Lise Davidsen bekommt zurecht mit Abstand den meisten Applaus an diesem Abend – Klatschen, Bravi, Fußgetrampel. Es ist der Lise-Davidsen-Tag in Bayreuth. Als „Farben“ zu ihrem außerirdischen Gesang passen Sonnenblumen, Bernstein, Gold und Kardamom.
Als Elisabeth sagenhaft: Lise Davidsen.
© ENRICO NAWRATH / BAYREUTHER FESTSPIELE
Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2021
Richard Wagner, Tannhäuser
von Andreas Schmidt
„Tannhäuser“ in Bayreuth – das ist die Oper der Zukunft! Die Inszenierung von Tobias Kratzer ist intelligent, bunt, gefühl- und humorvoll. Das ist cool, emotional, sexy und berührend. Es singen in ihren Rollen die überwiegend besten Sänger der Welt. Das Orchester ist eine Wucht, und Axel Kober zeigt mit seinem einfühlsamen wie energetischen Dirigat, dass man in Bayreuth auch getrost auf Valery Gergiev verzichten kann.
Und dann diese Musik: Jedem der knapp 911 Menschen im Festspielhaus schlägt das Herz, brennt vor Sehnsucht die Seele, wenn die besten Musiker aus ganz Europa und dieser fulminante Chor alles geben und diese göttlichen Noten spielen und singen. Richard would have been happy!
Ja, and the very best of the best ist der Klang. Für ihn sollte jeder, der Wagner liebt, einmal im Leben nach Bayreuth pilgern. Wer seinen Focus auf Stimmen richtet, wer die optische Imagination eines Puppentheaters sucht, dem hat Richard Wagner das absolute Wunderland auf den Grünen Hügel gezaubert. Zu einer Zeit, als der Rundfunk noch in seinen Kinderschuhen steckte, als Thomas Alva Edison gerade erst dabei gewesen war, die ersten Tonaufzeichnungsverfahren zu entwickeln, schuf Richard Wagner bereits den Vorreiter des heutigen Dolby Surround Sounds.
In Bayreuth lautet die Devise: Hinsetzen, stillhalten und großes Kino erleben! Ein Erlebnis, das zur Eröffnung des Festspielhauses im Sommer 1876 bahnbrechend gewesen sein muss.
Was findet Tannhäuser eigentlich erotisch an dieser quirligen, pubertierenden, leicht durchgeknallten Venus, die in ihrer Märchenwelt lebt? Ist es das Losgelöste, das Selbstbewusste, das Unbeschwerte?
Ekaterina Gubanova meistert die Anforderungen bravourös – aber an die Elena Zhidkova vor zwei Jahren reicht sie nicht heran. Sie ist eine großartige Schauspielerin und Sängerin und fügt sich perfekt in die Inszenierung ein. Die Intensität, mit der sie die Rolle verkörpert, ihre Blicke im zweiten Aufzug, das Trotzige, Gelangweilte, auch Gemeine – das alles nimmt man ihr sofort ab.
Tannhäuser hat ein Gewissen – er muss weg aus dieser kriminellen Energie, er war dabei, als ein Polizist von Venus totgefahren wurde. Er muss fliehen, ansonsten geht er zugrunde. Er wirkt psychisch äußerst angeschlagen im ersten Aufzug. Stephen Gould singt den verzweifelten Tannhäuser kraftvoll und sicher, fast ohne Ermüdungserscheinungen. Im Sängerkrieg ist er der Hämische, Besserwisserische, sich über die „Romantiker“ stellende. Die Titelrolle verlangt von dem US-Amerikaner ein Äußerstes an Stimmtechnik – Stephen Gould verfügt über eine exzellente, sodass nicht eine Sekunde zu befürchten ist, er würde es nicht bis zur Romerzählung schaffen. Er ist aber seit einiger Zeit nicht mehr der strahlende Tannhäuser, den ich 2016 in Berlin an der Deutschen Oper gehört habe. Er bekommt als einziger der Hauptdarsteller keine Bravi.
Stephen Gould ist ein gestandener Heldentenor alter Schule, seine Kraftreserven bis zum Schluss sind beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe ist meist gut. Allein, und sorry lieber Stephen: MAGISCHE Momente wollten sich nicht einstellen an diesem Abend. Es gab keine Passage, die mich vollends auf die Knie zwang.
Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach berührt durch eine hervorragende Leistung und lässt im dritten Aufzug einen hochemotionalen und berührenden Abendstern strahlen. Seine Stimme klingt baritonal, weich, warm und voll. Dass er zum Schluss noch einmal alle Register zieht, beeindruckt auch Elisabeth, und sie zieht sich mit ihm in den Citroën für ein Schäferstündchen zurück. Das war eine Hausnummer, lieber Markus Eiche. Ihr Wolfram berührt, Sie sind ein Bariton, der sich auf die hohe, verloren gehende Kunst des Legatosingens versteht und sein Lied an den Abendstern wunderbar leise, lyrisch und zärtlich gestaltet.
Die norwegische Sängerin Lise Davidsen verkörpert Elisabeth trotz oder gerade aufgrund ihres Schicksals als starke, selbstbewusste Frau. Sie singt die Partie voller Wärme, Hingabe, in den Höhen strahlend und klar und überzeugt mit einer äußerst ausdrucksstarken Darstellung. Sehr ergreifend ist vor allem die Szene im zweiten Aufzug, in der sie um das Leben von Tannhäuser fleht. Auch die Sequenz, in der sie mit Oskar, Manni Laudenbach, die Suppe löffelt, ist unbeschreiblich anrührend.
Lise Davidsen bekommt zurecht mit Abstand den meisten Applaus an diesem Abend – Klatschen, Bravi, Fußgetrampel. Die Zuschauer stehen auf. Es ist der Lise-Davidsen-Tag in Bayreuth. Als „Farben“ zu ihrem außerirdischen Gesang passen Sonnenblumen, Bernstein, Gold und Kardamom.
Die hochgewachsene Sängerin (1,88 Meter) besitzt ein sehr persönliches, unverwechselbares Timbre, das in manchen Momenten entfernt an ihre Landsfrau Kirsten Flagstad erinnert. Davidsen hat den langen Atem und die extreme Höhe, die selbst an exponierten Stellen unforciert abrufbar ist.
Der Landgraf Hermann wird vom Niederösterreicher Günther Groissböck gesungen. Er zog die Zuhörer und Zuschauer mit seiner väterlichen Stimme in den Bann. Groissböcks Kernkompetenz ist der mittlere und tiefere Bereich – kernig und volltönend! Sehr entspannend. Er hat ein wunderbares, dunkles Timbre, eine absolute Wohlfühlstimme. Dass Groissböck den Wotan in der „Walküre“ versemmelt hat und diesen nicht aufführen wird, nahm ihm keiner der Zuschauer übel. Ganz großer Applaus.
Der junge Hirt wird von einer fahrradfahrenden Katharina Konradi – Ensemblemitglied der Staatsoper Hamburg – hingebungsvoll gesungen. Bei der Textpassage „Da strahlte warm die Sonnen – der Mai war kommen“ ist die wärmende wohlige Sonne förmlich zu spüren. Konradi ist es gelungen, diese kleine Rolle mit so intensiver Präsenz und so klarer und textverständlicher Stimme zu gestalten, dass sie einem noch lange in Erinnerung bleiben wird. Dieser Sängerin gehört die Zukunft, und die Verantwortlichen in Bayreuth haben für sie hoffentlich bereits größere Partien auf dem Zettel.
Andreas Schmidt, 27. Juli 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Meine Lieblingsoper (64): „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ von Richard Wagner
Richard Wagner, Tannhäuser, Bayerische Staatsoper, Nationaltheater, München, 9. Mai 2019
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg, Richard Wagner, Deutsche Oper Berlin, 11. Mai 2019
Richard Wagner, Tannhäuser, Bayerische Staatsoper, München, 5. Mai 2019
Musikalische Leitung | Axel Kober |
Regie | Tobias Kratzer |
Bühne | Rainer Sellmaier |
Kostüm | Rainer Sellmaier |
Licht | Reinhard Traub |
Video | Manuel Braun |
Dramaturgie | Konrad Kuhn |
Landgraf Hermann | Günther Groissböck |
Tannhäuser | Stephen Gould |
Wolfram von Eschenbach | Markus Eiche |
Walther von der Vogelweide | Magnus Vigilius |
Biterolf | Olafur Sigurdarson |
Heinrich der Schreiber | Jorge Rodríguez-Norton |
Reinmar von Zweter | Wilhelm Schwinghammer |
Elisabeth, Nichte des Landgrafen | Lise Davidsen |
Venus | Ekaterina Gubanova |
Ein junger Hirt | Katharina Konradi 27.7. | 2.8. | 5.8.Alexandra Steiner 13.8. | 16.8. | 23.8. |
Le Gateau Chocolat | Le Gateau Chocolat
auf der Bühne vertreten durch: Kyle Patrick |
Oskar | Manni Laudenbach |
TERMINE
- Dienstag, 27. Juli 2021, 16:00 Uhr
- Montag, 02. August 2021, 16:00 Uhr
- Donnerstag, 05. August 2021, 16:00 Uhr
- Freitag, 13. August 2021, 16:00 Uhr
- Montag, 16. August 2021, 16:00 Uhr
- Montag, 23. August 2021, 16:00 Uhr