Siegfried, Opernhaus Zürich © Monika Rittershaus
Nach gut drei Stunden Wagner-Feuerwerk scheint der Sieger des Abends in Stein gemeißelt. Klaus Florian Vogt lang erwartetes Siegfried-Debüt wird zum glorreichen Triumphzug des Dithmarscher Althornisten. Den Abend kann ihm wohl niemand mehr strittig machen… oder?
Siegfried, WWV 86C
Musik und Libretto Richard Wagner
Opernhaus Zürich, 5. März 2023
von Johannes Karl Fischer
Doch dann erhebt auf einem waldigen Fels sich Camilla Nylunds göttliche Leuchtkraftstimme. Und alles ist anders. Wie eine allmächtige Walhall-Göttin zieht diese Brünnhilde den ganzen Saal in ihren stimmlichen Bann. Das bislang etwas schleppende Orchester spielt plötzlich wie entfesselt, selbst ein sensationeller Siegfried kann nur noch wie ein Zwerg am Fuß des Felses zuschauen. Brünnhilde erteilt Siegfried die Lehrstunde der Liebe. Camilla Nylund erteilt der Opernwelt die Lehrstunde des Wagner-Klangs.
Es ist eine Sache, beim bereits vierten Hammer-Rollendebüt innerhalb eines Jahres das Publikum dermaßen umzuhauen. Gänsehautfeeling und atemloses Staunen am laufenden Meter. Doch diese Brünnhilde zündet gleich im ganzen Haus dem Wagner-Turbo. Ein musikalischer Wirbel fegt durch den Saal, mit voluminöser, allmächtiger Stimme reißt sie das Publikum in die Fluten der Wagner-Dramatik. Zürich wird zur Wagner-Mekka!
Nicht, dass man Klaus Florian Vogts sensationelles Siegfried-Debüt kleinreden sollte. Dem Bär (höchst amüsierend gespielt von Dominique Misteli) zu Beginn des Abends rennt er ebenso furchtlos hinterher wie den schwindelerregenden Spitzentönen seiner schier unsingbaren Rolle. Ganz nach Wotans Geschmack, nicht mit Gewalt – also bis auf das Schwingen seines Schwertes. Statt – wie etwa ein Andreas Schager – mit voller Lautstärke über das Orchester hinweg zu ballern beschallt er mit heller Stimme völlig mühelos und kunstvoll die sehr zahlreich erschienen Ohren im Saal.
Neben den beiden Hauptpartien feiert das Publikum auch Tomasz Koniecznys Wanderer mit haushohem Beifall. Zurecht: Sein kraftvoll, nasal-dämonischer Gesang bringt die Zwiespältigkeit der Rolle bestens zum Vorschein. Mit schwarzem Hut und schwerem Schritt wird der Bariton zum mysteriösen Strippenzieher des Abends. Schaffen tut er nicht viel, schaut zu, wie Siegfried Fafner erledigt und Mime erschlägt. Doch wo er sich zeigt, herrscht das Böse.
Sein Speer kann Siegfried keine Furcht einjagen, wohl aber sein ominöser Wissenswette-Auftritt Mime (Wolfgang Ablinger-Sperrhacke) Angst und Bange machen. Wahrhaftig erschüttert wirkt der Zwerg, als mitten in der tiefschwarzen Szene die donnernde Stimme des Wanderer-Wotans durch den Saal hallt. Mutlos ist er, doch nicht weniger machtbesessen als sein böser Bruder. Mit glasklarer Textverständlichkeit trägt der Charaktertenor auch die scherzhaft-ironische Seite dieser Rolle bestens. Die Kunst der Wagner’schen Poeterei erscheint im vollen Glanze!
Christopher Purves stimmstarker Alberich sowie Anna Daniks auch melodisch tiefdunkle Erda runden die triumphale Gesangsbesetzung des Abends aus. Als Waldvöglein flattert Rebeca Olveras Stimme ebenso flott wie ihre Flügel. Sie ist die strahlende Freude des zweiten Aufzugs, der erste Lichtblick in dem sonst bis dato eher düsteren Geschehens. Siegfried verführt sie zu seinen ersten Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht, eine logische Konsequenz dieser Handlung. Denn so erschrickt der freie Held nicht vor dem Anblick einer Frau, sondern vor der großen Liebe. Endlich macht Siegfried Sinn!
Allein wegen diesem sensationellen Sängerfest müssten auf dem Grünen Hügel alle Alarmglocken läuten. Doch da wäre noch eine geniale Inszenierung des Züricher Hausintendants Andreas Homoki. Mit schwarz-dunklen Szenen malt er das Ende – von Wotan ja schon seit einer halben Oper gewünscht – wortwörtlich an die Wände. Eine einsatzstarke Drehbühne lässt den Raum sichtlich zurzeit werden.
Keine Mülltüten-Meistersinger oder Ringe als Netflix-Serie. Er inszeniert einfach das, was Wagner komponiert hat. Samt einer kleinen kunstvollen Auffrischung ins 21. Jahrhundert. Nicht mehr und nicht weniger. Der Lohn: Lautstarker Beifall, nur ein Buh-Ruf tönt durch den Saal. Vielleicht teilt da auch jemand meine Auffassung zu Regie-Buhs? „Eine Inszenierung ohne Premieren-Buhs taugt nix“.
Wagner wäre kaum Wagner ohne seine einzigartige Orchestermagie. Jenseits einiger schleppenden Schmiedelieder kocht Gianandrea Nosedas Leitung im Graben eine köstliche Suppe an Klängen zusammen. Fünf Stunden lang versinkt man in magischen Leitmotiven, wird von allen Seiten mit blechigen Bläsern und magischen Streicherzauber beschallt. Der feurige Schlussakkord hat nur eine logische Konsequenz: Laute Bravo-Stürme. Auch hier tönt eine Missfallensäußerung durch den Saal. Vielleicht ein Ehren-Buh-Ruf?
Am Ufer des Zürichsees – unweit der Villa Wesendonck, in der ein Großteil des Rings erstmals zu Partiturschrift kam – wird Wagner-Aufführungsgeschichte geschrieben. Klaus Florian Vogts sensationelles Siegfried-Debüt muss sich einer krönenden Camilla Nylund – übrigens auch Rollen-Debütantin – geschlagen geben. Baden gehen in einem sensationellen Gesamtkunstwerk. Das kann Bayreuth nicht.
Johannes Karl Fischer, 6. März 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner: Siegfried (version concert) Philharmonie Luxembourg, 11. Februar 2023
Ringzyklus 2: Siegfried und Götterdämmerung Semperoper Dresden, 8. und 10. Februar 2023