Zwei Komponisten im Duell beflügeln Leon Gurvitch zu einem Werk

Interview: kb im Gespräch mit Leon Gurvitch  klassik-begeistert.de, 12. Februar 2025

Leon Gurvitch © Patrik Klein

Das Komponistenquartier in Hamburg feiert in diesem Jahr sein 10-jähriges Jubiläum – in einem Festakt am 22. April 2025 kommt es zu einer Uraufführung eines Auftragswerkes des renommierten Hamburger Künstlers und zu einer Symbiose aus barocken und zeitgenössischen musikalischen Elementen

Patrik Klein im Gespräch mit Leon Gurvitch

von Patrik Klein

In der Hamburger Musikszene und weit darüber hinaus hat er sich seit Jahren zu einer bekannten und erfolgreichen Größe entwickelt: Der Komponist, Pianist, Performer und Dirigent Leon Gurvitch. Vor fast 25 Jahren aus seiner Heimat Weißrussland geflohen und in Hamburg ansässig geworden, hat er es im Blut, seine vielseitige Musikalität emotionsgeladen an sein zahlreiches Publikum zu vermitteln.

Bei seinen Kompositionen nimmt er seine Zuhörerschaft mit in die Gedanken- und Gefühlswelt eines Künstlers, der nicht einfach Noten vom Blatt oder auswendig spielt, sondern der die Musik in sich trägt in jeder Faser seines Körpers, in seiner Mimik und seiner gesamten Ausstrahlung. Seine Musik ist lebendig, oft gegensätzlich und voller Kontraste und feinster Nuancen.

Dabei gibt er nicht nur unzählige Solokonzerte auf dem Flügel, sondern arbeitet häufig mit besonderen Künstlern zusammen, die seine musikalischen Ideen tragen und gemeinsam zu neuen Kunstwerken formen. Für das Komponistenquartier in Hamburg hat er sich im Zusammenhang mit dem 10-jährigen Jubiläum des Museums 2025 etwas ganz Besonderes ausgedacht.

klassik-begeistert: Lieber Herr Gurvitch, man kennt Sie als vielseitigen Musiker nicht nur in Hamburg, sondern weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Als Komponist, Dirigent und Pianist beschäftigen Sie sich mit der klassischen aber auch der zeitgenössischen Musik. Wie kam es zu dem Kontakt zum Komponistenquartier in Hamburg, wo sieben bedeutende Komponisten aus dem Barock und der Klassik, die einen wichtigen Einfluss auf das Musikleben der Hansestadt hatten und noch immer haben, ausgestellt und dem interessierten Gast präsentiert werden?

Leon Gurvitch: Der erste Kontakt zum Komponistenquartier kam wohl schon vor ein paar Jahren, als ich ein Konzert in der Elbphilharmonie Hamburg gegeben habe. Da gab es zunächst die Idee, ein Portrait von mir zu machen. Es war eine schöne Zeit des Kontaktes, wo ich durch die Gassen um die Peterstrasse ging und mir auch dieses schöne Museum anschauen konnte. Das ist schon eine besonders tolle Sache, dass hier sieben Komponisten so interaktiv präsentiert werden und es war eine große Ehre für mich, dass man mich ansprach und sich für eine Zusammenarbeit interessierte.

klassik-begeistert: Das Komponistenquartier feiert im Frühjahr 2025 sein 10-jähriges Jubiläum mit einer Reihe von Sonderausstellungen und besonderen Konzerten sowie einem Festakt am 22. April 2025 im Lichtwark Saal, wo Sie ein neues Auftragswerk mit einem Kammerensemble zur Uraufführung bringen werden. Wie kam es zu diesem Auftragswerk und was ist das Thema dieser Komposition?

Leon Gurvitch: Es gab ein Gespräch mit der Museumsdirektorin, Frau von Cossel, im Sommer 2024 über das 10-jährige Jubiläum, wobei ich darüber nachdachte, was ich zu diesem Jubiläum beitragen könnte. Die Idee entstand, dort ein neues Werk in diesem Zusammenhang zu präsentieren.

Das ist natürlich keine so leichte Aufgabe, wenn vom Komponistenquartier, wo so berühmte und große Künstler ausgestellt werden, eine solche herausfordernde Komposition gewünscht ist. Es stellte sich hier natürlich die Frage, wie man den Bogen spannt zwischen diesen sieben berühmten Menschen aus dem Barock bzw. der Klassik und der Musik in der heutigen Zeit.

Das Thema dieses Auftragswerks, meiner Komposition, ist also die Verbindung zwischen dem Barock und der modernen Musik, also zwischen „alter“ und „neuer“ Musik herzustellen und zu thematisieren. Dieser Spagat ist nicht leicht zu nehmen, denn es gibt auch eine Tradition z.B. bei Strawinski in seinem Klassizismus, der aus traditionellen Quellen Neues kreierte. So kam es zu dieser Idee und so habe ich dann mit diesen Vorüberlegungen an dem Werk gearbeitet.

Leon Gurvitch © Patrik Klein

klassik-begeistert: Es geht hier also in der Textgrundlage um eine Legende über die problematische Zusammenarbeit zwischen den Anfang des 18. Jahrhunderts in Hamburg lebenden Komponisten Johann Mattheson und keinem geringeren als Georg Friedrich Händel. Da zwischen den beiden eine starke Konkurrenzsituation herrschte, kam es zu einer Art Duell zwischen den beiden, bei dem der scheinbar Unterlegene Händel die Konsequenz zog und nach London übersiedelte. Was hat Sie an dieser ungewöhnlichen Geschichte gereizt, dieses Thema musikalisch aufzugreifen?

Leon Gurvitch: Vor einiger Zeit hörte ich eine äußerst interessante Geschichte von einem Freund, der ehemalige Solo Cellist des NDR Elbphilharmonie Orchesters Hamburg Vytautas Sondeckis, der mir von diesem Duell zwischen den beiden barocken Komponisten Händel und Mattheson berichtete.

Diese Geschichte faszinierte mich so, dass ich mich damit intensiv auseinandersetzte und schließlich die Idee entwickelte, ein neues Werk zu schaffen, das auf Motiven der Opernstoffe beider Komponisten aufbaut. Die Vorstellung, dass sich die  zwei Komponisten in einem Duell gegenüber standen, eine Vorstellung, die heutzutage absurd erscheint, hat mich jedoch sehr gereizt und inspiriert, diesem Thema musikalisch zu begegnen. Ich wollte in diesem Sinne barocke Elemente aus alten Opernstoffen und moderne Musik miteinander verbinden, da ich ja selbst ein Komponist der heutigen Generation bin.

Diese Verbindung von der Vergangenheit und der Gegenwart gilt nicht nur für meinen musikalischen Ansatz, sondern ist auch ein Hinweis auf meine tiefe Verbundenheit mit der Stadt Hamburg. Das Werk „Duell“ wurde komponiert für eine  Besetzung bestehend aus Violine, Bratsche, Cello, Harfe und Trompete. Ganz bewusst habe ich auf das Klavier verzichtet, obwohl normalerweise bei meinen Werken das Klavier eine zentrale Rolle spielt. Stattdessen werde ich voraussichtlich das Werk bei der Premiere selbst dirigieren und das Kammerensemble leiten. Das Stück ist mit etwa 15 Minuten nicht besonders lang aber sehr intensiv und es greift den barocken Stil auf, bricht es jedoch immer wieder mit unerwarteten Harmonien und  Rhythmen auf, so dass ein spannender musikalischer Wettstreit zwischen barocker und moderner Klangsprache entsteht. Ein zentrales Element im Duell sind  Variationen aus der Oper „Cleopatra“ von Mattheson und „Almira“ von Händel.

klassik-begeistert: Dieses sogenannte „Duell“  aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts als moderner Komponist aufzunehmen und in musikalische Formen zu gießen, bedeutet ja offensichtlich, einen Bogen zu spannen von der barocken zur modernen Musik. Wie sind Sie bei der Komposition damit umgegangen und auf welche Formen darf sich der interessierte Hörer demnächst einstellen?

Leon Gurvitch: Der Hörer befindet sich in einem Konzertsaal und das Stück beginnt ganz normal mit schönen, alten Barockklängen zunächst ohne jegliche Anzeichen für moderne Musik. Dann plötzlich hört man einige Töne oder Rhythmen, wo man denkt, da stimmt etwas nicht. Es kommt etwas, was zu Barockzeiten nicht üblich war, sondern nur von heute sein kann. Aber ganz schnell wechselt die Musik erneut ins barocke Zeitalter.

Es findet also ein reger  Austausch zwischen Barock und Moderne mit vielen Variationen statt. Das Stück ist  ungewöhnlichen besetzt und durch variierende Rhythmen und mit einer großen Kulmination charakterisiert. Ich liebe ganz besonders die Rhythmik in meinen Werken. Im Barock bedeutet der Rhythmus ja ungemein viel, ja er bedeutet dort alles. So entstand damit eine Reise über insgesamt mehr als 300 Jahre, wo dieser Konflikt zwischen den beiden Komponisten musikalisch hörbar wird.

Diesen Konflikt nehme ich allerdings mit ein wenig Humor. Ich bin dabei schon sehr gespannt, wie die Leute darauf reagieren, denn es sind die unerwarteten Momente, die das Stück prägen. Es ist so ein wenig wie in einem Film, einem Krimi, hier jedoch nur mit Musik, in der wir eine spannende Geschichte erzählen.

klassik-begeistert: Wie haben Sie das Stück instrumentiert? Wie kann man sich die Komposition vorstellen, ohne sie direkt gehört zu haben?

Leon Gurvitch: Fünf Musiker spielen das Stück, obwohl ich es zunächst mit Orchester definieren wollte. Kammermusik reizt mich jedoch sehr, wo Leute sehr nahe sitzen und quasi mit dem Ensemble kommunizieren können. Die Instrumente des „Duells“ sind Cello, die Harfe statt dem Cembalo, denn dieser Klang des Cembalos wird meistens nur mit Barock in Verbindung gesetzt, mit der Harfe kann man beide Musikzeitalter ausfüllen. Dazu kommt die Trompete, die ja meistens Bestandteil von barocken Stücken ist.

Leon Gurvitch und Patrik Klein im Gespräch © Irina Gurvitch

Mit Trompetenklängen kann man sehr viel gestalten, auch moderne Aspekte sind möglich. Diese Instrumente können also sowohl alte als auch neue Musik generieren. Wie man sich die Musik des Stückes vorstellen kann, ohne sie direkt zu hören, ist eine gute und oft gestellte Frage. Das hat natürlich etwas zu tun mit meiner Person und meiner eigenen Geschichte. Hier ist das sogar noch bedeutender, denn wenn ich komponiere, sitze ich am Flügel, dem Hauptbestandteil meiner Werke. Ich komponiere also zunächst am Klavier und orchestriere danach. Hier gibt es nun kein Klavier, aber es gab ja bereits das Material von Händel und Mattheson. Auch von dem leider etwas in Vergessenheit geratenen Hamburger Komponisten Reinhard Keiser habe ich eine Anlehnung genommen.

Dann stellte ich mir die Frage, wie ich diese Themen variieren kann. Mit Papier und Bleistift habe ich die Partitur ohne Computer oder andere digitale Medien erarbeitet. Diese Bleistiftskizzen habe ich mehrfach umgeschrieben und schließlich alles in den Computer eingegeben. Es wurden immer wieder Korrekturen durchgeführt in diesem kreativen Entstehungsprozess. Ich bin mit mir selbst selten zufrieden, hinterfrage mich oft, ob es so gut genug ist. Dieser kreative Prozess endet bei mir eigentlich nie.

klassik-begeistert: Das hört sich spannend an und man kann es kaum erwarten, das Stück live zu hören. Planen Sie in Zukunft weitere Projekte zusammen mit dem Komponistenquartier?

Leon Gurvitch: Oh ja gerne, denn es schweben mir schon einige spannende Ideen vor. Ich würde mich sehr freuen, wenn es hierzu weitere Projekte geben könnte.

klassik-begeistert: Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Dann wünschen wir Ihnen und Ihrem Ensemble zur Uraufführung beim Festakt zum Jubiläum des Komponistenquartiers alles Gute und viel Erfolg.

Patrik Klein, 12. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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