Staatsoper Hamburg, 11. Februar 2018
Gioachino Rossini, Il Barbiere di Siviglia
Von Birgit Kleinfeld
Passte die Dramatik des „Eugen Onegin“ am Samstag perfekt zum trüben Wintergrau, so ließ Gioachino Rossinis „Il Barbiere di Siviglia“ am Sonntag die spanische Sonne in den Gemütern der Zuschauer aufgehen. Rossinis Musik ist von den ersten Klängen der Ouvertüre an bis zum letzten Ton des vor Lebensfreude überschäumenden Finales ein Garant für gute Laune. Das vorwiegend junge Ensemble, darunter nicht weniger als fünf Rollendebütanten, tat ein weiteres.
Allen voran die Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina in der Rolle der kecken Rosina. Durch ihre natürliche, frische Spielweise gelingt es ihr, dass sogar wir „Alten“ uns mit dem Mündel eines aus Geldgier zur Heirat mit ihr entschlossenen alten Mannes, das sich in einen unbekannten Verehrer verliebt, identifizieren. Bilder an die eigene Jugend, die eigene, unschuldige Unbeschwertheit werden wach. Nadezhda Karyazina ist eine junge Sängerin, die durch ein beeindruckendes Stimmvolumen fasziniert und eine Palette von Tonfarben ihr eigen nennen darf, die jedem Kunstmaler Ehre machen würde. Nur wer sie schon in anderen Rollen genießen durfte, bemerkte vielleicht, dass sie etwas weniger kraftvoll klang als gewohnt. Und auch dies sicher nur, weil sie ein Sprecher der Staatsoper als nicht gesund ankündigte. Sie sei, wie er es ausdrückte „ebenfalls ein Opfer der allgemeinen Erkältungs- und Grippewelle“. Alleine schon die Tatsache, sich krank auf die Bühne eines vollbesetzten Theaters zu stellen, verdient hohe Anerkennung.
Mehr als nur einfache Anerkennung gebührt auch Alexey Bogdanchikov in der Titelrolle, der in dieser Aufführung auf angenehmste Weise überraschte. Der stimmlich stets verlässliche Sänger, dessen warmtönendem Bariton es nur manchmal an einer gewissen Eindringlichkeit fehlt, fiel bisher stets durch eine eher farblos zaghafte Darstellungsweise auf. Einzig sein Onegin vor zwei Jahren brachte neben stimmlichem Können auch weniger dezent als sonst seine darstellerischen Fähigkeiten ans Licht.
Gestern jedoch schien endlich der Knoten geplatzt zu sein, der ihm bisher den Zugriff auf seine schauspielerische Ausdruckskraft verwehrte.
Bogdanchikov sprühte regelrecht vor Spielfreude und in den wichtigen Passagen vor beinahe unbändiger Stimmkraft. Dieser Barbier verlangt zurecht: „Largo al factotum!“, was stets übersetzt wird als „Ich bin das Faktotum“ jedoch eigentlich “Platz dem Faktotum!“ heißt. Er sprang, scherzte, kletterte auf Stühle und schien ganz in dieser Partie aufzugehen. Möge es in den anderen, ernsteren Rollen so weitergehen!
Die sichtliche Freude über sein gelungenes Debüt lockte den sonst so zurückhaltenden Sänger sogar vor dem Vorhang aus der Reserve: Er strahlte und machte sogar Luftsprünge.
Aber nicht nur er konnte stolz auf seine Debütleistung sein. Auch Oleksiy Palchykov als Graf Almaviva. Sein Ständchen an Rosina „Ecco ridente in cielo“ (Sieh schon die Morgenröte) klang noch ein wenig angestrengt, doch nach und nach verflüchtigten sich jegliche Anzeichen von Anspannung und Lampenfieber, sodass sein sehr heller lyrischer Tenor sich frei und zur Freude des Publikums entfalten konnte. Darstellerisch malte er uns zu Beginn ein lebendiges Bild der Feudalherren des 18. Jahrhunderts. Seine Arroganz und Überheblichkeit den Musikern gegenüber waren genauso köstlich anzusehen wie seine Darbietung als betrunkener Soldat oder nerviger Musiklehrer – und auch als Verliebter machte er eine überzeugende Figur, die seufzen ließ.
Doch wie so oft bei Rossini, der den Tenören gerne schwer zu bewältigende Koluraturen auferlegte, die Palchykov jedoch meisterte, sind es die tieferen Männerstimmen, für die der Komponist die „Absahnerollen“ schuf. Hier sind es der geldgierige Alte Dr. Bartolo und sein Freund, der intrigante Don Basilio. Als Bartolo brillierte der Bariton Renato Girolami. Mit jedem Ton, jeder Geste zeigte der Älteste unter den Darstellern dieser Aufführung, dass er zu Recht als Spezialist für Rossini gilt. Sein Bartolo ist genau die Art Kauz , die wir auf der Bühne so lieben: Er lässt uns über seine Tölpeligkeit und darüber, dass er am Ende der Angeschmierte ist, schamlos lachen und gleichzeitig seine tiefen wie hohen Töne seiner Arie „ A un dottor della mia sorte“ (Einen Doktor meinesgleichen) genießen.
Oft wurde und wird auch der Bartolo von einem Bass interpretiert. Gestern nun war Alexander Roslavets als Don Bassilio der einzige in dieser Simmlage und beendete seine „Verleumdungsarie“ mit sichtlicher Freude mit einem so hohen Ton, der ganz sicher nicht ins Repertoire eines Basses gehört. Auch er, der dritte Debütant an diesem Nachmittag, schäumte schier über vor Spaß am Spiel mit Rolle und Stimmmöglichkeiten. Jeden Augenblick schien ihm der Schalk des Schelms im Nacken zu sitzen.
Und nicht nur ihm. Nach anfänglichen Unsicherheiten, die sich auch darin zeigten, dass der Souffleur im ersten Akt öfter als sonst zu hören war, lautete das Motto auf der Bühne, im Graben und im Saal: Spaß haben! Genießen! Bei den Herrschaften auf Bühne kam – natürlich – auch noch der Wunsch dazu, etwas Gutes zu bieten, was besonders den Darstellern vollends gelang. Auch den beiden Debütanten: Jóhann Kristinsson, Bariton und Mitglied des Opernstudios als dienstbeflissener Fiorillo. Der Isländer ließ vom ersten Ton an aufmerken und macht neugierig auf all die anderen kleinen Partien, die für ihn in dieser Spielzeit noch folgen werden. Die Sopranistin und Stipendiatin der Daegu Opera House Foundation, Soomin Lee, stand zum ersten Mal als Haushälterin Berta auf der Bühne der Staatsoper Hamburg. Auch sie hat noch viele weitere Auftritte in diesem Jahr.
Alles in allem war es ein Nachmittag, an dem alle Darsteller verdienterweise umjubelt wurden. Außerdem wurde mit der Inszenierung von Gilbert Deflo (Regie) und Enzio Frigerio (Ausstattung) aus dem Jahr 1976 zum zweiten Mal an diesem Wochenende bewiesen, dass Gutes kein Verfalldatum hat. Zumindest nicht im Theater.
Birgit Kleinfeld, 12. Februar 2018, für
klassik-begeistert.de