Auf den Punkt 42: Einfach mal klatschen, wo es nichts zu applaudieren gibt

Auf den Punkt 42: Einfach mal klatschen…  Laeiszhalle, 30. Januar 2025

© Claudia Höhne

Publikumsschelte ist so eine Sache, das überlässt man lieber anderen. Am besten Persönlichkeiten, die über jeden Zweifel erhaben sind. Dem deutschen Schauspieler und Schriftsteller  Curt Goetz (1888-1960) zum Beispiel. Der hatte einst beobachtet: „Das Publikum ist gütig. Es lacht sogar an Stellen, wo es gar nichts zu lachen gibt.“  Das passt perfekt zu  Elbphilharmonie und Laeiszhalle. Aber kann man wirklich nur Teile des  Publikums haftbar machen?

Wolfgang Amadeus Mozart / Konzert für Klavier und Orchester d-Moll KV 466

Dmitri Schostakowitsch / Sinfonie Nr. 10 e-Moll op. 93

Symphoniker Hamburg
Han-Na Chang / Dirigentin

Boris Giltburg / Klavier

Laeiszhalle, Großer Saal, 30. Januar 2025

 von Jörn Schmidt

Vor der Pause war die Welt noch in Ordnung. Obwohl düster und dramatisch angehaucht, quasi als Einstimmung auf das Hauptwerk, verbreitete Boris Giltburg mit seiner Lesart von Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 bereits eingangs liebevoll Hoffnung auf ein Happy End.

Das Publikum lauschte gebannt. Kaum Husten. Keine Gespräche. Gut, jemand hatte sein Getränk in den Saal geschmuggelt und zuweilen daran genippt. Aber, es hat niemand zwischen den Sätzen applaudiert. Mozartgenuss pur.

Boris Giltburg © Sasha Gusov

Dann aber, bei der 10. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch: Applaus nach dem 1. Satz Moderato. Andere Zuschauer schritten ein, wollten dem Applaus Einhalt gebieten. Nütze alles nichts. Nach dem Allegro: Erneut Applaus. Und nach dem Allegretto? Genau…

Aber wenn es doch so begeisternd war, wird mir mancher entgegen, warum sollte ich dann an mich halten? Die Künstler freuen sich doch bestimmt, wenn ich meine Gefühle mitteile? Nun, zumindest beim letzten Argument möchte ich widersprechen.

Zur Begründung hilft ein Blick ins Programmheft. Schostakowitsch, das ist „Angst in  Tönen“, wie Verena Großkreutz wunderbar getitelt hat. Es war die Angst des Komponisten in einer Diktatur, die kritische  Stimmen mit dem Tod bestraft.

Diese Angst ging so tief, sie machte den Komponisten krank. Finanzielle Einbußen bescherte ihm seine Arbeit auch. In der Sowjetunion gab es zeitweise ein Aufführungsverbot. Auch seine Lehrämter wurden ihm entzogen. Wie sich das anfühlt, darüber hat Julian Barnes einen großartigen kleinen Roman geschrieben. „Der Lärm der Zeit“ heißt das Buch.

Eine Episode beschreibt, dass Schostakowitsch zuweilen im Anzug schlief. Warum? Wenn man schon nachts verhaftet wird, dann möchte man nicht im Schlafanzug abgeführt werden. Das gibt keine schönen Bilder. Diese Angst hört und spürt man vom ersten Ton an. Wer es nicht herausgehört hat, hätte es im Programmheft lesen können:

Im mächtigen, finsteren ersten Satz brodelt es gefährlich, trotz moderatem Tempo. Die Kantilenen der Soloinstrumente kreisen: skeptisch, ziellos, traurig offenbaren sie Gefühle der Einsamkeit und des Leidens. Innere Unruhe ist durchgehend spürbar, wächst, kulminiert in grellen, dissonanten, insistierenden Verläufen samt militärischen Marschtrommeln, bis alles wieder in der Depression versinkt.“

Wenn Ihnen jemand so sein Schicksal schildert, würden Sie dann johlen und klatschen?

Nein, würde ich meinen. Nicht zwischen den Sätzen, und auch  nicht unmittelbar nach dem Ende der Sinfonie. Erstmal innehalten, verarbeiten. Vielleicht ein Gedanke an den Komponisten und sein Schicksal. Bei Mozart stimmte die Etikette noch. Wieso dann wirkten einige Zuschauer nach der Pause wie ausgetauscht?

Han-Na Chang © Ole Wuttudal

Das hatte auch mit dem Dirigat zu tun. Han-Na Chang weiß, wie man einen Saal zum Kochen bringt. Druckvoll, dabei alle Effekte voll auskosten. Davon bietet die Partitur so allerhand. Viel Blech. Viele  Trommeln. Vierfaches Forte.

Aber zu viel ist eben zu viel. Zumal Dissonanzen geglättet wurden. Die langsame Stellen, voller Trauer,  Ironie und Hoffnung. Die gingen dabei nachgerade unter. Zumal zu schnell genommen. Die Musik konnte so nie ihren Sog entfalten.

Auch das Gefühlsspektrum zwischen Angst und Hoffnung fand bei Han-Na Chang nicht ins Gleichgewicht. So kam Schostakowitsch nicht ins Fließen. Da bleibt dann eben auch Raum, um einfach mal klatschen, wo es nichts zu applaudieren gibt.

Jörn Schmidt, 31. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

CD-Rezension: Schostakowitsch – Doppeltes Spiel. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein klassik-begeistert.de

CD-Rezension: Schostakowitsch, Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester Nr.1, Symphonie Nr.9, klassik-begeistert.de

CD/Blu-ray-Rezension: Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, Dmitri Shostakovich, Symphonies 8  9  10 klassik-begeistert.de, 21. April 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert