Foto: Klaus Mäkelä © Daniel Dittus
Elbphilharmonie, 30. Mai 2022
Oslo Philharmonic
Klaus Mäkelä, Dirigent
Jean Sibelius
Sinfonie Nr. 1 e-Moll op. 39
– Pause –
Jean Sibelius
Sinfonie Nr. 6 d-Moll op. 104
Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 105
Zugabe:
Jean Sibelius
Valse triste / aus der Schauspielmusik zu »Kuolema« op. 44
von Harald Nicolas Stazol
Ich muss bei aller Begeisterung anmerken, dass mir niemand auf allen social-media-Kanälen so sehr aufgedrängt wurde wie dieser geniale Jungstar, der scheinbar alles hat: Jugend, Schönheit und Brillanz, gefundenes mediales Fressen von Print und online, von Facebook zu Instagram – nur, weil ich ihn wohl einmal gegoogelt habe. Umjubelt, bestürmt, wunderkindert er nun also vor sich hin.
Wenn sich das erfahrene Oslo Philharmonic diesem nun wirklich sehr jungen Mann hingibt – der nun zugegebenermaßen zu Bewegungen fähig ist, die ich zuletzt in meiner Studi-WG konnte, wenn ich mein Rennrad 5 Stockwerke hochtrug – (man ist ja nun wirklich gesetztere Herren und Damen am Pult gewohnt), dann wird es gute Gründe haben, die nicht nur Marketing sein werden – aber wie dieser Jüngling unter den Dirigenten sich hin- und herwirft, als gäbe es keine Bandscheiben, ist schon bewundernswert!
Und wenn dann einem noch der sibeliuseste aller Sibeliuse so sehr entgegendonnert, dass man an drei Paukisten glaubt, denkt man, Klaus Mäkelä, halte ein! Wir sind in Hamburg! Wir glauben es Dir ja!
Da ist es erst die Erste.
Man sieht Jean förmlich vor sich. Gott welche Verve! Aber das Werk erlaubt es auch.
„Ich habe Mäkelä vor kurzem in Cleveland gehört“ sagt der freundliche Vertreter für medizinische Instrumente aus Ohio gerade in perfektem Deutsch – nun fühlt man sich vollends kosmopolitisch – „mit Shostakovitch 10, ein Erlebnis“ – und ja, das ist er, zweifellos, aber manchmal überdeckt der Star, der Jungstar zumal, die Osloer Philharmonics, die sich offenbar noch in die Akustik des Hohen Hauses einfinden müssen – manchmal donnert es ein wenig zu sehr, und – man bezichtige mich nicht gleich der Gotteslästerung, aber die ersten Einsätze tasten sich noch etwas zögerlich heran, dieser alle Symphonien des großen Finnen umfassende Zyklus an drei Abenden – er ist ja gleichsam ein Nebenprodukt der Toneinspielung aller sieben, – eine achte gab es auch, aber die verbrannte Jean Sibelius im Garten und schwieg fortan, zumindest musikalisch. Nun, die sieben reichen völlig. Hier: Vielleicht zu viel, zu oft, und zu schnell.
In der Partitur der Ersten steht, Klaus, an entscheidender Stelle crescendo poco a poco (Symphonie No. I (I), S. 23 Dover Publications, New York) – und was Du, mein lieber Junge daraus machst…
Aber deine Osloer machen ja mit.
Pause. Was macht der Twen denn jetzt? Dem Orchester hinter der Bühne sagen, auf Finnisch natürlich: „Passt auf, Jungs, Mädels, das hat der Currentzis auch gerade erst gesagt: die Elphi kann unendlich leise sein. Aber laut ist manchmal zu laut?“
So oder ähnlich wird es gewesen sein, denn nun die Sechste, und da heißt es hinhören, und wenn man Karajan im Ohr hat und seine ja manchmal enervierende Werktreue, dann hat das, was da vom Oslofjord kommt, schon Pop-Züge. Aber die Zügel zog ja schon Esa-Pekka Salonen an, als er ähnlich jung war, und es macht ja auch Spaß – und hiermit danke ich dem finnischen Bildungssystem.
Die siebte, eine einzige Apotheose, fast ein langes, schönes Gleiten ins Jenseits, da aber läuft der Weltstar zu voller Form auf, sodass man versucht ist, ihm ein „gedenke, Du bist nur ein Mensch“ hinter seine grünen Lorbeerohren zu flüstern – manchmal ist der Cäsarenwahn vorprogrammiert, aber ich traue seinen getreuen Begleitern schon zu, dass sie ihn auf dem Boden halten, wenn er gerade mal wieder abhebt, so wie jetzt.
Timo Valtonnen, ein Studienfreund, kam aus Finnland. Er lobte, jedes Mal, wenn wir im Univiertel an einem dieser alten, bauchigen, rostigen SAAB vorbeikamen: „Auch bei minus 35 verlässlich!“
Er, der junge Organist, hatte über 60 Kilometer von den Gehöften allerorten in Eiseskälte seinen Chor zusammengeholt – so tief waltet in der finnischen Seele die Musiktradition.
Ich, er, und meine Partitur warten heute Abend nun auf die 2.
Riesenapplaus für Klaus am ersten Abend.
Harald Nicolas Stazol, 31. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Oslo Philharmonic Klaus Mäkelä, Dirigent Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 22. Mai 2022
Sommereggers Klassikwelt 105: Jean Sibelius‘ bewegtes Leben, klassik-begeistert.de