Jubelstürme für eine Ausnahme-Traviata mit Teodor Currentzis in der Elbphilharmonie

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Foto: Teodor Currentzis © Olya Runyova
Elbphilharmonie Hamburg, 21. Oktober 2018
Giuseppe Verdi, La Traviata
musicAeterna orchestra of Perm Opera

musicAeterna chorus of Perm Opera
Teodor Currentzis, Dirigent
Nadezhda Pavlova Violetta Valéry
Airam Hernández Alfredo Germont
Dimitris Tiliakos Giorgio Germont

von Leon Battran

Die Erwartungen sind hoch, wenn sich ein echter Shootingstar am Pult die Ehre gibt. Teodor Currentzis, Aufmischer der Klassikwelt, möchte in der Elbphilharmonie einen Opernklassiker wiederbeleben: Verdis La traviata. Und wie kaum ein anderer erobert er die Herzen der Zuhörer im Sturm mit einer konzertanten Aufführung, die mehr Esprit und Glanz hat als so manche Operninszenierung. Sogar wer die Traviata von Giuseppe Verdi schon in- und auswendig zu kennen glaubt, mag sich von Currentzis noch überraschen lassen.

Er ist der Popstar unter den Klassikinterpreten. Nicht erst seit seinem Debüt bei den Salzburger Festspielen im letzten Jahr macht der griechisch-russische Dirigent von sich reden. Teodor Currentzis ist künstlerischer Leiter an der Staatsoper Perm in Russland und seit der aktuellen Spielzeit auch Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters. Auch das musicAeterna-Orchester und Chor, das den gebürtigen Griechen heute begleitet, ist am Opernhaus in Perm zuhause, wo die Traviata unter seiner Leitung bereits vor zwei Jahren großen Erfolg feierte.

Auf tritt der Maestro in der für ihn typischen Arbeitskleidung: Skinny Jeans, ein Hemd ohne Kragen, alles in konventionellem Schwarz gehalten – mit Ausnahme der leuchtend roten Schuhbänder, mit denen seine Springerstiefel verschnürt sind. Auch die Spieler im Orchester sind dynamisch aufgestellt; wer nicht seines Instrumentes wegen verhindert ist, der steht.

Und je länger man Currentzis zusieht und zuhört, umso mehr wird klar: Der vermeintliche Klassikrebell ist in erster Linie ein sehr versierter Klassikversteher, der genau weiß, was er tut und was er will. Er liebt das Risiko und fährt meistens gut damit.

Das Orchestervorspiel zu dem bekannten und beliebten Trinklied Libiamo ne’ lieti calici hat bei Currentzis derben Wumms. Von falscher Bescheidenheit oder aufgesetzter Grazie keine Spur. Mit berauschender Intensität und in schnellem Tempo prescht er im Fortissimo durch einen feucht-fröhlichen Dreivierteltakt.

Umso leiser und spannungsgeladen erscheinen demgegenüber die Solopassagen von Alfredo und Violetta. Maestro Currentzis kommt hierfür mit einem Bein von seinem Podest herunter, dirigiert, gestikuliert, kommuniziert mit seinen Sängern, empfindet mit, zieht Phrasenschlüsse in die Länge wie heißen geschmolzenen Käse.

Ist das wirklich nötig, denkt man. Können das die Sänger nicht auch alleine, ohne dass ihnen so ein Currentzis da immer direkt vor dem Gesicht herumfuchtelt? Ist das nicht allzu manieriert und überzeichnet?

Vielleicht. Aber so ist er eben, der Teo und vor allem – und darauf kommt es an – er nimmt seine Musiker mit und schenkt ihnen Vertrauen. Eines kann man ihm gewiss nicht zum Vorwurf machen: dass hier Musik einfach nur heruntergespielt würde.

Das Publikum ist schon jetzt völlig aus dem Häuschen und spendet großzügig enthusiastischen Szenenapplaus.

Gesanglich gehört dieser Abend aber Nadezhda Pavlova. Die Sopranistin, die ebenfalls als Solistin an der Staatsoper Perm zu hören ist, meistert eine herausragende Violetta. Sie verkörpert die tragische Titelheldin mit allen gesanglichen wie emotionalen Höhen und Tiefen. Diese Traviata ist alles andere als auf Abwegen.

Pavlovas Sopran ist vital und glanzvoll mit einer unverwechselbaren fruchtigen Note. Großartig!

Man ist erstaunt und begeistert von dem Facettenreichtum dieser starken Stimme, die sich immer wieder auch zu zerbrechlich schönen Pianissimi anspornen lässt. Unvergessen bleibt der Spitzenton am Schluss der Arie Sempre libera, mit dem sie das Publikum nach dem ersten Akt in die Pause schickt: ein kristallklares hohes es von solcher Intensität und Präzision, dass einem ganz kribbelig wird und die Zeit für einen Augenblick stehenzubleiben scheint.

Auch den folgenden Akten mangelt es nicht an großen Momenten, lieblichen Melodien und orchestraler Dramatik. Ebenfalls stark besetzt: Der griechische Bariton Dimitris Tiliakos in der Rolle des Vaters Giorgio Germont. Besonders seine Arie Di Provenza il mar, il suol gelingt mit solcher Hingabe, Verständnis und Zartgefühl, dass man das kaum mehr anders und nie wieder „geringer“ hören möchte.

Airam Hernández gibt den Alfredo. Leider ist der Tenor an diesem Abend nicht gut bei Stimme und bleibt weit unter seinen Möglichkeiten. Dennoch intoniert er weitgehend sauber. Vor allem in der Mittellage kommt sein Tenor farbenreich und warm zur Geltung und lässt immenses Potenzial erahnen.

Auch das Orchester aus Perm spielt meist auf Spitzenniveau. Von kaum erwähnenswerten anfänglichen Schwierigkeiten in Tempo und Intonantion abgesehen war das eine mitreißende Vorstellung, die sich sehen und hören lassen konnte. Auch der Chor musizierte klangschön, wie aus einem Guss und präsentierte sich mit episch sakraler Breite, insbesondere während der Schlussszene des zweiten Aktes.

Der Schlussapplaus ist frenetisch, ausgelassen und hält lange an. Großen Jubel gibt es für Dimitris Tiliakos und auch für Airam Hernández. Als dann Nadezhda Pavlova auf die Bühne kommt, gibt es kein Halten mehr. Standing Ovations für die Traviata, und auch Teodor Currentzis erntet großen Zuspruch in Form von Jubelrufen und Fußgetrappel. Ein so durch und durch beglücktes und waches Publikum nachts um halb zwölf erlebt man auch in der Elbphilharmonie nicht jeden Tag.

Leon Battran, 22. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

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Elena Iurchenko Annina
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