Wenn so prachtvoll getanzt wird wie beim Stuttgarter Ballett, ist die Ballett-Welt noch in Ordnung

Don Quijote, Ballett von Maximiliano Guerra  Stuttgarter Ballett, Staatstheater Stuttgart, 4. Juli 2025

Adhonay Soares da Silva (Basilio) und Elisa Badenes (Kitri) im dritten Akt © Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett

Wie Adhonay Soares da Silva seine fliegenden Drehsprünge und seine Tour de reins mit Zwischendrehungen absolvierte, begeisterte das Stuttgarter Publikum ebenso wie Elisa Badenes mit ihren Spagatsprüngen und zahllosen Fouettés.

Don Quijote
Ballett von Maximiliano Guerra nach Miguel de Cervantes

Bühnenbild und Kostüme: Ramon B. Ivars
Musik: Ludwig Minkus u.a.

Staatsorchester Stuttgart, Leitung Mikhail Agrest

Stuttgarter Ballett, Staatstheater Stuttgart, 4. Juli 2025

von Dr. Ralf Wegner

Wer kennt schon Miguel de Cervantes’ großartigen Roman?

Don Quijote, der Ritter von der traurigen Gestalt, ist Teil des Weltkulturguts. Aber wer kennt schon den novellenreichen, mehr als 1000 Seiten fassenden Roman von dem verrückten Träumer, der Windmühlen für Riesen und Schenken für Burgen hält und bei jeder sich bietenden Gelegenheit unschuldige Reisende angreift und dafür ständig Prügel bezieht?

Der spanische Edelmann Quijano machte sich in dem Roman zum fahrenden Ritter, besorgte sich ein Pferd, nennt es Rosinante und gibt sich selbst den Namen Don Quijote von der Mancha. Es fehlte ihm nur noch ein anbetungswürdiges Fräulein, welches er in Aldonza Lorenzo aus Toboso fand, wovon diese aber nichts wusste und die er selbst nie gesehen hatte. Er dachte sich für sein Fräulein den Namen Dulcinea von Toboso aus.

Eine kurze Novelle wird zum Ballett

Die eigentliche Ballett-Handlung, die Geschichte des Liebespaares Basilio/Kitri, hat an Cervantes Roman nur einen klitzekleinen Anteil. Kitris Vater Lorenzo (Emanuele Babici) will seine Tochter Kitri, die den armen Barbier Basilio liebt, gegen ihren Willen mit dem reichen Schnösel Camacho (Fabio Adorisio) verheiraten. Basilio und Kitri fliehen, verstecken sich bei den Räubern. Sie werden entdeckt. Mit List gewinnt Basilio seine Kitri, Camacho begnügt sich am Ende mit einer anderen Verehrerin. Immer wieder greifen Don Quijote (Clemens Fröhlich) und sein gewitzter Helfer Sancho Pansa (Anton Tcherny) in die Handlung ein, kämpfen gegen die berühmten Windmühlenflügel, landen im Reich der Dryaden und ringen am Ende Lorenzo die Zustimmung zur Hochzeit von Basilio und Kitri ab.

Martino Semenzato (José Antonio, ein Toreador) und Anna Osadcenko (Mercedes, eine Straßentänzerin) erster Akt © Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Don Quijote ist purer Tanz

Die traditionelle Fassung des Balletts Don Quijote basiert auf Marius Petipa. Und das bedeutet: Tanz pur. Selten wird in einem Handlungsballett so ununterbrochen getanzt wie in Don Quijote. Das gilt auch für den ersten Akt, in dem Basilio um seine schöne Kitri wirbt. Elisa Badenes hat ihren fulminanten Auftritt. Adhonay Soares da Silva, der bereits vor Jahren als sprungmächtiger Benvolio in Crankos Romeo und Julia beeindruckte, hielt sich da noch zurück.

Im dritten Akt lieferte er und zeigte zusammen mit seiner Partnerin beim Grand Pas de deux perfekte Ballettkunst. Wie er seine fliegenden Drehsprünge und seine Tour de reins mit Zwischendrehungen absolvierte, begeisterte das Stuttgarter Publikum ebenso wie Elisa Badenes mit ihren Spagatsprüngen und zahllosen Fouettés. Auch das Ensemble beeindruckte mit furioser Tanzkunst.

Daiana Ruiz (Pepa, Kitris Freundin), Mizuki Amemiya (Eva, Kitris Freundin), Anton Tcherny (Sancho Pansa), Clemens Fröhlich (Cervantes und Don Quijote), Elisa Badenes (Kitri), Adhonay Soares da Silva (Basilio), Diana Ionescu (Dulcinea), Anna Osadcenko (Mercedes), Martino Semenzato (José Antonio) (Foto: RW)

Das Bühnenbild ließ, im Gegensatz zu den prächtigen Kostümen, Wünsche offen, zumindest im Vergleich mit der Wiener Nurejew-Produktion, die vor einigen Jahren auch vom Hamburger Ballett adaptiert wurde. Karge Stellwände begrenzen zunächst die Szene: Den spanischen Dichter Miguel de Cervantes (Clemens Fröhlich in einer Doppelrolle) plagt eine Schreibblockade, bis ihn seine Muse Dulcinea (Diana Ionescu) inspiriert und ihn mit dem Ritter „von der traurigen Gestalt“ vereint.

Dulcinea ist hier eine Erfindung des Choreographen. Unbedingt förderlich ist ihr häufiges Erscheinen nicht, entbindet sie doch den Helden, in jeder ihm begegnenden hübschen Frau seine Angebetete zu finden. Die Nurejew-Version lässt da mehr schauspielerisch-tänzerisches Spiel zu, ohne die immer wieder das Groteske streifende Handlung ins Komische kippen zu lassen.

Der zweite, im Reich der Dryaden spielende Teil wurde von den Stuttgarter Tänzerinnen perfekt getanzt und auch Elisa Badenes zeigte wieder, was sie als Tänzerin zu leisten vermag. Anna Osadcenko trug als Königin der Dryaden zum Gelingen dieses „weißen“ Zwischenaktes bei. Besser gefiel sie mir noch als Mercedes im ersten und dritten Akt, wo sie mit einer gewissen spöttischen Ironie voll in der Rolle der nicht erst seit gestern die Toreros (hier Martino Semenzato) bezirzenden Schönen aufging. Beste Soli gab es zudem von Daiana Ruiz und Mizuki Amemiya (Kitris Freundinnen), Fernanda Lopes war ein reizender Cupido, Anton Tcherny ein quirliger Sancho Pansa und Matteo Miccini beeindruckte als Prinz des fahrenden Volkes.

Adhonay Soares da Silva und Elisa Badenes (Foto: RW)
Kann Hamburg von Stuttgart lernen?

John Cranko ist seit 52 Jahren tot. Trotzdem zehrt das Stuttgarter Ballett immer noch von seinem Ruhm und hat eine hohe tänzerische Qualität über die Zeit bewahrt. Das liegt ohne Zweifel auch an der ständigen Auseinandersetzung mit dem klassischen Ballett. Allein in dieser Saison wurden neben Don Quijote noch die Tschaikowsky- Ballette Schwanensee und, wenn auch nicht ganz klassisch, Nussknacker aufgeführt.

Auch John Neumeier hatte immer Klassiker im Programm wie die beiden letztgenannten und Tschaikowskys neu aufpoliertes Dornröschen, von Giselle und den von Perrot/Coralli und später von Petipa choreographierten, von Neumeier in seine modernisierte Fassung übernommenen technischen Bravourstücken ganz zu schweigen. Darüber hinaus hat Neumeier immer Klassiker anderer Choreographen wie La Bajadère, La Sylphide oder, wie oben angeführt, Don Quijote in das Hamburger Repertoire übernommen.

Unter der kurzen Intendanz von Demis Volpi ging das Interesse des Ballettchefs an diesen auch vom Publikum immer wieder begeistert aufgenommenen Klassikern nicht nur zurück, bis auf einige weihnachtliche Nussknacker-Aufführungen verschwanden sie ganz vom Spielplan.

Volpi war zum Paradigmenwechsel bereit, wollte die klassische Balletttradition offensichtlich zugunsten eines mehr erdverbundenen Tanztheaters ersetzen, wie wir es erschreckenderweise von der von ihm eingeladenen Aszure Barton mit Slow Burn vorgeführt bekamen. Zum Glück ist das Geschichte.

Das Hamburger Ballett wird seine Spitzenposition unter den großen Ensembles aber nur halten können, wenn, wie in Stuttgart, die klassische Tradition unverändert gepflegt wird. Und das gilt auch für Neumeiers ureigene Schöpfungen wie Nijinsky, Tod in Venedig, Liliom oder Die kleine Meerjungfrau. Ohne eine klassische Tanzbasis werden diese Meisterwerke irgendwann nicht mehr angemessen aufgeführt werden können.

Dr. Ralf Wegner, 6. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Anna Karenina, Ballett von John Neumeier Staatstheater Stuttgart, 14. März 2025 PREMIERE

Stuttgarter Staatsballett, Novitzky / Dawson Staatsoper Stuttgart, 4. Oktober 2024

La Fest von und mit Eric Gauthier Staatsoper Stuttgart, 19. Januar 2024

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