Jenůfa in Stuttgart: Rosie Aldridge als Küsterin Buryja brennt mir mit einem überragenden Auftritt diesen Abend ins Gedächtnis

Leoš Janáček, Jenůfa  Staatsoper Stuttgart, 12. November 2023

Esther Dierkes (Jenůfa) © Martin Sigmund, Staatsoper Stuttgart

Jenůfa
von Leoš Janáček

Oper in drei Akten
Libretto von Leoš Janáček nach Gabriela Preissová
in tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Staatsoper Stuttgart, 12. November 2023

von Frank Heublein

In der Staatsoper Stuttgart wird Jenůfa von Leoš Janáček gegeben. An diesem Abend ist diese Oper in der Inszenierung Calixto Bieitos aus 2007 nach acht Jahren erstmals wieder im Haus zu sehen. Alle Hauptrollen sind Rollendebüts der Sängerinnen und Sänger.

Vor der Pause bin ich keineswegs hingerissen. Anfangs scheint mir das Staatsorchester Stuttgart etwas übermotiviert, denn Esther Dierkes als Jenůfa tut sich schwer, gegen den wuchtigen Orchesterklang stimmlich durchzudringen. Das reguliert sich im Laufe des ersten Akts. Nach der Pause dann passiert, was ich so schnell nicht vergesse.

Jenůfa von Leoš Janáček, Oper in drei Akten: Rosie Aldridge (Die Küsterin Buryja) (c) Martin Sigmund, Staatsoper Stuttgart

Mezzosopranistin Rosie Aldridge gestaltet die Küsterin Buryja musikalisch wie spielerisch atemberaubend. Jenůfa schläft, das Baby schreit und Buryja singt und spielt sich in den verrohenden Tunnel, der im Kindsmord endet. Zweifelnd. Verzweifelnd. Voller Energie. Temperamentvoll. Entschlossen. Lockend. In den Abgrund der Ausweglosigkeit schauend. Ihre kraftvolle Stimme singt all das in mein Herz. Ihr Spiel sticht all das in mein Herz. Mir läuft es kalt den Rücken runter. Sie empfängt den Kindsvater Števa, versucht ihn zur Annahme des Kindes und zur Hochzeit mit Jenůfa zu überreden. Scheitert. Was ist das Beste für die Ziehtochter Jenůfa, was ermöglicht ihr eine halbwegs gute Perspektive? Das ihr Sohn stürbe, er Jenůfa „befreit“. Aber er will nicht von allein, schreit vor sich hin. Buryja verrennt sich singend in den Wahn, der Tochter durch die Ermordung des Enkels zu helfen. Wahrhaftig, erschreckend nachvollziehbar, schmerzend perfekt präsentiert Rosie Aldridge die Buryja.

Jenůfa von Leoš Janáček, Oper in drei Akten: Elmar Gilbertsson (Števa Buryja), Esther Dierkes (Jenůfa) (c) Martin Sigmund, Staatsoper Stuttgart

Sopranistin Esther Dierkes singt und spielt die Titelrolle Jenůfa sehr gut. Die Figur verändert sich in der dargestellten Zeit in der Oper stark. Im ersten Akt gehört ihr die Bühne. Sie ist allerdings nicht das Opfer, sondern macht sich selbst dazu. Sexy lasziv ergreift sie aktiv Besitz von Števa. Der tändelt mit gleich mehreren anderen Frauen. Das lässt sich Jenůfa nicht bieten, wird leichtsinnig. Resultat: ein uneheliches Kind. Dazu entstellt Laca ihr aus Eifersucht schneidend das Gesicht. Im zweiten und dritten Akt ist sie mit ihrer klaren festen Stimme gerade in den leisen Passagen höchst präsent. Esther Dierkes vermittelt mir singend Jenůfas inneres Größerwerden, das Reifen und die Verfestigung eines starken Charakters.

Im zweiten Akt legt sie im Duett mit Tenor Matthias Klink als Laca nach dem Wahnsinnsauftritt der Aldridge eine anrührende Szene hin. Ein weiterer Höhepunkt des Abends. Laca tröstet Jenůfa über den Tod des Kindes hinweg. Sie ist von großer Nachdenklichkeit: „Ich hab mir das Leben ganz anders vorgestellt“. Das singt sie so, dass mir klar ist, sie weiß, sie hat Mist gebaut. Ihr Sohn tot. Und da kommt der Laca und will sie heiraten. Sie rät ihm ab. Das bringt Esther Dierkes toll auf einen eindrucksvollen Punkt: es ist nicht Selbstaufgabe. Sie kommt zurecht, doch Laca muss sich mit ihrem Leumund herumschlagen. Das soll er sich gut überlegen. Fürsorglich, an den Anderen und die Andere denkend. Durch Gesang ausgedrückte tiefe Verbundenheit. Überwältigend menschlich.

Tenor Matthias Klink als Laca ist der Heldentenor des Stücks. Er wird zum Helden durch die grausame Tat, seiner Liebe das Gesicht zu entstellen. Im zweiten und dritten Akt hält er zu ihr, unverrückt, stoisch stur, gegen alle Anderen und deren Ablehnung Jenůfas. Das drückt Matthias Klink stimmlich aus. Im ersten Akt forciert er an wenigen Stellen in meiner Hörwahrnehmung zu stark. Im zweiten und dritten Akt ist seine Stimme pure Energie. Sie entfaltet einen unsichtbaren Schutzschirm über Jenůfa.

Jenůfa von Leoš Janáček, Oper in drei Akten: Matthias Klink (Laca), Esther Dierkes (Jenůfa) (c) Martin Sigmund, Staatsoper Stuttgart

Nach dem dramatischen Höhepunkt im dritten Akt, ich könnte meinen, die Oper ist in einem bedrückenden Ende mit der Verhaftung der Küsterin aus. Sie hat den Mord am Kind gestanden. Doch es folgt – nach einer Generalpause – ein inniger Moment zwischen Jenůfa und Laca. „Was bedeutet die Welt, wenn wir uns gegenseitig trösten können? – Oh Laca, meine Seele, komm oh komm. Zu dir führt mich große Liebe.“ Nichts ist gut, aber beide wissen um das „in guten wie in schlechten Zeiten“. Esther Dierkes und Matthias Klink vermitteln mir diesen Satz, an den ich denken muss, in ihrem bravourösen Spiel wahrhaftig. Gemeinsam gestalten sie ihren Platz in der Welt. Leoš Janáček gibt die Zuversicht mit auf den Weg. Für Jenůfa und Laca. Und auch für mich als Teil des Publikums.

Das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung Marko Letonjas hält die dramatisch zerrissene Spannung des Stücks durchgehend aufrecht. Dabei ändern sich die musikalischen Methoden Leoš Janáčeks. Den ersten Akt empfinde ich durchgehend und zehrend getrieben. Dagegen wird Spannung im zweiten und dritten Akt durch Generalpausen erzeugt. Eindrucksvoll sind die Wechsel zwischen explosiven Momenten und nachdenklichen Passagen. Dramatisch wirken die Akte zwei und drei auf mich viel dichter als der erste, ich bin viel näher dran an allen Emotionen.

Eine Fabrikhalle ist der Handlungsort der Inszenierung Calixto Bieitos. Nach der Pause funktioniert diese Idee hervorragend. Trostlos duster umrahmt sie das Grauen, in das sich die Küsterin Buryja hineinsingt. Die „Lichtpause“ zwischen zweitem und drittem Akt wird klug genutzt zur Verdichtung der Figur der Buryja. Beim Umbau der Fabrikhalle zur Sportbekleidungsnähproduktion bleibt die Küsterin am vorderen Bühnenrand und wird gepeinigt durch das für mich als Zuhörer hörbare innere Hören der Schreie des durch sie getöteten Babys.

Dass gesamte musikalische Ensemble überzeugt mich. Rosie Aldridge als Küsterin Buryja überragt und brennt mir mit ihrem eindrucksvollen Auftritt diesen Abend ins Gedächtnis.

Frank Heublein, 13. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Programm

Jenůfa von Leoš Janáček

Besetzung

Musikalische Leitung   Marko Letonja
Regie   Calixto Bieito
Regie-Mitarbeit   Lydia Steier
Bühne   Susanne Gschwender
Kostüme   Ingo Krügler
Licht   Reinhard Traub
Chor   Bernhard Moncado
Dramaturgie   Xavier Zuber

Alte Buryja   Helene Schneiderman
Laca   Matthias Klink
Števa Buryja   Elmar Gilbertsson
Die Küsterin Buryja   Rosie Aldridge
Jenůfa   Esther Dierkes
Der Alte   Shigeo Ishino
Der Richter   Andrew Bogard
Seine Frau   Maria Theresa Ullrich
Die Tochter Karolka   Lucia Tumminelli
Schäferin   Jasmin Hofmann
Barena   Itzeli Jáuregui
Jano   Emilie Kealani                                          Tante / 1. Stimme   Karin Horvat                  2. Stimme   Kristian Metzner

Staatsorchester Stuttgart
Staatsopernchor Stuttgart

Blu-ray-Rezension: Leoš Janáček, Jenůfa klassik-begeistert.de 26. August 2022

DVD Blu-Ray Rezension: Leoš Janáček, Jenůfa, klassik-begeistert.de

Antonio Vivaldi, Juditha triumphans, Staatsoper Stuttgart, 12. März 2022

Ein Gedanke zu „Leoš Janáček, Jenůfa
Staatsoper Stuttgart, 12. November 2023“

  1. „Jenůfa 2023“ nur ein Riesenschatten der Premiere am 14. Januar 2007. Leandra Overmann war und bleibt die Große Gesetzgeberin für die Rolle der alten Buryja / Küsterin. Unvergesslich, gesanglich und mit einer gewaltigen Künstlerischen Leistung. Solche Vollblutsänger gibt es leider Gottes nicht mehr. Medienstars hat man genug, es muss das Geld um jeden Preis rollen. Und alles wird bejubelt, das Gute und vor allem das Schlechte. Jenůfa sang wunderbar Eva-Maria Westbroek. Die Overmann (die leider Gottes mit 55 Jahren starb), und Eva-Maria Westbroek harmonierten phänomenal, von der ersten Minute der Premiere. Das ganze Sänger-Team war wunderbar besetzt. R. Behle, F. van Aken, R. Very, und sogar die kleinen Rollen wurden mit hervorragenden Sängern besetzt, wie Y. Kakuta, T. Raj… Und es stimmte die Arbeit mit C. Bieito als Regie und Marc Piollet als Dirigent. Das war eine insgesamt fantastische Operninszenierung an der Staatsoper Stuttgart. Ich sagte schon, es war eine UNVERGESSLICHE Jenůfa. Und alle Vorstellungen waren ausverkauft. Man spürte als Gast und Zuschauer, damals unter Puhlmann, auf der Bühne eine Harmonie unter den Sängern, die so wichtig ist in einem Opernhaus.

    Jens Cabrajac

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