Der im Jahr 2013 mit knapp 90 Jahren verstorbene Dirigent Wolfgang Sawallisch war ein Ausnahmemusiker, was aufgrund seines bescheidenen Auftretens zu seinen Lebzeiten oft übersehen wurde. Liest man sich aber durch die Chronik seiner Tätigkeiten, so wird das ungeheuer breite Spektrum erkennbar, das er über viele Jahrzehnte abdeckte.
von Peter Sommeregger
Der gebürtige Münchner, Sohn eines Versicherungskaufmannes, musste während des 2. Weltkrieges als Soldat dienen und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Nach dem Ende des Krieges nahm er sein Musikstudium wieder auf, das er bereits 1946 mit dem Staatsexamen an der Staatlichen Hochschule für Musik in München abschloss.
Danach schlug Sawallisch den klassischen Berufsweg des Dirigenten ein, seine erste Stellung trat er 1947 als Korrepetitor und Kapellmeister am Stadttheater Augsburg an, später wechselte er an die Häuser von Aachen, Wiesbaden und schließlich Köln, wo er ab 1961 auch eine Professur der Dirigentenklasse innehatte. Ein großer Karriereschritt war seine Tätigkeit als Chef der Wiener Symphoniker, die er von 1960 bis 1970 ausübte.
In den Jahren 1957 bis 1962 wirkte Sawallisch zusätzlich bei den Bayreuther Festspielen, von den von ihm geleiteten Aufführungen erschienen Mitschnitte auf dem Label Philips. Seit 1964 reiste der Dirigent regelmäßig nach Japan, wo ihn bald eine enge Zusammenarbeit mit dem NHK-Symphony Orhestra verband. Die Musiker aller Orchester schätzten an Sawallisch seine große musikalische Kompetenz und seine exakte Schlagtechnik. Seine Interpretationen waren vielleicht nie spektakulär, dafür aber von einer tiefen Kenntnis der Werke geprägt.
Im Jahr 1971 übernahm Sawallisch als Nachfolger Joseph Keilberths das Amt des Generalmusikdirektors der Bayerischen Staatsoper in seiner Heimatstadt München. Zwei Jahre lang wirkte er gleichzeitig auch als Intendant des Hauses.
Wolfgang Sawallisch kam für sein Amt zugute, dass die drei musikalischen „Hausgötter“ Münchens, Mozart, Wagner und Richard Strauss auch zu seinen Lieblingskomponisten zählten. Ich persönlich habe Sawallisch in den Jahren bis 1992 unzählige Male in großartigen Aufführungen erlebt, er hob das Bayerische Staatsorchester auf ein konstant hohes Niveau, auch sein Kontakt zu den Gesangssolisten funktionierte ausgezeichnet.
Als ausgebildeter Pianist machte sich der Dirigent auch als Klavierbegleiter einen Namen, so nahm er mit u.a. Hermann Prey, Lucia Popp und Margaret Price Liedplatten auf, die bis heute immer neue Auflagen erleben.
Spät in seiner Karriere nahm er noch eine weitere Herausforderung an und amtierte von 1993 bis 2003 als Chef des renommierten Philadelphia Orchestra, dessen durch Eugene Ormandy und Leopold Stokowski geprägtes Klangbild ihm besonders zusagte.
Verheiratet war Wolfgang Sawallisch ab 1952 mit der Sängerin Mechthild Schmid, die für ihn auf eine eigene Karriere verzichtete. Sawallisch adoptierte den Sohn Mechthilds aus deren erster Ehe, gemeinsame Kinder hatte das Ehepaar nicht. Nach 46 Jahren Ehe starb Mechthild Sawallisch im Jahr 1998, einen Monat vor seinem Tod im Februar 2013 musste er noch den Tod seines Adoptivsohnes erleben.
Im Jahr 2003 hatte Sawallisch eine Stiftung in seinem Namen ins Leben gerufen, die sich der Förderung begabter junger Musiker widmet. Sitz der Stiftung ist Grassau im Chiemgau, wo Sawallisch einen größeren Landsitz besaß, der nach seinem Tod in das Stiftungsvermögen einfloss.
Die Liste der Auszeichnungen und Ehrungen, die Sawallisch während seines langen Lebens zuteil wurden, würde Seiten füllen.
Bereits zu seinem 100. Geburtstag im letzten Jahr wurde Sawallisch durch zahlreiche Wiederveröffentlichungen seiner Plattenaufnahmen gewürdigt, in diesem Jahr werden weitere Veröffentlichungen folgen. Wenn man ihn noch selbst am Pult erlebt hat, sind das auch schöne Reminiszenzen an große Abende in Oper oder Konzert. Eine eingehende Beschäftigung mit den Aufnahmen lohnt sich, Sawallisch war ein Vollblut-Kapellmeister der alten Schule im besten Sinne!
Peter Sommeregger, 1. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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