der gefallene Pultstar

Sommereggers Klassikwelt 80: Willem Mengelberg  klassik-begeistert.de

von Peter Sommeregger

In diese Woche fällt der 150. Geburtstag, aber auch der 70. Todestag des legendären holländisch/deutschen Dirigenten Willem (eigentlich Joseph Wilhelm) Mengelberg, der als Kind deutscher Staatsbürger in Utrecht zur Welt kam. Nach ersten Studien in Utrecht wurde er Schüler von Franz Wüllner an der Kölner Hochschule für Musik in den Fächern Klavier und Komposition. Sein Debüt als Dirigent feierte er mit dem Kölner Gürzenich-Orchester. Bereits mit 21 Jahren wurde er 1892 Generalmusikdirektor in Luzern, das Jahr 1895 sah ihn bereits als Leiter des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters, und als ob das nicht schon genug wäre, übernahm er von 1907 bis 1920 auch noch Dirigate beim Frankfurter Museumsorchester.

In den USA war Mengelberg von 1921 bis 1930 als Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker verpflichtet, was zu einer schwierigen Konkurrenzsituation mit Arturo Toscanini führte. Das Orchester drohte sich in ein Mengelberg- und ein Toscanini-Lager aufzuspalten, was Mengelberg mit der Aufgabe seiner Tätigkeit in New York verhinderte.

In Amsterdam gelang es dem Dirigenten, das Concertgebouw-Orchester zu einer virtuosen Qualität zu führen, die es über die Jahre zu einem der führenden Orchester der Welt machte. Die Niederlande zeigten sich dankbar für Mengelbergs Einsatz und verliehen ihm bereits 1898 den Titel eines Ritters des Ordens von Oranien-Nassau, 1902 wurde er zum Offizier desselben, 1907 zum Ritter des Ordens vom Niederländischen Löwen. Außerdem erhielt er 1907 die Silber- und 1913 die Goldmedaille der Künste und Wissenschaften im Hausorden von Oranien. 1920 wurde er Komtur, 1934 Großkomtur des Ordens von Oranien-Nassau. Außerdem erhielt er eine Professur an der Universität Utrecht.

1920 veranstaltete Mengelberg in Amsterdam das erste Mahler-Fest, bei dem sämtliche Werke des 1911 verstorbenen Komponisten aufgeführt wurden. Er organisierte es aus Verehrung für Mahler, den er noch persönlich gekannt hatte.

Der Niedergang Willem Mengelbergs begann mit der Besetzung der Niederlande durch deutsche Truppen 1940. Der Dirigent sympathisierte für den Geschmack der sensibilisierten Holländer zu sehr mit den nationalsozialistischen Machthabern. Interviews in Parteizeitungen, Konzerte für Würdenträger des Regimes und angebliche abfällige Bemerkungen über das niederländische Musikleben brachten weite Teile der Bevölkerung gegen ihn auf. Übersehen wurde dabei, dass Mengelberg sich vehement für eine Reihe jüdischer Künstler einsetzte, die nach der Besetzung des Landes in großer Gefahr schwebten.

Nach Kriegsende 1945 musste Mengelberg einen hohen Preis für die große Nähe zu den gestürzten Machthabern zahlen. Er erhielt ein lebenslanges Berufsverbot in Holland, sämtliche Ehrungen der Vergangenheit wurden ihm aberkannt, selbst sein Pass wurde eingezogen. Mengelberg fühlte sich ungerecht behandelt und beteuerte, immer zum Wohl des Orchesters und des niederländischen Musiklebens gehandelt zu haben. Gekränkt und seiner Tätigkeit beraubt zog sich der Dirigent in ein Schweizer Chalet zurück, das er sich ursprünglich als Ferien- und Rückzugsort bauen ließ. Nach langer, glücklicher Ehe war Mengelbergs Ehefrau Tilly 1943 gestorben, was den Dirigenten in seinem Exil noch einsamer machte. Zwar wurde sein Auftrittsverbot verkürzt, aber wenige Monate vor dem Ablauf starb Willem Mengelberg am 22. März 1951 in Zuort im Schweizer Kanton Unterengadin. Seine letzte Ruhestätte fand er auf einem Friedhof bei Luzern.

Bis heute wird zum Teil erbittert um die Berechtigung der Abstrafung Mengelbergs diskutiert. Eine gewisse Nähe zu den Nationalsozialisten bestand aber unbestreitbar. Mengelbergs Fehler bestand wohl darin, die Sensibilität der Menschen in seiner Wahlheimat unterschätzt zu haben.

Sein Nachruhm als Dirigent ist davon aber nicht betroffen: Mengelberg hinterließ eine große Zahl von Schallplattenaufnahmen, die in Überspielungen bis heute erhältlich sind.

Peter Sommeregger, 24. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Peter Sommeregger

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

 

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