Bayreuth Baroque, Bruno de Sá © Bayreuth.media
Bruno de Sá mit einem Arienprogramm beim Bayreuth Baroque Opera Festival
Bayreuth, Ordenskirche St. Georgen, 14. September 2023
von Kirsten Liese
Ist das wirklich ein Mann, der so zärtlich anrührend mit kristallinen Silbertönen sein Publikum betört? Der sich in die allerhöchsten Spitzen eines Koloratursoprans hinaufschwingt, mühelos und schwerelos, als wär’ es ein Kinderspiel? Das ist doch unglaublich, sagt jemand im Publikum neben mir. Und das ist es in der Tat. Der Brasilianer Bruno de Sá ist ein Phänomen.
Für ihn war es ein persönliches Glück, dass er schon in seiner Jugend früh an einen Lehrer geriet, der sein spezielles, bis dahin gar nicht existentes Stimmfach entdeckte. Seit seinem vierten Lebensjahr singt de Sá. Einen männlichen Sopran gab es bis dahin nicht, ein Mann mit einer hohen Stimme war unweigerlich ein Countertenor. Aber Bruno de Sá ist eben kein Counter, er hat tatsächlich eine Sopranstimme, die sich von einer weiblichen in Nichts unterscheidet. Das ist etwas fundamental Anderes als ein Counter.
Inzwischen gibt es noch weitere Sopranisten, aber de Sá darf sich wohl zu den bekanntesten und profiliertesten zählen.
Als indische Königin war er im vergangenen Jahr beim Bayreuth Baroque der umjubelte Star in Leonardo Vincis Alessandro nell’Indie. Zu seinem Recital in der St. Ordenskirche ist es, wen wundert’s, rappelvoll. Die erweist sich mit einem Innenraum von barocker Pracht als der denkbar schönste Ort für ein solch intimes Konzert, noch dazu, weil wie weiland im 18. Jahrhundert bei reinem Kerzenlicht musiziert und gesungen wird. Es ist also ziemlich dunkel in der Ordenskirche, das sorgt für eine ganz besondere, einmalige Stimmung.
Und mit dem nuovo barocco hat de Sá ein vorzügliches, ebenbürtiges Originalklangensemble zur Seite, das ungemein enerviert musiziert, besonders in den rein instrumentalen Stücken von Scarlatti, Durante oder Traetta. Mit großem Feuer führt Dimitris Karakantes das Ensemble an, sein starkes Temperament erfasst seinen Körper bis zu den Füßen, mal mit der Hacke, mal mit der Spitze, mal mit dem ganzen rechten Fuß stampft er beim Spielen auf.
Und Bruno de Sá? Er gibt einen hoch virtuosen Divo, der mit seinen atemberaubenden Koloraturen in höchsten Registern die Menschen staunen lässt wie in Händels Zeiten die Kastraten Senesino oder Farinelli. Auch sein Auftritt ist ein sehr körperlicher, zeitweise bewegt er sich zu markanten Rhythmen wie ein Rockmusiker, der enorme Drive der Musik turnt ihn an.
Immer noch höher schraubt er sich hinauf, ob nun in einer Arie von Leonardo Vinci (nicht zu verwechseln mit dem Maler Leonardo da Vinci) oder von Johann Adolph Hasse. Schlafwandlerisch sicher entströmen die Kaskaden seiner Kehle, in aller Schlankheit führt er seinen Sopran in den Olymp.
Vor unschönen, kehligen Vibrati verschont er uns, lediglich die eine oder andere Schärfe schleicht sich in den einen oder anderen Schmerzensschrei ein.
Die größten Momente beschert der Gesangskünstler, wenn er auf einem Ton bis zum dynamischen Höhepunkt anschwillt, den Spitzenton hält und wieder ins Piano zurückgeht. Da vernimmt man puren Wohllaut, gepaart mit einem Wahnsinnsvolumen, zeigt sich die profunde Technik seitens Stütze, Atem und guter Stimmführung.
Bei allen Superlativen, mit denen der Brasilianer aufwartet: Am besten gefallen mir seine lyrischen Darbietungen, allen voran das Parto, ti lascio, o cara aus Nicola Porporas Oper Germanico in Germania. Da liefert er traumhaft schöne, silbern luzide Kopftöne ab, die selbst bei weiblichen Sopranen seit den Generationen Schwarzkopf, della Casa und Janowitz im Konzertsaal selten geworden sind. Ein Ton erblüht immer noch zärtlicher als der nächste, eine Phrase berührt immer noch stärker als die vorangegangene. Und die Pianotöne sind einfach ein Gedicht.
In dem letzten offiziellen Stück von Riccardo Broschi galt es einen anrührenden Zwiegesang mit der Barockoboe zu erleben, zutiefst beseelt und so in Farbe, Deklamation und Dynamik aufeinander abgestimmt, als musizierten Geschwister mit einem Herzen und einer Seele miteinander.
Die schönsten musikalischen Perlen von Georg-Friedrich Händel hatte sich de Sá für seine Zugaben aufbewahrt. Das begeisterte Publikum konnte sich gar nicht mehr einkriegen.
Kirsten Liese, 15. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Francesco Scarlatti: Sonata a tre
Leonardo Vinci: „Tu mi tradisti, ingrato“, Arie der Cunigunda aus der Oper „Gismondo, re di Polonia“
Giovanni Battista Pergolesi: „Splenda per voi sereno“, Arie der Sabina aus „Adriano in Siria“
Francesco Durante: Concerto Nr.2 in g-moll
Leonardo Vinci: „Prende ardire e si conforta“, Arie der Didone aus „Didone abbandonata“
Giuseppe Sellitto: „Ride il ciel“, Arie der Ismene aus „Siface“
Domenico Cimarosa: „Quelle pupille tenere“, Arie des Curiazio aus „Gli Orazi e I Curiazi“
Johann Adolph Hasse: „Lieto gioisci, o core“- „Nocchier che teme assorto“ , Rezitativ und Arie des Volusio aus „Cajo Fabricio“
Tommaso Traetta: Sinfonia aus Armida
Nicola Antonio Porpora: „Parto, ti lascio, o cara“, Arie des Arminio aus „Germanico in Germania“
Johann Adolph Hasse: Sinfonia a quattro op.5Nr.6
Riccardo Broschi: „Son qual nave“, Arie des Arbace aus „Artaserse“
CD-Rezension: Bruno de Sá, Roma Travestita klassik-begeistert 3. September 2022