Foto: Piotr Beczała ©
Liebe Leserinnen und Leser,
das erste Mal in der Geschichte von klassik-begeistert.de hat ein Weltstar – der Pole Piotr Beczała – dem größten Blog für klassische Musik in Deutschland, Österreich und der Schweiz über seine Agentur mit einem Anwalt gedroht, sollte klassik-begeistert.de Passagen eines Beitrages unserer geschätzten Autorin Sandra Grohmann nicht entfernen.
Er erschien am 28. August 2022 unter dem Titel
„Himmlische Aida trotzt patzendem Tenor“.
Wir veröffentlichen ihn heute wieder, denn er ist gut, richtig und wahr.
Lesen Sie bitte, was die Mitarbeiterin von Beczałas Agentur klassik-begeistert.de schrieb (Judith Neuhoff von Centre Stage Artist Management, Berlin).
Sie zitiert aus unserem Beitrag und markiert kursiv:
„Die berühmte Arie Celeste Aida wird man, gemessen an den Standards, die bei den Salzburger Festspielen erwartet werden dürfen, an diesem Abend getrost als verpatzt bezeichnen dürfen. Unausgegorene Dynamik trifft auf gelegentliche Krächzer: (…)“
Dann weiter:
„Selbstverständlich steht Frau Grohmann ihre subjektive Meinung zu Piotr Beczałas Darbietung zu.
Objektiv (und nachweislich!) nicht korrekt sind jedoch die Behauptungen, die Arie sei „verpatzt“ gewesen und es habe „unausgegorene Dynamik“ und „Krächzer“ gegeben. Diese Aussagen sind nicht nur falsch sondern auch rufschädigend. Herr Beczała möchte Sie daher zunächst höflich bitten, die entsprechenden Passagen von Ihrer Website zu entfernen. Ansonsten sieht er sich leider gezwungen, die Angelegenheit seinem Anwalt zu übergeben. Ich würde mich jedoch freuen, wenn wir dies anders lösen könnten.“
Liebe Frau Neuhoff: Bitte präsentieren Sie uns „objektive“ und „nachweisliche“ Beweise, die gegen das Hörempfinden unserer Autorin sprechen. Ich selbst habe als Herausgeber Herrn Beczała in den vergangenen 6 Jahren mehr als ein Dutzend Mal gehört. Nur bei einem einzigen ! Auftritt hat er fehlerfrei und vollkommen ungepresst, nicht teilweise eng und somit immer frei und schön gesungen, ansonsten zeugt seine Stimme von zunehmender Beanspruchung und Überlastung, was nicht unüblich ist, wenn man im Alter von 55,5 Jahren noch an den größten Häusern der Welt als Tenor singt und sehr viel unterwegs ist. Als Sänger zweier der besten deutschen Chöre darf ich anmerken, dass Herr Beczała sich des öfteren nicht hinreichend einzusingen scheint vor den Auftritten, was in seinem Alter um so wichtiger wäre. Denn meist ist seine Stimme nur anfangs nicht optimal in Form – wie auch bei „Aida“ in Salzburg.
Dies war also alles andere als eine unzulässige Schmähkritik.
Interessant wird es, wenn man einen Blick auf Piotr Beczałas Homepage wirft. Unter News präsentiert er eine Auswahl von Kritiken. Auch dort ist von anfänglicher „Nervosität und leichten Unsicherheiten“ zu lesen, gar von „fahrigem Beginn“. Ja, solche Passagen stellt Herr Beczała auf seine Homepage!
Unsere Autorin Sandra Grohmann hingegen konstatiert auch Herrn Beczalas STÄRKEN: „dieser Auftakt etwas mit dem restlichen Abend – während dessen sich glücklicherweise auch der Tenor beträchtlich steigerte … „
Lieber Herr Beczała, auch da ich Sie und Ihr schönes Vaterland sehr schätze, und sogar ausreichend Ihre Sprache spreche: Wir bei klassik-begeistert.de lassen uns als freie Menschen (Sie haben den Umbruch in Polen erlebt) den Mut zur Meinungsfreiheit nicht nehmen. Wir haben Sie als Mensch und Künstler immer respektvoll behandelt, und wenn Sie beim wichtigsten Klassik-Festspiel der Welt halt mal schlecht die schönste Arie des Abends singen, dann lassen wir uns von IHNEN den Mund nicht verbieten. Niemals!
Pressefreiheit ist auch im Kulturbereich ein hohes Gut!
Dzienkuje bardzo i dobranoc,
Andreas Schmidt, Herausgeber
Unsere Autorin Sandra Grohmann ergänzt zur Arie Celeste Aida, gesungen von Piotr Beczala: „Es mag ja sein, dass manchem das hohe B als Kopfton gefallen hat. Mir war es zu dünn – genau wie das Pianissimo: Das war in meinen Ohren keine zärtliche Liebesarie, sondern eine schwächelnde Stimme, die dem dramatischen Fach nicht gewachsen ist, jedenfalls nicht ohne weiteres Training. Dass man, wie Alfredo Kraus, auch in hohem Alter noch fanstastische (lyrische) Partien abliefern kann, steht außer Frage. Aber dass man sich ins dramatische Fach zwingt, muss nicht von allen goutiert werden.“
Salzburger Festspiele 2022
Großes Festspielhaus, Salzburg, 27. August 2022
Giuseppe Verdi
Aida
Alain Altinoglu Musikalische Leitung
Shirin Neshat Regie und Video
Tatyana van Walsum Kostüme
Felice Ross Licht
Dustin Klein Choreographie
Elena Stikhina Aida
Ève-Maud Hubeaux Amneris
Roberto Tagliavini Il Re
Piotr Beczała Radamès
Erwin Schrott Ramfis
Luca Salsi Amonasro
Flore Van Meerssche Una sacerdotessa
Riccardo Della Sciucca Un messaggero
Wiener Philharmoniker
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
von Sandra Grohmann
Um den einzigen Wermutstropfen des Abends vorwegzunehmen, bevor wir uns in Superlative beamen: Die berühmte Arie Celeste Aida wird man, gemessen an den Standards, die bei den Salzburger Festspielen erwartet werden dürfen, an diesem Abend getrost als verpatzt bezeichnen dürfen. Unausgegorene Dynamik trifft auf gelegentliche Krächzer: Wenn man Piotr Beczala wenigstens den Schmelz abgekauft hätte, wenn irgendein noch so kleines Gefühl sich außerhalb des obligatorischen Dackelblicks gezeigt hätte, dann hätte dieser Auftakt etwas mit dem restlichen Abend – während dessen sich glücklicherweise auch der Tenor beträchtlich steigerte – zu tun gehabt. So ließ er Schlimmes befürchten.
Nachdem die Befürchtungen auch durch die Regie führende Fotografin und Videokünstlerin Shirin Neshat selbst angestachelt worden waren, indem sie angekündigt hatte, nun stärkere Botschaften zu senden als vor fünf Jahren (wo sie noch Sorge gehabt habe, die Zuhörer optisch zu überwältigen), und nachdem hinter mir zu allem Überfluss eine Familie Platz genommen hatte, die mit Unruhe und Flüstereien der Bühne Konkurrenz machte, sank die Erwartung an den Abend innerhalb der ersten zehn Minuten auf einen Tiefpunkt.
Wie gut, wenn man sich von solchen Voreinstellungen nicht gefangennehmen lässt. Denn es kam alles ganz anders.
Erster Stern des Abends: Amneris, gesungen von Ève-Maud Hubeaux. Eine Stimme wie eine Umarmung, warm, dunkel, erotisch, mit großer Souveränität eindringlich geführt; wer sich dem nicht sofort hingibt, ist selber schuld. Gepaart mit einer im Wortsinne überragenden Bühnenpräsenz (war sie wirklich größer als die Truppe oder trug sie Plateauschuhe? Das war angesichts der langen Kleider übrigens immer gleichen Schnitts, doch unterschiedlicher Farbe, nicht zu erkennen): Schon dies ein Grund zum Feiern.
Weiterhin der bewährte Roberto Tagliavini als König, immer gern gehört und auch an diesem Abend mit einer Darbietung zum Schwelgen. Hach! Leider keine ausufernde Rolle.
Und schließlich, zum Niederknien, die Himmlische persönlich. Besagte celeste Aida. Die Frau, die die Bühnen im Sturm erobert und die, wie auch das sich abzeichnende Repertoire zeigt, das Zeug zur Assoluta hat: Elena Stikhinas Gesang spricht im Innersten an. Nicht allein mir kommen, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß, die Tränen. Es ist kein veristischer Schnickschnack, kein Overacting, kein Schreien zu verzeichnen. Was Elena Stikhina zu Gehör bringt, geht nicht bloß zu Herzen. Es ist auch nicht einfach Schöngesang, wobei sie die Stimme perfekt beherrscht, fein moduliert, Tontreppen so leicht hinauf- und hinabspringt wie die Steinböcke die Felsvorsprünge der umliegenden Salzburger Hausberge. Die Steigerung ins Forte, dann subito piano – und was für eines. Das ist in der zugegeben hervorragenden Akustik des Festspielhauses so nah zu erleben, als sänge „die Stikhina“ neben uns.
Wir erleben Musik, die diese Stimmbeherrschung als selbstverständlich voraussetzt. Pures Gefühl in purem Gesang. So etwas habe ich (außer auf den überlieferten Callas-Aufnahmen) überhaupt noch nie gehört. Die Begleitung und ich waren im Himmel, und wir schweben auch viele Stunden später noch in höheren Sphären.
Wie schön, wenn niedrige Erwartungen enttäuscht werden. Auch auf die Regie trifft das zu. Anders als anderen Opernneulingen, deren Versuche mit der in Szene zu setzenden Musik schlicht nichts zu tun haben (man denke nur an Doris Dörries grauenhafte Turandot – steckt mir bis heute in den Knochen), gelingt Shirin Neshat das Wunder: Eine Aida frei von Kitsch, Exotizismen, Rassismen und Kriegsbegeisterung. Eine Aida ohne all das, was mich schon immer an dem ollen Schinken gestört hat.
Eine Neuinterpretation aber auch, die genau dies war: Eine Interpretation des Gegebenen, kein aufgesetztes Regietheater, für den die Oper bloß der mehr oder minder zufällige Anlass ist. Eine Auseinandersetzung insbesondere auch mit der Musik. Shirin Neshat weiß in diesem zweiten Anlauf – es handelt sich um die Neueinstudierung einer fünf Jahre alten Regiearbeit – genau, was sie tut. Die Sorge, mit ihren Bildern zu überwältigen, ist unberechtigt. Die Geschichte erzählt sie ohne Pomp in geradezu kammerspielartiger Intimität.
Dieser Lesart schließen sich die Wiener Philharmoniker unter Alain Altinoglu an. Nie zuvor habe ich ein Aida-Orchester derart zurückgenommen gehört. Alle Stimmen sind ausmodelliert, ohne laut zu werden. Selbst die Kriegsfeiern sind zurückgenommen und spiegeln so den Bruch, den der Krieg für alle Protagonisten mit sich bringt, auch musikalisch. Das ist Opera at its best: Ein Gesamtkunstwerk. Allen Sinnen erlebbar. Atemberaubend. Unvergesslich.
Sandra Grohmann, 28. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Aida, Abschluss der italienischen Opernwochen, Staatsoper Hamburg, 8. April 2022
Giuseppe Verdi, Aida, Christian Thielemann Semperoper Dresden, 9. März 2022
Die Autorin hat offensichtlich vor Salzburg nie Aida gehört/gesehen, denn eine Leontyne Price, Leonie Rysanek oder Mirella Freni kann man doch nicht vergessen und noch viele andere mehr (Liliana Molnar-Talajic). Die Callas wird sie wohl nur von Studioaufnahmen kennen, denn ihre beste Aida war wohl in Mexico City (ein Live- Mitschnitt belegt es) und die anderen von mir angeführten Damen konnte ich, Gott sei Dank, live in Wien und Salzburg hören!!!
Karl Bauer
Diese Bravourarie ganz am Beginn der Oper ist bekanntermaßen ein gefährlicher Stolperstein auch für erstklassige Sänger. Dass dies einmal Gegenstand eines Rechtsstreits werden könnte, hat wohl niemand geahnt. Die Zeiten sind hart, aber modern!
Dr. Lorenz Kerscher
Bin ziemlich überrascht! Nicht darüber, dass Piotr Beczała womöglich keinen guten Tag erwischt haben mag. Oder, dass er womöglich zu wenig Sorgfalt aufs Einsingen legen könnte. Sondern darüber, dass ein Sänger seines Formats zu solchen Mitteln greifen möchte – obwohl mich in der Klassikszene nichts mehr wundern sollte.
Mir ist schon so einiges zu Ohren gekommen. Dass etablierte Musiker alles in Gang setzen, um aufstrebende Karrieren zu zerstören. Dass die Szene, so blitzblank sie auch an der Oberfläche glänzen mag, tief im Inneren einem Haifischbecken gleicht, in dem einige nur darauf warten, den anderen zu zerfleischen. Letztendlich alles keine große Überraschung, wenn auch etwas ernüchternd.
Dass aber Piotr Beczała gewillt ist, wegen einer negativen Kritik solche Hebel in Bewegung zu setzen, haut mich schon noch aus den Socken. Da hätte ich mir mehr Größe erwartet!
Jürgen Pathy