Foto: Klaus Vyhnalek (c)
Grafenegg Festival 2018 im Wolkenturm, 7. September 2018
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Dimitrij Kitajenko Dirigent
Yeol Eum Son Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart,
Konzert für Klavier und Orchester d-moll KV 466
Dimitri Schostakowitsch, Symphonie Nr. 7 C-Dur op.60 „Leningrader“
von Charles E. Ritterband
Den Organisatoren der fantastischen Konzertreihe Grafenegg Festival mit insgesamt 20 glanzvollen Aufführungen sei’s gedankt: Sie ließen sich durch den heftig niederprasselnden Platzregen unmittelbar vor Konzertbeginn nicht irritieren und diesen Abend dennoch mutig auf der inspirierenden Freiluftbühne stattfinden – dem Wolkenturm. Der Regen hielt sich zurück, so wurde uns ein später Sommerabend beschieden… und der Genuss war ein zweifacher: Eine großartige Aufführung auf dieser expressionistisch anmutenden Bühne, eingebettet in die romantische Natur des Schlossparks Grafenegg, in dessen Zentrum das prachtvolle Schloss steht, das auf das 14. und 17. Jahrhundert zurückgeht. Klang trifft hier Kulisse, gewissermaßen, so lässt sich das Gesamterlebnis Grafenegg auf eine griffige Formel bringen.
Das Programm des Abends bestand aus zwei Teilen, die kontrastreicher nicht sein konnten: Mozarts düsterem d-Moll Klavierkonzert KV 466 und der gewaltigen „Leningrader“ Symphonie von Dimitri Schostakowitsch. Die aus Südkorea (der Stadt Wonju) stammende Pianistin Yeol Eum Son gehört, wie das Programmheft verheißt, zu den besten Pianistinnen unserer Zeit. Einmal mehr zeigt Grafenegg, dass dies nicht nur irgendein Sommerfestival vor den Toren Wiens sein will, sondern Interpreten von Weltklasse an diesen idyllischen Ort einlädt. Yeol Eum Son hat sich unter anderem mit ihren CD-Einspielungen von Mozarts Klavierkonzerten unter Sir Neville Marriner weltweit einen Namen gemacht.
So bot sie uns auch an diesem Abend mit Mozarts d-moll Konzert vor ausverkaufter Tribüne ein außergewöhnliches Musikerlebnis. Ihre Interpretation war subtil, in perfekt abgestimmtem Dialog mit dem Orchester – und passagenweise, wo es Mozart einforderte, virtuos. Ihre Zurückhaltung brachte die düsteren Farben dieses Konzerts in allen Schattierungen zur Geltung. Der knapp 30-jährige Mozart hat hier ein Musikstück geschaffen, in dem er sehr persönliche Gefühle wiedergibt, das Verhältnis zu seiner Umwelt darstellt und, wie gesagt wird, selbst geistige Fragen und Themen abhandelt. Dieses 1785 entstandene Konzert entstand offenbar in einer heftigen emotionalen Aufwallung innerhalb weniger Tage. Erstmals komponierte Mozart ein Klavierkonzert in Moll – und nahm damit die Tonart, die Düsterkeit und Dramatik des „Don Giovanni“ vorweg.
Das Soloinstrument in diesem Werk hat denn auch ein breites, zuvor nie gehörtes Spektrum an Ausdrucksformen zu bewältigen – von Trillern bis hin zu dramatischen, emotionalen Floskeln. Das Orchester ist hier vollwertiger Dialogpartner, nicht nur Begleiter – ein ständiges Frage- und Antwortspiel, wie es insbesondere von den Holzbläsern getragen wird. Das Tonkünstler-Orchester widerspiegelte mit höchster Musikalität und Zurückhaltung die subtile Darstellung der Solistin. Den Holzbläsern kommt eine eigene Aufgabe zu, indem sie dem pessimistischen Beginn am Ende des Konzerts eine heitere, tänzerische Gangart in Dur gegenüberstellen und damit – unterstützt vom D-Dur-Dreiklang der besonders klar und präzis intonierenden Trompeten – das Werk doch noch zu einem glücklichen, positiven Ende führen.
Eine ganz andere Welt beschreibt Schostakowitsch in seiner 1941 entstandenen 7. Symphonie – nicht das Gefühlsleben im Innern des Komponisten, wie Mozart, sondern ein höchst dramatisches Geschehen in der Außenwelt: Die brutale Belagerung von Leningrad durch die deutsche Wehrmacht, mit all ihren Schrecken. Er habe, schrieb Schostakowitsch, diese Symphonie „unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind und Leningrad, meiner Heimatstadt“ gewidmet. Pathos und Heroismus, gewaltige Klänge verkörpern diese Absicht – und das Ergebnis wurde von den sowjetischen Machthabern äußerst wohlwollend zur Kenntnis genommen: Schostakowitsch stand damals besonders hoch in deren Gunst, denn er lieferte mit künstlerischen Mitteln genau das, was die Sowjets benötigten, um das leidgeplagte russische Volk auf den „Vaterländischen Krieg“ einzuschwören.
Die Uraufführung im belagerten Leningrad war selbst ein Drama: Ein Militärflugzeug durchbrach den eisernen Ring der deutschen Fliegerabwehr und brachte die Partituren (nebst Versorgungsgütern) im Juli 1942 in die Stadt. Halb verhungerte Musiker erhielten Extra-Rationen, und die Aufführung wurde dann am Radio live übertragen und im ganzen Land ausgestrahlt, um die Moral des Volkes zu heben. Das Musikstück wurde zum Ausdruck des Widerstands gegen die Invasoren, und es war bereits zum Zeitpunkt seiner Entstehung eine Legende. Es reihte sich ein in die Kategorie der plastischen Kriegs-Klangmalereien, von Tschaikowskis „1812“ bis hin zu Benjamin Brittens „War Requiem“ Op.66.
Das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich – Hausorchester seit Gründung des Grafenegg-Festivals im Jahr 2007 – ist neben den Wiener Philharmonikern und den Wiener Symphonikern der unbestritten beste Klangkörper außerhalb der Hauptstadt. Dieses Orchester bewältigte die Aufgabe, jenes grandiose, historisch geprägte Werk in seiner ganzen gewaltigen Größe wiederzugeben, mit Bravour. Dass der Dirigent, Dimitrij Kitajenko, aus Russland (Moskau) stammt, hat an diesem besonderen Abend zweifellos zur Authentizität, zum fundierten Verständnis für dieses Werk beigetragen.
Das Tonkünstler-Orchester war in ganz großer Besetzung präsent, um das gewaltige Werk adäquat wiederzugeben. Denn dieses wechselt oft abrupt von kriegerischer Gewalt und übermenschlichen Dimensionen zu feinsten lyrischen Passagen mit Flöte und Solo-Violine. Die Musiker dieses Orchesters bewältigten beide Herausforderungen hervorragend, und die Dramatik jenes Trommelwirbels, der ganz leise beginnt und dann immer mehr den scheinbaren Frieden stört, wurde ebenso subtil wiedergegeben wie die humorvollen Passagen im zweiten Satz und die choralhaften Einschübe im dritten.
Gruselig der geisterhafte Totenmarsch im letzten Satz mit seinen wuchtigen Akkorden und den nachdenklichen Melodiebögen. Hier manifestierte das Orchester seine zahlreichen Ausdrucksmöglichkeiten, wobei besonders die Blechbläser mit klarem, präzisem Klang herausragten. Kitajenko hatte das riesige Orchester in seiner ganzen tosenden Stärke und seinen feinsten, zartesten Klängen im Griff wie ein General, der seine Truppen zum Sieg führt. Und das entsprach ja auch durchaus dem Geist dieses grandiosen Werks.
Charles Ritterband, 8. September 2018, für
klassik-begeistert.de