KS Jonas Kaufmann, Ehrenmitglied Simone Young, KS Bryn Terfel © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 2. Februar 2022
Benjamin Britten, Peter Grimes
Kammersänger. Ein Titel, der anscheinend Flügel verleiht. Immerhin zähle man in Österreich bekanntlich nichts, solange man keinen hat. Darüber scherzte ein sichtlich gut gelaunter Jonas Kaufmann, nachdem er Mittwochabend an der Wiener Staatsoper auf offener Bühne geehrt wurde. Zuvor hatte er ebenso überzeugt.
von Jürgen Pathy
Peter Grimes ist die Geschichte eines Sündenbocks, der schnell einmal gefunden wird. Vor allem in einem kleinen Dorf, wo der Antiheld sein Dasein als Fischer fristet. Eine Gesellschaftskritik, mit der Benjamin Britten sich den Frust von der Seele komponierte. Britten, selbst Bewohner einer britischen Kleinstadt, kannte das Los nur zu gut. Als Pazifist, Wehrdienstverweigerer und Homosexueller war Britten ein Einzelgänger. Aus diesem Leid entstand mitten in den Wirren des 2. Weltkriegs dieses Meisterwerk, das 1945 in London zur Uraufführung gelangte.
Jonas Kaufmann in Hochform
An der Wiener Staatsoper hat man die Rollen mit großen Namen besetzt. In der Titelpartie: Jonas Kaufmann, der nun auch zu den Größten in Österreich zählt – zumindest auf dem Papier. Kammersänger, das wird hier nicht jeder. Obwohl man sich von diesem Titel nichts kaufen kann, gleicht er einem Ritterschlag und einem Versprechen zu gleich. „Damit wir dich hier noch öfters hören“ oder so ähnlich, hatte einst Altdirektor Dominique Meyer gestrahlt, als er 2019 Piotr Beczała in den Adelsstand erhoben hatte.
Kaufmann hat es an diesem Abend auch verdient. Als Peter Grimes hat er nicht nur berührt und entführt, sondern wahrhaftig verführt. So eine hinreißende Pianokultur und butterweiche Passaggios hat man vom gebürtigen Münchner schon lange nicht mehr gehört. Könnte der umstrittene Superstar nur öfters aus diesen Untiefen schöpfen, so manch eine kritische Stimme würde verstummen.
Dass ihm dabei die Partitur in die Hände spielt, soll nicht unerwähnt bleiben. Während er in typischen Partien des Heldenfachs gegen eine orchestrale Wand kämpfen muss, ist ihm Benjamin Britten mehr als nur gnädig gesonnen. Über weite Strecken deklamiert Kaufmann ohne jeglichen Widersacher. Stellenweise gleicht es gar einem A-cappella-Gesang, wo ihm jegliche Instrumente aus dem Weg gespült werden.
Frauenpower aus dem hohen Norden
Kaufmann zur Seite stand: Frauenpower hoch 10 aus Norwegen. Wer Lise Davidsen einmal live erlebt hat, weiß, wovon die Rede ist. Selbst Evelyn Herlitzius konnte an ihren besten Tagen nicht zu derart raumfüllenden Ausbrüchen ansetzen und im nächsten Atemzug noch derart innige Piani hauchen. Bleibt nur zu hoffen, dass das 34-jährige Energiebündel sich nicht zu schnell verheizen lässt. Die Sieglinde hat Lise Davidsen bereits für sich erobert, eine Brünnhilde und eine Isolde können bitte noch etwas warten.
Offiziell geehrt wurden allerdings andere. Obwohl Staatsoperndirektor Roščić in seiner Laudatio prophezeit hat, dass auch sie bald einen Ehrentitel tragen werde, waren erst mal andere dran: Bassbariton Bryn Terfel und Simone Young, die, man glaubt es kaum, bereits seit über 25 Jahren mit der Wiener Staatsoper verbunden ist.
1993 hat Young im „ersten Haus am Ring“ debütiert. Als erste Frau, die überhaupt am Pult der Wiener Staatsoper gestanden hat. Ein „mutiger Schritt“, der dem damaligen Direktor Ioan Holender zu verdanken ist, wie Roščić lobend erwähnte. Nun hat sie die höchste Auszeichnung erhalten, die es an der Wiener Staatsoper gibt: Simone Young wurde die Ehrenmitgliedschaft der Wiener Staatsoper verliehen.
Der Dritte im Bunde war Bryn Terfel. Ebenfalls mehr als nur verdient, darf auch er jetzt die Insignien der Macht vor seinem Namen tragen: Kammersänger oder besser – KS Bryn Terfel. Ein Name, den alle Anwesenden nun auch richtig aussprechen können: „Bryn Terwel“, mit W, wie Roščić betonte. Während der Waliser zuletzt als Holländer und Scarpia nicht wirklich überzeugen konnte, saß als Balstrode wieder alles sattelfest: Ausdruck, Bühnenpräsenz und vor allem – das tiefe Register.
Nebengeräusche und Vogelgezwitscher vor der Oper: Ioan Holenders Auftritt
Für alle, die gerne Mal Opernluft schnuppern wollen – und zwar günstig: Von so wenig Andrang haben Generationen am Stehplatz vermutlich nur geträumt. Hätte man vor einigen Dekaden so Größen wie Luciano Pavarotti und Renato Bruson zu Kammersängern ernannt, wären unmittelbar vor Einbruch der Dunkelheit keine Kriege zu gewinnen gewesen.
Der Anblick am Mittwoch hingegen: Mal wieder ein Trauerspiel. Mit geschätzten fünfzig Personen, die rund 90 Minuten vor der Vorstellung in Reih und Glied standen, ein frustrierendes Erlebnis. Vor Corona hatten sich hier meist Hunderte von Opernfans getummelt, um an Karten zu gelangen. Letzten Endes waren es zum Glück allerdings mehr. Wenn auch alles andere als ausverkauft, war die Wiener Staatsoper zumindest gut gefüllt.
Von vergangenen Zeiten könnte Ioan Holender, der Mittwochabend ebenfalls anwesend war, auch ein Lied singen. Die Rolle des Statisten schien ihm allerdings nicht bekömmlich. Während Laudatorin Andrea Mayer, ihres Zeichens Kunst-und Kulturstaatssekretärin, lange – teils zu lange – Reden schwingen durfte, blieb Holender auf der Bühne nur die Rolle des Pantomimen.
So grimmig gestimmt wie im Anschluss der Ehrungen, kennt man die „graue Eminenz“ aus TV und Rundfunk gar nicht.
Jürgen Pathy (klasssikpunk.de), 04. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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