Pene Pati – Pavarottis Stimme lebt

Gaetano Donizetti, Anna Bolena,  Wiener Staatsoper, 22. Februar 2022

Foto: Diana Damrau und Pene Pati © Michael Pöhn

Wiener Staatsoper, 22. Februar 2022
Gaetano Donizetti, Anna Bolena

von Jürgen Pathy

Pavarotti ist zurück. Zumindest könnte man das meinen, würde man die Augen schließen und nur zuhören. Dessen waren sich viele einig, die am Dienstagabend geduldig vor dem Künstlerausgang der Wiener Staatsoper warteten, um einige Autogramme zu erhaschen. Dabei war es gar nicht Pene Pati, dessen Timbre dermaßen an den unsterblichen Luciano Pavarotti erinnert, sondern Diana Damrau, weswegen die meisten ins bedeutendste Opernhaus der Welt gepilgert waren. Beinahe allerdings, hätte der junge Samoaner der ultimativen „Königin der Nacht“ die Show gestohlen.

Mad Scene À la carte von Diana Damrau

Dass dies letztendlich doch nicht geschah, hat vor allem zwei Gründe. Erstens, weil die enorme sängerische Vielfalt, mit der die Damrau alle Gefühlsregungen von Liebe bis hin zum Wahnsinn darzustellen vermochte, eine enorme Steigerung widerfuhr. Und zweites, weil man sich kaum vorstellen kann, dass ihr in puncto schauspielerischer Gestaltung, auch nur irgendjemand das Wasser reichen könnte. Kaum zu glauben, dass man hier noch etwas draufpacken könnte. Einige Zuschauer meinten, das wäre bei einer der vorhergehenden Vorstellungen nämlich gar der Fall gewesen.

Seit 12. Februar gastierte die zweifache Mutter und weltweit führende dramatische Koloratursopranistin in der Titelpartie von „Anna Bolena“ an der Wiener Staatsoper.

Diana Damrau © Jiyang-Chen

Wo die Damrau ihre Mitstreiter vor allem in die Schranken verwies, war der zweite Akt. Insbesondere der ausdrucksstarke Teil, der im Grunde fast schon der Wahnsinnsszene aus „Lucia di Lammermoor“ gleicht. Großer Unterschied nur: Dort erwarten sich alle ein dreigestrichenes Es – in der Partitur steht davon zwar weit und breit nichts, aber es hat sich eingebürgert. Bei Donizettis „Anna Bolena“ hingegen, fällt die ganze Tonlage ab dem 2. Akt teilweise doch eine ganze Hausnummer tiefer. Fast schon wägte man sich im Mezzofach, als die Damrau plötzlich statt in heller Robe, im dunklen Kleid die Bühne betrat und in den prächtigsten Stimmfarben einen mit auf die Hochschaubahn der Emotionen riss.

Pavarottis Reinkarnation 

Ganz anders sieht das vom Stimmumfang schon bei der Partie des Lord Riccardo Percy aus. Als Ex-Liebhaber, der von König Heinrich VIII. wieder an den Hof gerufen wird, um seine Frau des Betrugs zu überführen, reicht es da sogar hinauf bis zum hohen D (d“). Dass das nicht so raumfüllend saß, wie man es sich wünschen würde, ist nicht weiter schlimm. Ebenso wenig, dass Pene Pati, so der Name des Tenors aus Samoa, nicht von Anbeginn mit feinstem Belcanto dienen konnte. Entschädigung folgte nämlich alsbald.

Pene Pati, ein junger Stern aus dem Südpazifik © Mark Leedom

Während schöne Phrasen und Legatokultur anfangs noch dezent im dunkel tappten, zündete der Belcanto-Turbo plötzlich mittendrin. Was genau allerdings mitten im 1. Akt zu dieser überraschenden Initialzündung beigetragen hatte, bleibt Spekulation. Ebenso, wieso sich Pene Pati so lange Zeit gelassen hatte, Lucianos Farben endlich von der Leine zu lassen. Vermutlich dürfte es alles Mögliche gewesen sein: Mangelhaftes Einsingen, Nervosität und eine noch nicht derart ausgereifte Stimme, wie die des späten Pavarotti. So oder so. Für alle, die den großen Luciano Pavarotti niemals live erleben durften, ist Pene Pati ein großer Segen. Das steht felsenfest!

Von A bis Z hervorragend besetzt

Der „Rest“, ohne das despektierlich zu meinen, war ebenso bemerkenswert. Ganz vorne mit dabei, wenn auch keine so große Partie, Ensemblemitglied Szilvia Vörös als Smeton, die mit ihrer Alt-Arie „È sgombro il loco“ die ersten Gänsehautmomente bescherte. Um nichts weniger voll in seinem Element, der junge Bassbariton Nicholas Brownlee als König Heinrich VIII., der letztendlich den Kopf seiner Anna fordert, den er zugunsten seiner Gespielin Giovanna Seymour eintauscht. Mit der Mezzosopranistin Ekaterina Semenschuk war diese große dramatische Rolle mehr als nur ausgezeichnet besetzt.

Warum der Schlussapplaus dann so verhalten ausfiel, bleibt unverständlich – beinahe schon eine Frechheit. Vielleicht mag es daran gelegen haben, dass tagespolitische Themen eher im Mittelpunkt gestanden haben als das hinreißende Meisterwerk Donizettis. Oder vielleicht auch die Frage, ob die Partie der „Jane Seymour“ auch dem geschichtlichen Vergleich standhalten könne. Zumindest hatten das drei konservative, junge Gentlemen, die auf der „Stehplatzgalerie“ thronten, im perfekten British-Englisch während der Pause diskutiert. An der unfassbaren Gestaltung der Diana Damrau, die hier all ihr Können in die Waagschale geworfen hatte, kann es ja nicht gelegen haben. Ebenso nicht an Pavarotti Junior oder Giacomo Sagripanti, der fast alle behutsam durch Donizettis Belcanto-Wogen führte.

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