Tristan HL © Jochen Quast
Nach der gefeierten Premiere am 2. Februar 2025 (KB berichtete: https://klassik-begeistert.de/richard-wagner-tristan-und-isolde-theater-luebeck-2-februar-2025-premiere/) war es schon klar: Der Lübecker „Tristan“ ist eine Produktion der Extraklasse! Da verwundert es schon, dass nicht jede Vorstellung ausverkauft ist. Auch am Karsamstag gab es viele leere Plätze, aber das Publikum am 19. April jubelte für drei – nach jedem Aufzug!
Tristan und Isolde
Musikdrama in drei Akten von Richard Wagner
Lena Kutzner, Sopran
Corby Welch, Tenor
Marlene Lichtenberg, Mezzosopran
Steffen Kubach, Bariton
Rúni Brattaberg, Bass
Noah Schaul, Tenor
Stefan Vladar, Dirigent
Stephen Lawless, Inszenierung
Herren des Chores und Extrachores des Theaters Lübeck
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Theater Lübeck, 19. April 2025
von Dr. Andreas Ströbl
Die schlechte Nachricht wenige Tage vor der drittletzten Aufführung von Wagners „Tristan und Isolde“ in der Inszenierung von Stephen Lawless am Theater Lübeck: „Tristan“ Ric Furman ist erkrankt und kann nicht singen. Die gute Nachricht: Corby Welch, ein Tenor mit reicher Wagner-Erfahrung, springt ein, kommt am Donnerstag in Lübeck an und singt nach wenigen Proben bereits zwei Tage später die anspruchsvolle Hauptrolle.
Eine vorbildliche Personenregie und überzeugende solistische Leistungen
Besonderes Merkmal des Lübecker „Tristan“ ist eine detailverliebte Personenregie, die Mimik, Gestik und Interaktionen auch auf die Musik abstimmt. Wenn sich Lena Kutzner als Isolde zu Beginn des ersten oder des zweiten Aufzugs zu den Instrumental-Passagen auf der Bühne bewegt, dann geben ihre Haltung, ihr Zusammenzucken das wieder, was in der Partitur steht. Diese musikgewordene Psychologie hat Regisseur Stephen Lawless im Innersten verstanden und die Darsteller setzen das entsprechend um. Das macht die gespielte Handlung kurzweilig und spannend, auch, wenn man ja weiß, wie alles ausgeht.
Nach dem Genuss des Liebestrankes hebt Isolde wie zum Schlag ausholend ihre Hand – um sie dann zärtlich auf die Wange Tristans zu legen. In solchen kleinen Gesten spielt sich in nuce das große Geschehen ab.
Corby Welch hat sich bewundernswert rasch mit den charakteristischen Regungen und der Seelentiefe dieses „Tristan“ vertraut gemacht. In den ersten beiden Aufzügen hält er sich stimmlich noch etwas zurück, um sich nicht frühzeitig zu verausgaben. Einige leicht verhuschte Textstellen sind absolut verzeihlich, denn was in diesem geschlagenen Helden vorgeht, gibt er mit zu Herzen gehender Intensität wieder. Im mörderischen dritten Aufzug formt sein heller, auch im Piano gut durchdringender Tenor das Bild eines bereits Delirierenden, der nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden kann.

Gerade in der Interaktion mit dem als Kurwenal phantastischen Steffen Kubach treten all die Verletzungen, Hoffnungen und Sehnsuchtsmomente ergreifend hervor. Kubachs Kurwenal ist auch an diesem Abend von bewegendem Mitgefühl, mal von tiefer Resignation, mal von unerschütterlichem Optimismus geprägt; das Textverständnis ist makellos – einer der echten Stars dieser Produktion!
Auch Marlene Lichtenbergs Brangäne ist wiederum von überzeugender freundschaftlicher Wärme und Nähe; ihre Sorge und berechtigte Angst vor dem, was droht, spielt und singt sie mit größter Glaubwürdigkeit. Was für eine sympathische und vielschichtige Interpretation dieser Rolle!
Noah Schaul liefert ein erneutes Mal einen Beweis seiner Vielseitigkeit ab, denn den hintertückischen Melot, den braven Hirten und den jungen Seemann gibt er auch bei dieser Aufführung jeweils mit anderer Stimmfärbung und angemessenen Aktionen wieder.
Rúni Brattaberg hat zwar die stimmliche Indisposition zur Premiere überwunden, aber bei der Gestaltung des Königs Marke nach wie vor Schwierigkeiten mit den Höhen.
Auch eine Nebenrolle wie der Steuermann erhält durch Viktor Aksentijević Charakter und persönliche Färbung.

Satter, warmer Wagnerklang
Bereits das Vorspiel lässt in seiner starken Leidenschaftlichkeit niemanden kalt und fängt das Publikum wie ein gut gemixter Drogencocktail ein – die Inszenierung spielt ja mit dem Rauschhaften, durch den Liebestrank Vernebelten, jenseits aller Vernunft. Und so hüllt das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter Leitung von GMD Stefan Vladar die Zuhörerschaft in trunken machenden Wagnerklang mit überwältigendem, leuchtendem Blech, melancholischem Englischhorn, schwelgerischen Streichern – und dann, zum Finale des zweiten Aufzugs, schlägt das Schicksal wie ein Hieb zu. Das geht ins Mark!
Trotz des zügigen Tempos sind auch die feinen, seelenvollen Passagen gut herausgearbeitet; Vladar gibt den Solisten ausreichend Raum, aber zügelt den Klangkörper nicht, wenn wuchtige Forti angesagt sind. Zumal für Lena Kutzner ist das überhaupt kein Problem, denn sie dringt vor allem in ihren steil aufragenden Höhen mühelos durch das oft mächtige Orchester.

Ihre durchweg brillante Glanzleistung krönt sie mit dem finalen Liebestod, eigentlich ja „Isoldes Verklärung“ betitelt. „In des Welt-Atems wehendem All ertrinken, versinken, unbewußt, höchste Lust!“ Spätestens bei diesen Zeilen kullern die Tränen über die Wangen vieler im Publikum, das die Mitwirkenden anschließend vor Begeisterung kaum gehen lassen will.
Es bestehen nun noch zwei Möglichkeiten, diesen herausragenden „Tristan“ zu sehen, und zwar am 25. Mai und am 29. Juni. Wer zumindest einen dieser Termine nicht wahrnimmt, dem ist nicht zu helfen.
Dr. Andreas Ströbl, 20. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tristan und Isolde Theater Lübeck, 2. Februar 2025 PREMIERE