Foto: © Brinkhoff / Mögenburg
Staatsoper Hamburg, 18. Januar 2019
Giuseppe Verdi (1813-1901), Messa da Requiem
Musikalische Leitung: Paolo Arrivabeni
Inszenierung: Calixto Bieito
Bühne: Susanne Gschwender
Kostüme: Anja Rabes
Sopran: Serena Farnocchia (für die erkrankte Maria Bengtsson) Mezzosopran: Nadezhda Karyazina
Tenor: Dmytro Popov
Bass: Gabor Bretz
Für Serena Farnocchia auf der Bühne agierte Birgit Kajtna
von Teresa Grodzinska
Über die Totenmesse (Requiem) gibt es dicke Bücher und dünne Abhandlungen. Seit 1545 ist in der katholischen Liturgie der Ablauf festgelegt. Solange es als obligatorisch galt, weil die Kirche dem Staat gleichgestellt und manchmal überlegen war, hielten sich alle Komponisten, sogar Mozart, an den vorgeschriebenen Ablauf. Napoleon und seinem rebellischen Zeitalter verdanken wir die anderen, weniger an die Liturgie angelehnten Requien.
Giuseppe Verdi komponierte die “Messa da Requiem” anlässlich des Todes des italienischen Dichters und Schriftstellers Alessandro Manzoni († 22. Mai 1873). Ein Jahr später, am 22. Mai 1874, fand die Uraufführung in der Mailänder Kirche San Marco statt.
Mich kriegen in die Kirche keine zehn Pferde hinein. Ich glaube an Reinkarnation, also an Seelenwanderung, Karma und Robert Habeck. Die Hölle sind für mich – um Monsieur Sartre zu zitieren – die anderen. Wie findet man Zugang zum tief katholischen Mäander der gequälten Seelen? Und das in der Staatsoper Hamburgs anno domini 2019?
In dem Moment, als die Musik erklang und die Szene sich belebte (der Opernchor war bis auf wenige Momente durchgehend auf der Bühne), schoss mir wie ein Blitz durch den Kopf: Alle sterben! Die Sänger und der Dirigent, die Chormitglieder und die kleinen Komparsen, die – scheint Mode zu sein – auf der Bühne Ball spielen. Das Publikum stirbt auch.
Also ist es nicht verkehrt, sich die Messa da Requiem ab und an einzuverleiben. Sterben können wir bekanntlich jederzeit. Da waren die Posaunen des Jüngsten Gericht, die aus dem Off (aus dem 2. Rang über unseren Köpfen) erklangen, ein netter Einfall.
Sonst war die Vorstellung – wie so oft in der Staatsoper – durchschnittlich. Die für Maria Bengtsson eingesprungene Serena Farnocchia (Sopran) sang a vista. Sie wurde aus der Schweiz am selben Nachmittag eingeflogen, kannte die Messe, aber nicht die Bühnenabläufe. Die kreative Lösung hieß Birgit Kajtna, eine Theaterfrau aus Wien, die die Dramaturgie kannte. Leider hat Frau Kajtna – und dafür konnte sie natürlich nicht das Geringste – das Aussehen und die Statur eines Kindes. Verwirrend. Überhaupt war das Bühnenleben für mich nicht verständlich.
Das Requiem wurde szenisch in das sogenannte bunte Leben eingebettet. Kostüme zeitlos und leger, alles unverbindlich, alltäglich, dem Sujet völlig fremd. Vom Verstand her ist die Idee klar: Tod mitten im Leben. Aber die Art der Musik, dazu die lateinischen Gesänge… es entstand – für mich jedenfalls – ein unausgewogenes Etwas, zwischen streng katholischem Totengesang und buntem Picknick. Ich wünschte mir schwarze Gewänder, ich wünschte mir kirchliche Architektur…
Ein ältere, korpulente Dame, wie aus einem Spitalkorridor (samt rotem Morgenrock) in die Messe hineinversetzt, wandelte eine Weile verwirrt umher; dann fand sie eine Beschäftigung: sie schloss einigen toten Kindern, die sie an den Füßen aus den Nischen zog, die Augen. An dieser Stelle wünschte ich mir, Calixto Bieito (Inszenierung) persönlich meine Meinung zu sagen. Mir fehlt jegliches Verständnis fürs Tabubrechen um jeden Preis. Bei toten Kindern, lächerlich gemachten Greisen und ähnlichen Geschmacklosigkeiten ganz besonders. Pfui!
Die vier Sänger, darunter die sich am Notenheft haltende Serena Farnocchia, versuchten sich zu behaupten. Sie waren meistens gut zu hören in meiner 13. Reihe. Sie waren bemüht, das Beste zu geben. Das unausgewogene Verhältnis der Stimmen tat seins dazu: Nadezhda Karyazina, ehrgeizige Solistin, die Stimme sehr voluminös, nahm sich nur einmal zurück in einem Gesang zusammen mit Farnocchia. Ein Hauch des Nachdenkens, ein Tick dessen, worum es in einem Requiem geht, war zu hören. Danke.
Die beiden Herren, Dmytro Popov und Gabor Bretz, traten den Kampf gegen den Mezzosopran von Karyazina an, gewannen aber selten. Sie mussten sich auch gegen die völlig überlagerte Inszenierung behaupten. Nicht jeder kann und will im Liegen, mit Rücken zum Publikum oder mit Frau Kajtna verknäuelt am Boden sein Bestes geben.
Wer – trotz aller Versuche die Mitglieder lächerlich zu machen – gewann, war der Chor. Profis. Profis. Profis. Vielen Dank! Das Problem ist, dass man nicht immer die Augen zumachen will und kann…
Teresa Grodzinska, 21. Januar 2019, für
klassik-begeistert.de
Die Uraufführung des Requiems fand „erst“ 1874 statt, weil es vorher das Requiem so nicht gab!
Bis dahin gab es nur die von Verdi iniziierte Gemeinschaftsarbeit italienischer Komponisten, zu der Verdi nur einen Abschnitt beitrug. Diese Fassung brachte es damals zu keiner Aufführung.
Das heute bekannte Requiem wurde dann zur Gänze von Verdi anläßlich des Todes von Manzoni komponiert und 1874 in Mailand uraufgeführt.
Peter Skorepa